Kommentatoren
Kommentatoren ist die Bezeichnung für eine Gruppe von Rechtsgelehrten, die sich zwischen dem späten 13. und dem Ende des 15. Jahrhunderts mit der Auslegung der Texte des so genannten Corpus Iuris Civilis beschäftigten. Sie prägten den von Italien ausgehenden mos italicus, der versuchte die römische Rechtslehre mit der Rechtspraxis zu verbinden.[1]
Konsiliator (lat. consilium: Rat, Gutachten) ist eine andere, auf die gutachterliche Tätigkeit bezogene Bezeichnung der Kommentatoren, die auch Postglossatoren genannt wurden.[2]
Abgrenzung zu den Glossatoren
Im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts entdeckten Vertreter der Rechtsschule von Bologna, nach einer längeren Phase der Verschollenheit, einen Teil des spätantiken Corpus iuris des Kaisers Iustinian wieder, ein zentrales Werk, die Digesten. Die Wissenschaftler lasen die Texte und legten Hand an ihnen an. Sie setzten zwischen die Zeilen des Urtextes Anmerkungen oder schrieben Randbemerkungen auf, sogenannte Glossen. Aufgrund dieser Herangehensweise wurden sie auch Glossatoren genannt. Nicht allein einzelne Wörter, ganze Textpassagen unterlagen dabei einer von der Scholastik geprägten Arbeitsweise. Neben Textexegese, betrieben sie Interpretation.
Die parallel tatsächlich gelebte Rechtspraxis aber war einerseits vom Schaffen der Kanonisten, den Dekretisten, andererseits von lokalen Rechten und Rechtsbräuchen geprägt. Darauf konnten die Glossatoren aufgrund ihrer selbst auferlegten akademischen Starrheit nicht unmittelbar einwirken, zumal der Corpus iuris ihnen keine Handlungsanweisungen für den Rechtsalltag hergab.[3] Für sie war überdies das Gesetz Justinians bereits unmittelbar praktisches Recht und das römische Recht wurde als Recht des abendländischen Imperiums und zugleich mit Allgültigkeitsanspruch wirkendes ius commune betrachtet. Die gleiche Arbeitsweise wurde auf Quellen des Kirchenrechts, insbesondere die Texte des Corpus Iuris Canonici übertragen, die im Mittelalter und auch später in der frühen Neuzeit eine bedeutende rechtspraktische Stellung neben den römischen Rechtstexten einnahmen. Im Laufe der Zeit wurden die Erläuterungen immer detaillierter. Auf diese Weise entstanden schließlich umfangreiche Glossenapparate. Die Arbeit der Glossatoren fand ihren Abschluss im Glossenapparat des Accursius, der Mitte des 13. Jahrhunderts die Glossa ordinaria schuf. Accursius fasste in diesem Werk verschiedene Glossenapparate zu einem einzigen Erläuterungswerk zusammen.
Die auf Accursius folgenden Juristen fertigten keine Glossen mehr an. Gestützt auf eine theologische Scholastik, erkannten die Kommentatoren in Ansätzen für sich bereits, dass Rechtsstoffe auch systematisch erschlossen werden konnten. Negativ stieß ihnen auf, dass glossiertes Recht zum realen kommunalen Statutarrecht nichts beitrug, weil kaum Berührungspunkte gegeben waren. Zur Therapie für die Aktualisierung des Wissensschatzes des Corpus iuris sollten die eigenen rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den praxisbezogenen langobardischen Rechtseinflüssen und dem daneben dominanten kanonischen Recht verknüpft werden, wobei weitere Meta-Literatur entstand. Letztlich erwuchs echtes Juristenrecht, unhistorisch und ausgesprochen autoritätsgebunden. Dieses verhalf dem römischen Recht auf einen Weg im Sinne des vorherrschenden Zeitgeistes.[1]
Diese Schriften – später wurde ihnen die Abfassung in schlechtem Latein attestiert – zeugten von einer sehr rechtsschöpferischen Tätigkeit, die bald das verständige Denken der Zeit prägte und den Nährboden für den mos italicus bereitete, welcher alsbald in großen Teilen Europas seine Anerkennung fand.[4] Insoweit lag keine nur rezeptive Arbeit am römischen Recht vor. Fortentwickelt wurden die wissenschaftlichen Ansätze durch die Erkenntnisse in der Zeit des Humanismus, der den Juristen fortan auch philologisches Wissen und ein historisches Bewusstsein abforderte.[5]
Die Kommentatoren fertigten ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Gesetzesstellen (leges) des Corpus Iuris. Diese Erläuterungen, die dem Quelltext weniger eng folgten als die früheren Glossen, wurden als Kommentare bezeichnet, was den Autoren zur Bezeichnung als Kommentatoren oder auch Postglossatoren verhalf. Die Kommentatoren waren in weit größerem Umfang als ihre Vorgänger tätig, denn sie traten mit den Kanonisten in einen regelrechten Wettstreit um juristische Neuschöpfungen. Beide Disziplinen wurden zu Avantgardisten der modernen Privatrechtsdogmatik und etablierten den bis ins 17. Jahrhundert vorherrschenden Stil der europäischen Jurisprudenz, erstmals vorübergehend gebremst durch den Purismus der Humanisten. Ihnen gelang es die bestehenden lokalen, klerikalen und römischen Rechtsansätze miteinander in Einklang zu bringen und das römische Recht damit alltagstauglich zu machen.[3] Insbesondere schufen sie zu den schwierig zu entscheidenden Rechtsfällen Gutachten, so genannte consilia. Diese Rechtsgutachten wurden gesammelt und veröffentlicht. Von dieser Gutachtertätigkeit rührt die Bezeichnung der Kommentatoren als Konsiliatoren her.
Die Kommentatoren erschlossen Rechtsgebiete, die den politisch-sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht wurden. Institutionen und Disziplinen, für die im justinianischen Recht – von kasuistischen Einzelregelungen abgesehen – noch die rechtlichen Grundlagen fehlten, weil sie kirchlicher oder germanischer Herkunft waren, wurden von ihnen entwickelt, so ein Strafrecht in complexu, interlokales- und Handelsrecht, sowie den Prozess für Streitigkeiten daraus. Auch Ehegüterrecht, Bodennutzungsrechte und das Recht der Korporationen erlangte unter ihnen Konturen.[6] Die Auslegung justinianischer Texte war freier und unbekümmerter vorzunehmen, als es noch bei den Glossatoren geschah. Aufgenommen wurden die Veröffentlichungen in der Konsilienliteratur.
Soweit die öffentliche Wahrnehmung der Glossatoren vornehmlich noch von der „spirituellen Romidee des Hochmittelalters“ getragen war, so war „die Autorität der Konsiliatoren wesentlich schon in der Bewältigung einer Gegenwart begründet“ (Wieacker).[7] In der Zusammenschau beeinflussten sowohl die Theorie der Glossatoren als auch darauf aufbauend die Praxis der Konsiliatoren die Gesellschaftsordnung Europas nachhaltig, denn die neue Rechtswissenschaft bediente klassische europäische Maßstäbe für öffentliche Auseinandersetzungen, den rationalen Geist und ein methodisches Bewusstsein.
Bedeutende Vertreter
Die ersten Juristen, die sich zur Kommentatorenschule rechnen lassen, waren – wie Petrus de Bellaperthica und Jacobus de Ravanis († 1296) – Ende des 13. Jahrhunderts in Südfrankreich tätig. Insbesondere Cino da Pistoia (etwa 1270–1336), Zeitgenosse und Landsmann Dantes sowie Autor der Lectura super Codice (Kommentar zu den ersten neun Büchern des Codex Iustinianus), machte die neue Richtung in Italien bekannt. Zu den Schülern des Cinus gehörte Bartolus de Saxoferrato (1313–1357), der gemeinsam mit seinem Schüler Baldus de Ubaldis (1327–1400) der bedeutendste Vertreter der Kommentatorenschule sein dürfte, die Ansichten dieser beiden Juristen erlangte in der gerichtlichen Praxis nahezu gesetzesgleiche Wirkung. Die Kommentare des Bartolus werden von der Forschung als noch bedeutender angesehen als die Glossa ordinaria des Accursius.
Aus dem 15. Jahrhundert verdienen Paulus de Castro († 1441) und Iason de Mayno (1435–1519) Erwähnung. Iason de Mayno war Lehrer von Andreas Alciatus (1492–1550), dem Begründer der neuen humanistischen Jurisprudenz (auch: mos gallicus), die auf einem exakten philologischen und historischen Quellenverständnis beruhte und sich weniger um die praktische Anwendung des rezipierten römischen Rechts sorgte. Auch nach Iason gab es noch praktisch orientierte Juristen, die nach der Methode der Kommentatoren arbeiteten. Diese Anhänger des sogenannten mos italicus (italienische Methode, weil die wichtigsten Kommentatoren Italiener waren, während die Hauptvertreter der neuen humanistischen Rechtswissenschaft in Frankreich wirkten) im 16. und 17. Jahrhundert werden aber nicht mehr als Vertreter der Kommentatorenschule angesehen.
Die Konsiliatoren begünstigten ab dem 15. Jahrhundert die Vollrezeption des römischen Rechts auch in Deutschland.
Literatur
- Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 2 Rnr. 7 (S. 24).
- Norbert Horn: Die legistische Literatur der Kommentatorenzeit und die Ausbreitung des gelehrten Rechts. In: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte. Band 1: Mittelalter (1100–1500). Die gelehrten Rechte und die Gesetzgebung. Beck, München 1973, ISBN 3-406-03631-7. S. 261–364.
- Paul Koschaker: Europa und das Römische Recht. 4. Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. München, Berlin 1966. S. 87–105.
- Martin Schermaier: Die Bestimmung des wesentlichen Irrtums von den Glossatoren bis zum BGB (= Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte. Band 29). Böhlau Verlag Wien/Köln/Weimar 2000.
- Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. S. 80–96.
Einzelnachweise
- Paul Koschaker: Europa und das Römische Recht. 4. Auflage, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung. München, Berlin 1966. S. 87 ff. (87 f.).
- Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2., neubearbeitete Auflage von 1967, 2. unveränderter Nachdruck, 13.–14. Tausend. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1996, ISBN 3-525-18108-6, S. 80 ff.
- Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. S. 80 f.
- Gerhard Dulckeit: SZ, romanistische Abteilung (RA, ISSN 0323-4096) 56, 400 f.
- Zur Textkritik siehe Hans Erich Troje: Humanistische Jurisprudenz, Goldbach 1993, S. 51–58.
- Wolfgang Kunkel, In: Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte. Erster Band, Halbband: Landrechte des 16. Jahrhunderts (Weimar 1938), bes. IX ff.
- Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. 2. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, 1967. S. 87.