Netzjargon
Netzjargon oder auch Internet-Slang[1] ist eine nicht standardisierte oder inoffizielle Form der Sprache, die von Internetnutzern zur Kommunikation untereinander verwendet wird.[2] Da sich Netzjargon ständig ändert, ist eine einheitliche Definition schwierig.[3] Im Allgemeinen kann unter Netzjargon aber jede Art von Jargon verstanden werden, der durch die Nutzung im Internet popularisiert oder geprägt wurde.
Begriffe des Netzjargons entstehen häufig aus der Notwendigkeit heraus Tastenanschläge zu minimieren, Zeichenbeschränkungen gerecht zu werden oder typische Verständnisprobleme der geschriebenen Sprache (Ironie, Emotionen usw.) zu vermeiden.
Entwicklung
Der Netzjargon entstand mit den Anfängen des Internets ausgehend vom IRC und Usenet, die genaue Rekonstruktion ist allerdings schwierig, da zu der Zeit die meisten Internetaktivitäten noch nicht durch Web-Archive oder Web-Indexe aufgegriffen wurden.[4] Das anfängliche Vokabular beruhte hauptsächlich auf Begriffen deren Ursprung vor der Internetkultur liegt (z. B. Begrifflichkeiten aus Programmiersprachen).[4][5] Der Netzjargong entwickelte sich aufgrund der steigenden Kommunikation in digitalen Räumen schnell zu einem eigenständigen Jargon, der infolge seiner breiten Popularität in der heute globalisierten und digital sensibilisierten Bevölkerung auch zu einem Teil der Alltagssprache geworden ist.[6]
Ausdruck von Emotionen
Der Netzjargon zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es eine Sprache ist, die dem eigentlichen Textinhalt sehr treffend und knapp Gefühle oder eventuelle Hintergedanken (wie Ironie) beifügen kann. So können Verständigungsprobleme oder die Gefahr von Missverständnissen gegenüber gesprochener Sprache teilweise kompensiert werden. Hierbei helfen zum einen Emoticons, die dem Smiley nachempfunden sind. Zum anderen hilft zunehmend die Aktionsgrammatik, die mittels Inflektiv komplexere Gefühle oder Aktionen knapp und treffend ausdrücken kann (z. B. *seufz*, siehe Sternchen (Asterisken)).
Akronyme und Rechtschreibung
Damit man Wörter schneller tippen oder um Umlaute, die auf manchen Tastaturen nicht vorhanden sind, umgehen kann, wird die Rechtschreibung im Netz oft drastisch ignoriert.
Talk Mode
Zeit und die Einfachheit der Tastenklicks ist ein wichtiger Faktor in Chaträumen, weshalb viele Schreiber Abkürzungen verwenden. So lassen sich Gefühle wie Freude schnell ausdrücken.
Allgemein schreibt man solche Abkürzungen mit Kleinbuchstaben, um die Umschalttaste auf der Tastatur zu sparen. Im Regelfall werden die Anfangsbuchstaben der in der (meist englischsprachigen) Redewendung vorkommenden Wörter aneinander angehängt oder eine einfache Abkürzung gebildet, wie bei ack für acknowledged („bestätigt“), oder es finden homophone Abkürzungen Verwendung, wie 2 für to oder too, sowie 4 für for. Da der „Talk Mode“ nicht besonders geeignet ist, um Stimmungen und Gefühlslagen auszudrücken, wird er in vielen Bereichen durch die Emoticons ersetzt.
Leetspeak
Hierbei werden manche Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern oder Sonderzeichen ersetzt. Meist sind folgende Ersetzungen im Einsatz.
diese Zeichen | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
ersetzen diese | O/Q | L/I | R | E | A/H | S | G | T | B | G/P |
„14m3“ steht für „lame“ = Lahm / unzureichend. Alternativ werden Ziffern oder Buchstaben ihrer (meist englischen) Aussprache entsprechend eingesetzt. Ebenfalls werden bei "Leetspeak" ähnlich klingende Buchstaben gegenseitig ersetzt oder durch geeignete Zeichen nachgeformt. Beispielsweise wird das „Plural-s“ durch „z“ ersetzt, wie in Warez. Das „W“ wird (mit zweimal / und zweimal \) zu „\/\/“ oder „L“ zu „|_“.
Ersetzungen nach dem Klang sind 2=to (zu) oder too, 4=for (für), 8=ate (als Teil von „later“ (später), „hate“ (hassen), „mate“ (Freund), „great“ (großartig)), B=be (sein), C=see (sehen), I=eye (Auge), O=oh! oder O=owe (I owe him = „Ich bin ihm schuldig“ [oder] „ich habe ihm zu verdanken“), R=are ([du] bist, [ihr] seid), U=you (Du), Y=why (warum?). Eine Umschreibung für "Leetspeak" kann so die Form 13375p3@|< annehmen und bezeugt wiederum Insiderwissen.
Vong
Seit den späten 2010er Jahren wird der Netzjargon „Vong“ verwendet, der auf den österreichischen Rapper Money Boy zurückgeht. Der Name geht auf die nachgestellte Präpositionalphrase „vong … her“ zurück. Im Gegensatz zum älteren Leetspeak werden Zahlzeichen nicht statt ähnlich aussehender Buchstaben verwendet, sondern nur, um ähnlich wie die zugehörigen Zahlwörter klingende Wortbestandteile zu ersetzen (etwa ,H1‘ statt ,Heinz‘). Vong zeichnet sich durch Anglizismen, Malapropismen, eine veränderte Grammatik und absichtlich positionierte Rechtschreib- und Tippfehler, Fehler in der Groß- und Kleinschreibung, Austausch von ähnlich oder gleich klingenden Buchstaben(folgen) und Zahlen wie zum Beispiel eu und äu, w und v, tz und ts sowie Fehler der Interpunktion, zum Beispiel Plenks, doppelte Leerzeichen und Leerzeichen in Komposita aus. Ein bekannter Vong-Ausdruck ist die Grußformel „Halo, I bims!“ („Hallo, ich bin’s!“).
Sternchen (Asterisken)
Zwei Sternchen oder Asterisken *…*
markieren den zwischen ihnen stehenden Inflektiv. Damit ist es möglich, eine Tätigkeit oder Aktion des Autors mit zu übermitteln: beispielsweise steht *g* für „grins“. Selbst komplexe, mehrgliedrige Gefühlsregungen oder Aktionen können so gebildet werden, wobei das inflektive Verb meist am Satzende steht: *computerausdemfensterschmeiß*. Üblicherweise wird hier auf eine Trennung der Satzteile gänzlich verzichtet. Zur besseren Lesbarkeit, insbesondere bei längeren Satzzusammenstellungen, könnten Leerzeichen, Unterstrich _
oder der Strich -
als Trennzeichen oder Binnenmajuskeln zur Strukturierung dienen.
Ursprünglich stammt diese Schreibweise aus dem Usenet, wo Sternchen eher zur Betonung verwendet werden:
- Ich habe es *unzählige Male* versucht; immer erfolglos!
Einige Clients, die Sternchenpaare als Betonungszeichen interpretieren, stellen die Wörter dazwischen im Fettdruck dar. Alternativ kann man die Sternchen durch ein Pluszeichen +
ersetzen (als würde die Shift-Taste zu früh losgelassen), um einen automatischen Fettdruck dieser Programme zu vermeiden.
Die Sternchenakronyme wie *g* werden vor allem im deutschen Sprachraum verwendet, kamen jedoch Anfang der 2010er-Jahre zunehmend aus der Mode.[7] In englischsprachiger Kommunikation sind sie viel seltener anzutreffen.
Ähnlich wie Sternchen zur Fettschriftauszeichnung verwendet werden, werden auch vor- und nachgesetzte Unterstriche für das Andeuten einer _Unterzeichnung_ der Textpassage benutzt.
Wird ein Sternchen vor einem Satz oder Wort verwendet, kennzeichnet dies die Korrektur eines zuvor falsch geschriebenen Satzes oder Wortes, Beispiel:
- Heute wirt es schneien
- *wird
Pseudo-HTML
Insbesondere in Usenet-Newsgroups werden als Stilmittel Sätze in HTML-artige Pseudotags eingefasst. Diese Pseudotags werden vom Client natürlich nicht interpretiert, aber angezeigt, und sollen dem Leser eine Information geben, wie das Geschriebene gemeint ist oder interpretiert werden soll. Häufig lässt man das öffnende Tag weg, aus Ersparnisgründen oder um erst nachträglich darauf hinzuweisen, dass die Bemerkung ironisch gemeint sei.
- <irony mode="sarcasm">Die Wikipedia wird den Brockhaus und die Encyclopædia Britannica niemals ablösen.</irony>
oder vereinfacht:
- <Ironie>Die Wikipedia wird den Brockhaus und die Encyclopædia Britannica niemals ablösen.</Ironie>
- <aol>Wird insb. im Englischen zur Markierung von besonders einfältigen Kommentaren verwendet, da AOL (ehem. America Online) es vielen neuen Nutzern ermöglichte, das Internet zu nutzen, die zuvor wenig oder keine Erfahrung mit neuen Medien und teilweise auch einen geringeren Bildungsstand hatten.</aol>
Eine ähnliche Form ist in den diversen Internetforen verbreitet, die oftmals keine HTML-Formatierung durch die Schreibenden zulassen. Es handelt sich hierbei um BBcode-artige Pseudotags.
- [Ironie]Die Wikipedia wird den Brockhaus und die Encyclopædia Britannica niemals ablösen.[/Ironie]
Siehe auch
Literatur
- Rainer Geers: Der Faktor Sprache im unendlichen Daten(t)raum. Eine linguistische Betrachtung von Dialogen im Internet Relay Chat. In: Bernd Naumann (Hrsg.): Dialogue analysis and the mass media. Proceedings of the international Conference, Erlangen, April 2–3, 1998. Niemeyer, Tübingen 1999, ISBN 3-484-75020-0, (Beiträge zur Dialogforschung 20), S. 83–100.
Weblinks
- urban-dictionary.com – Wörterbuch zur Netz- und Jugendsprache umfangreiches Wörterbuch, das frei erweitert werden kann, überwiegend Begriffe aus dem englischen Sprachraum.
- Chat-Slang und Akronyme
- Wörterbuch des russischen Netzjargons (russisch-deutsch)
- Abkürzungen aus Internet-Slang und Gamer-Jargon
- Tom Chatfield: The 10 best words the internet has given English. In: guardian.co.uk, 17. April 2013.
- Onlinesprache – Wörterbuch für den Netzjargon
Einzelnachweise
- Florian Schmidt: Das große Internet-Slang-ABC: So einfach sprechen Sie online! In: Computer Bild. 16. April 2014, abgerufen am 27. Dezember 2021 (deutsch).
- Michele Zappavigna: Discourse of Twitter and Social Media: How We Use Language to Create Affiliation on the Web. In: Continuum Discourse. Continuum, 2012, ISBN 978-1-4411-3871-2, S. 127.
- Yingjun Yan: World Wide Web and the Formation of the Chinese and English. 2006, ISSN 1001-5795 (semanticscholar.org [abgerufen am 29. Dezember 2021]).
- Web Jargon Origins Revealed. In: PCWorld. Abgerufen am 31. Dezember 2021 (amerikanisches Englisch).
- Gretchen McCulloch: Because internet : understanding the new rules of language. New York, NY 2019, ISBN 978-0-7352-1093-6.
- Lara L. Eller: Instant message communication and its impact upon written language. In: Graduate Theses, Dissertations, and Problem Reports. 1. Mai 2005, doi:10.33915/etd.1591 (wvu.edu [abgerufen am 31. Dezember 2021]).
- Astrid Herbold: Kommunikation: Chats belegen das Gegenteil von Sprachverfall. In: Die Zeit. 14. Januar 2013, abgerufen am 4. Oktober 2021.