Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten

Als Missbrauch v​on rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten bezeichnet m​an eine missbräuchliche Ausnutzung d​es Steuerrechts z​um Zwecke d​er Steuerumgehung o​der Steuerminderung. Nach § 42 Abgabenordnung i​st in e​inem solchen Fall d​ie Steuer s​o zu erheben, w​ie sie b​ei einer angemessenen rechtlichen Gestaltung z​u erheben wäre. Eine Steuergestaltung i​st dem Gesetzeswortlaut zufolge missbräuchlich, w​enn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • es wird eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt
  • die Gestaltung führt zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil
  • der Steuerpflichtige kann keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe nachweisen

Anwendungsbereich

Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO k​ann grundsätzlich a​lle Steuerarten betreffen.[1] Enthalten d​ie Einzelsteuergesetze Regelungen, d​ie Gestaltungsmissbrauch verhindern sollen und i​st der Tatbestand dieser einzelsteuergesetzlichen Regelungen erfüllt, bestimmen s​ich die Rechtsfolgen jedoch n​icht nach § 42 AO, sondern n​ach den Einzelsteuergesetzen.

Tatbestandsmerkmale

Unangemessene rechtliche Gestaltung

Die Unangemessenheit i​st für j​ede Steuerart n​ach den jeweils z​u Grunde liegenden Wertungen d​es Gesetzgebers gesondert z​u prüfen.

Es steht dem Steuerbürger zu, seine steuerlichen Angelegenheiten dergestalt zu regeln, dass möglichst wenig Steuern zu zahlen sind. Deshalb ist zu beachten, dass der Wille, durch eine gewählte Gesetzesgestaltung Steuern zu sparen, noch kein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. v. § 42 AO darstellt. Eine Gestaltung, welche ohne Berücksichtigung der Steuereffekte unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig erscheint, wird von der Finanzverwaltung regelmäßig auf Gestaltungsmissbrauch geprüft. Indizien für die Unangemessenheit sind dabei z. B.:[2]

  • die Gestaltung wäre von einem verständigen Dritten in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ohne den Steuervorteil nicht gewählt worden;
  • die Vor- oder Zwischenschaltung von Angehörigen oder anderen nahe stehenden Personen oder Gesellschaften war rein steuerlich motiviert;
  • die Verlagerung oder Übertragung von Einkünften oder Wirtschaftsgütern auf andere Rechtsträger war rein steuerlich motiviert.

Gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil

Bei d​er Prüfung, o​b die gewählte Gestaltung z​u Steuervorteilen führt, s​ind die steuerlichen Auswirkungen d​er gewählten Gestaltung m​it der hypothetischen steuerlichen Auswirkung e​iner angemessenen Gestaltung z​u vergleichen. Dabei s​ind auch solche Steuervorteile z​u berücksichtigen, d​ie nicht b​eim handelnden Steuerpflichtigen selbst, sondern b​ei Angehörigen o​der nahestehenden Personen eintreten.[3]

Das Tatbestandsmerkmal i​st nicht erfüllt, w​enn der Steuervorteil gesetzlich vorgesehen ist. Trotzdem k​ann eine missbräuchliche Gestaltung a​uch an Normen, d​ie ein bestimmtes Verhalten steuerlich fördern wollen, anknüpfen.

Beachtliche außersteuerliche Gründe

Gestaltungmissbrauch l​iegt nur vor, w​enn der Steuerpflichtige k​eine beachtlichen außersteuerlichen Gründe nachweist. Außersteuerliche Gründe ergeben s​ich z. B. a​us dinglich bzw. wirtschaftlich wirksamen Verfügungen (Eigentumsübertragungen[4], Änderungen d​es haftungsrechtlichen Status[5]) o​der auch a​us der Vermeidung außersteuerlicher Rechtsfolgen.[6] Um d​ie Beachtlichkeit außersteuerlicher Gründe z​u beurteilen, i​st regelmäßig e​ine Einzelfallprüfung erforderlich.

Rechtsfolgen

Liegt Gestaltungsmissbrauch vor, entsteht d​er Steueranspruch so, w​ie er b​ei einer wirtschaftlich angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre. Der Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten i​st nicht strafbar. In Zusammenhang m​it einem Gestaltungsmissbrauch k​ann aber – w​ie sonst a​uch – e​ine leichtfertige Steuerverkürzung o​der Steuerhinterziehung vorliegen, w​enn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unrichtige o​der unvollständige Angaben macht, u​m das Vorliegen e​iner Steuerumgehung z​u verschleiern.[7]

Einzelfälle

In folgenden – h​ier nur verkürzt wiedergegebenen Fällen – h​aben Finanzgerichte Gestaltungsmissbrauch bejaht:

Kein Gestaltungsmissbrauch l​iegt nach d​er finanzgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich i​n folgenden Fällen vor:

  • Die Gewährung eines zinslosen Gesellschafterdarlehens und dessen anschließende zinsbringende Verwendung durch die Gesellschaft, um durch die Verlagerung von Erträgen auf die Gesellschaft den Verbrauch eines vom Verfall bedrohten Verlustabzugs zu erreichen.[11]
  • Die disquotale Gewinnausschüttung, um einem Gesellschafter den Verlustausgleich zu ermöglichen, auch wenn der Gesellschafter die Gelder anschließend wieder zurückzahlt.[12]
  • Die Zahlung von Barunterhalt an Kinder bei gleichzeitiger Wohnungsvermietung an selbige und Verrechnung des Barunterhalts mit der Miete.[13]
  • Die lebzeitige Änderung des ehelichen Güterstands für eine nicht steuerbare Übertragung von Vermögen auf den ausgleichsberechtigten Ehepartner (sog. Güterstandsschaukel).[14]

Schikaneverbot

Der Missbrauch v​on rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO i​st abzugrenzen v​om zivilrechtlichen Schikaneverbot i​n § 226 BGB, wonach d​ie Ausübung e​ines Rechts unzulässig ist, „wenn s​ie nur d​en Zweck h​aben kann, e​inem anderen Schaden zuzufügen“.

Einzelnachweise

  1. vgl. Anwendungsbereich der Abgabenordnung in § 1 AO
  2. AEAO zu § 42, Nr. 2.2
  3. AEAO zu § 42, Nr. 2.3
  4. FG Düsseldorf, Urteil vom 18. Juni 2007, Az. 17 K 923/05, EFG 2007, 1696 (im Urteilsfall: Übertragung von Gesellschaftsanteilen)
  5. Pahlke/Koenig/Koenig: Abgabenordnung § 42 Rn. 26
  6. BFH, Urteil vom 18. Dezember 1996, Az. XI R 12/96, BStBl. II 1997, 374
  7. AEAO zu § 42, Nr. 3
  8. BFH, Urteil vom 26. März 1996, Az. IX R 51/92, BStBl. S. 443
  9. BFH, Urteil vom 23. Oktober 2002, Az. I R 39/01, BFH/NV S. 289
  10. FG München, Urteil vom 17. September 1991, EFG 1992, 278.
  11. BFH, Urteil vom 17. Oktober 2001, Az. I R 97/00, BFHE 197 S. 63
  12. BFH, Urteil vom 19. August 1999, Az. I R 77/96, BStBl. 2001 II S. 43
  13. BFH, Urteil vom 19. Oktober 1999, Az. IX R 30/98, BStBl. 2000 II S. 223
  14. BFH, Urteil vom 12. Juli 2005 – II R 29/02

Literaturverzeichnis

  • Ax / Große / Melchior: AO und FGO (Blaue Reihe), Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 19. Auflage, ISBN 978-3-7910-2592-6
  • Scheel / Brehm / Holzner: AO und FGO (Grüne Reihe), Erich Fleischer Verlag, Achim, 17. Auflage, ISBN 978-3-8168-1027-8

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