Moscoviada
Moscoviada (ukrainisch Московіада, wiss. Transliteration Moskoviada) ist ein 1993 erschienener Roman des ukrainischen Schriftstellers Jurij Andruchowytsch. Er erzählt die Geschichte des Literaturstudenten Otto von F. nach, der in den frühen 90er Jahren in Moskau den Untergang der Sowjetunion erlebt. 2006 erschien der Roman in der Übersetzung von Sabine Stöhr beim Suhrkamp Verlag (ISBN 978-3518418260).
Handlung
Die Handlung spielt an einem Tag in einem Moskauer Wohnheim 1992, in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Es werden die Wohnverhältnisse und Konflikte nationaler Gruppierungen beschrieben und der Leser bekommt einen Eindruck vom Leben des ukrainischen Literaturstudenten Otto von F. Am frühen Morgen begibt sich Otto von F. in den Keller zu den Duschen. Es ist sehr still, er hört begeistert einer Frau zu, die in der Frauendusche zu singen beginnt. Gegen alle Regeln schleicht sich Otto von F. in den Frauenduschraum, es ist niemand dort außer ihr, es kommt zu Intimitäten. Zurück in der 7. Etage des Wohnheims in seinem Zimmer, stehen vier Freunde aus dem Wohnheim in seinem Zimmer – sie wollen mit ihm trinken gehen. Sie gehen in die Stadt und stehen lange Schlange, um billiges Bier aus Plastikbechern zu trinken. Otto von F. ist von den banalen Gesprächsinhalten seiner Freunde und von sich selbst genervt und hält aus dieser Laune heraus spontan vor den Anwesenden eine Rede, in der er am Ende die Unabhängigkeit der Ukraine fordert und auch Applaus erhält. Länger kann Otto von F. nicht mehr mit seinen Freunden bleiben, da er noch unbedingt ein Geschenk für Kyrills (ein guter Freund) Sohn besorgen möchte, bevor die Geschäfte schließen. Auf dem Weg dorthin macht er irgendwo halt – es kommt zu einem Gespräch mit einem depressiv dreinschauenden Mann. Nach einer Weile zündet dieser plötzlich eine Granate, Otto von F. schafft es jedoch noch rechtzeitig, sich im Keller eines Restaurants in Sicherheit zu bringen. Dort sucht er eine Toilette auf, in der er bemerkt, dass sein Geldbeutel verschwunden ist. Bei der Verfolgung eines tatverdächtigen Toilettengängers durch den Moskauer Untergrund stürzt Otto von F. unglücklich auf den Boden und verletzt sich am Knie. Der Dieb übt sich in Schadenfreude, möchte gerade mit seiner Beute fliehen, jedoch stürzt er unglücklich in ein offenes Loch, samt Geldbeutel und Fahrschein, der Otto von F. noch nach Kiew bringen sollte. Der Dieb stirbt in der „Moskauer Kloake“. Da die Geschäfte mittlerweile geschlossen haben, sind alle Türen nach oben verriegelt, Otto von F. sucht sich also einen anderen Ausweg und kommt am Ende versehentlich in einen Moskauer U-Bahn-Tunnel, wo er bald von Rattenfängern zum KGB gebracht wird, die ebenfalls im Untergrund arbeiten, Otto von F. verhören und in eine Zelle sperren. Galja, eine Liebschaft Ottos, hilft ihm jedoch schon bald, aus der Zelle zu entfliehen, und gibt ihm eine ungefähre Beschreibung für den Ausweg. Auf dem Fluchtweg jedoch gerät er zufällig in einen geschmückten Konferenzsaal in ein Gelage von Geheimdienstmitarbeitern und Funktionären. Otto von F. nimmt an der Gesellschaft teil und trifft dort auch einen alten Bekannten, der ihm eine Prostituierte aufdrängt. Bei dem Versuch, mit ihr zu schlafen, wird Otto von F. jedoch übel – er übergibt sich auf der Toilette. Dort trifft er auf einen alten Mann, der ihm rät, auf jeden Fall an dem Symposium der Toten teilzunehmen, gleich um die Ecke, ebenfalls im Untergrund. Da alle Anwesenden verkleidet sind, entschließt sich Otto von F., als Clown zu erscheinen. Einige der Gäste sind als bekannte Persönlichkeiten der russischen Geschichte verkleidet, z. B. als Lenin oder als Iwan der Schreckliche. Auf der Versammlung hält jemand mit einer Strumpfhose über dem Kopf eine Rede mit bolschewistisch-ideologischem Inhalt. Otto von F. wird dies alles zuwider, er möchte unbedingt wieder ans Tageslicht. Plötzlich taucht Sascho, ein Geheimdienstmitarbeiter, auf, dem Otto von F. geglaubt hatte entwischt zu sein. Beide hielten vorher einen längeren Dialog in der Gefängniszelle. Obwohl Sascho für den Geheimdienst arbeitet, stellt sich nun heraus, dass auch er die Nase von der bolschewistischen Ideologie voll hat, die den Sozialismus in der ganzen Welt errichten möchte. Er teilt Otto von F. mit, dass es keinen Ausweg gibt, außer alle Anwesenden zu erschießen. Mit Saschos Waffe erschießt Otto von F. nach und nach alle Anwesenden und zum Schluss sich selbst. Obwohl Otto von F. nun ebenfalls tot ist, reist er trotzdem noch nach Kiew in seine Heimat. Der Regen, der schon am frühen Tag angefangen hat, findet immer noch kein Ende – Moskau ertrinkt in einer Flut.
Stil
Der Schreibstil ist von einer durchgehend sarkastischen, zynischen, absurden und ironischen Lebendigkeit durchzogen, gerade um die sowjetische Ideologie ihrer Illusionen zu berauben oder die bittere trostlose Alltagsrealität Moskaus bzw. der sozialistischen Welt zu betonen. Die Handlung wird in weiten Teilen in der 2. Person erzählt, was den Eindruck erweckt, man würde direkt die Gedankengänge des Protagonisten mitverfolgen, die Zwiegespräche, die er mit sich selbst führt. So erscheint die Geschichte in weiten Teilen regelrecht surreal und die Handlung verliert sich des Öfteren in den Tagträumen von F.s. Der Erzählstil erscheint häufig vulgär und von Schimpfwörtern und Wörtern der Umgangssprache durchsetzt.
Motive
Während der Handlung gibt es immer wieder seitenweise innere Dialoge mit einem fiktiven ukrainischen König Olelko II. oder Erinnerungen an frühere Ereignisse, wie z. B. der Tod eines Freundes, der aus dem 7. Stock des Wohnheims gestürzt ist, nur weil das Wohnheim abgeschlossen war und er draußen an Alkohol gelangen wollte. Häufig wird auch die Multinationalität des Umfeldes, in dem sich von F. aufhält, betont, was sich in der Mehrsprachigkeit der Dialoge (die in der deutschen Übersetzung allerdings außen vor gelassen wurde) und der häufigen Stereotypisierung einzelner Volksgruppen der Sowjetunion äußert.