Mos italicus
Der mos italicus (lat. italienische Sitte/Gewohnheit) ist eine Methode der italienischen Scholastiker der Fortsetzung des von den Glossatoren und Kommentatoren im Mittelalter begründeten Rechtsbetriebs. Die Vertreter des mos italicus befassten sich während der frühen Neuzeit in traditioneller Auseinandersetzung mit den Texten der Rechtsbücher Corpus iuris civilis und des Corpus iuris canonici. Die bedeutendsten Wegbereiter waren Bartolus de Saxoferrato und Baldus de Ubaldis.[1]
Die überkommenen Rechtstexte wurden ahistorisch als überzeitliche Autorität anerkannt, als richtig und nicht widersprüchlich. Die Juristen beschäftigten sich in der von der Theologie beeinflussten wissenschaftlich Scholastik mit dem Inhalt der Gesetzesbücher. Sie erklärten die Bedeutung und Wirkungsweise der einzelnen Regeln, sagten, wann diese jeweils Anwendung fanden, und harmonisierten scheinbar widersprüchliche Regeln miteinander, indem die Gesetzestexte ausgelegt wurden. Nachdem die Glossatoren anfänglich Glossen zwischen die Zeilen der Texte oder in Form von Randbemerkungen eingebracht hatten, hatten die Kommentatoren begonnen, Kommentare und andere Literaturformen als Auslegungshilfe abzusetzen. Insbesondere die Kommentatoren überlegten, in welcher Weise die Regeln des Corpus iuris civilis für die Rechtspraxis dienlich gemacht werden konnten. In der Praxis bestanden Gewohnheitsrechte, die mit den Regeln ebenso in Übereinstimmung gebracht werden mussten, wie lokale Rechte und Einflüsse des Corpus iuris canonici.
Der mos italicus wurde während der neuzeitlichen Bewegung des französischen Renaissance-Humanismus von den Vertretern des sogenannten mos gallicus kritisiert.[2] In Frankreich setzte sich der mos gallicus als akademische Strömung durch. In Italien und Deutschland hingegen blieb der mos italicus die bestimmende Bearbeitungsmethode in Rechtsfragen, dies sowohl an den Universitäten als auch in der gerichtlichen Praxis. Anders als bei der durch den mos gallicus geprägten „humanistischen Jurisprudenz“ Frankreichs, die mittels des iustinianischen Gesetzeswerks das klassische römische Recht zu erforschen suchte,[3] beschränkte man sich in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert auf die spätantiken Errungenschaften ohne Rückbesinnung auf dessen Herkunft aus dem klassischen Recht. Daraus entwickelte sich der usus modernus pandectarum.[4]
Einzelnachweise
- Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 60–62.
- Vgl. eine Übersicht bei Isabelle Deflers: Recht/Rechtswissenschaft. In: Manfred Landfester (Hrsg.): Renaissance-Humanismus. Lexikon zur Antikerezeption, Darmstadt 2014, Sp. 807–815.
- Vgl. insoweit Michael L. Monheit: Legal Humanism. In: Paul Frederick Grendler (Hrsg.): Encyclopedia of the Renaissance, Band 3, New York 1999, S. 230–233, hier: 231.
- Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 120 f.