Michael Verhoeven
Leben
Verhoeven begann seine Karriere als jugendlicher Darsteller in Filmen der 1950er Jahre (so in Das fliegende Klassenzimmer, Der Jugendrichter und Der Pauker mit Heinz Rühmann), entschloss sich aber dann, Medizin zu studieren, promovierte 1969 über Psychiatrische Maskierung von Gehirntumoren unter besonderer Berücksichtigung irreführender Befunde und arbeitete einige Jahre als Arzt, unter anderem in Boston, wohin er seiner Frau Senta Berger gefolgt war. Ende der 1960er Jahre gründete er gemeinsam mit ihr die Filmproduktionsfirma Sentana und begann, als Regisseur Filme zu drehen.[1]
Sein experimenteller Anti-Vietnam-Kriegsfilm o.k. sorgte als Wettbewerbsbeitrag bei der Berlinale 1970 für einen großen Skandal, der dazu führte, dass der Wettbewerb abgebrochen wurde und ohne Preisverleihung blieb.[2]
1982 verfilmte er die Geschichte der Geschwister Scholl in Die weiße Rose. Für seinen Film Das schreckliche Mädchen (1990) erhielt er eine Oscar-Nominierung als bester ausländischer Film. Diese beiden Filme und weitere, die sich mit der Geschichte des Dritten Reichs beschäftigen, sorgten dafür, dass Michael Verhoeven zu einem der wichtigsten politischen deutschen Filmregisseure wurde.
Dem Fernsehpublikum wurde er bekannt durch die Produktion der Serie Die schnelle Gerdi sowie der Fortsetzung Die schnelle Gerdi und die Hauptstadt.
Seit 1992 war Michael Verhoeven Eigentümer des Kino Toni am Antonplatz in Berlin, das er im Januar 2018 verkaufte. Nach langen Verhandlungen mit der Treuhand kaufte Verhoeven 1995 auch ein Gebäude im Stadtbezirk Prenzlauer Berg und errichtete in dem zuletzt leerstehenden Olympia-Filmtheater zusammen mit der Yorck Kino GmbH neue fünf Kinosäle des Filmtheater am Friedrichshain. Auch diese Immobilie hat er später verkauft.
Jeweils zusammen mit Senta Berger wurde er 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2002 mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet. 2005 erhielt Michael Verhoeven den Marion-Samuel-Preis.
Im Jahr 2000 drehte Verhoeven seinen ersten Dokumentarfilm: Der Fall Liebl – Ein Bayer in Togo, über einen Spätaussiedler, der sich mit der deutschen Bürokratie nicht auskannte und dem drohte, abgeschoben zu werden. 2006 erschien nach siebenjähriger Arbeit sein zweiter Dokumentarfilm Der unbekannte Soldat über Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung.[3] In seinem 2008 erschienenen Dokumentarfilm Menschliches Versagen befasste sich Verhoeven mit der Frage, in welchem Ausmaß die deutsche Zivilbevölkerung von der Entziehung von jüdischem Vermögen in der NS-Zeit profitierte.[4] In seinem 2011 in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk entstandenen Dokumentarfilm Die zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe befasst sich Verhoeven mit dem vermeintlichen Schwerverbrecher afroamerikanischer Herkunft Romell Broom und dessen Hinrichtung am 15. September 2009 in Lucasville, Ohio, die 18-mal misslang und schließlich abgebrochen wurde.
Michael Verhoeven war 2003 eines der Gründungsmitglieder der Deutschen Filmakademie.
Privatleben
Er ist Sohn des Schauspielers und Regisseurs Paul Verhoeven (1901–1975) und der Schauspielerin Doris Kiesow (1902–1973), Bruder von Lis Verhoeven (1931–2019) und Onkel der Schauspielerin Stella Adorf. Seit 1966 ist er mit der Schauspielerin Senta Berger verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne: Simon Vincent (* 1972) und Luca Paul (* 1979).
Filmografie (Auswahl)
Kino
- 1954: Das Fliegende Klassenzimmer
- 1955: Marianne
- 1955: Griff nach den Sternen
- 1958: Der Pauker
- 1960: Mit 17 weint man nicht
- 1960: Der Jugendrichter
- 1960: … und noch frech dazu!
- 1962: Ich kann nicht länger schweigen
- 1962: Wenn beide schuldig werden
- 1963: Das Haus in Montevideo
- 1963: Jack und Jenny
- 1964: Lausbubengeschichten
- 1966: Onkel Filser – Allerneueste Lausbubengeschichten
- 1970: o.k.
Fernsehen
- 1965: Die fünfte Kolonne (Fernsehserie) – Folge: Blumen für Zimmer 19
- 1969: Der Kommissar – Dr. Meinhardts trauriges Ende
- 1971: Der Kommissar: Kellner Windeck
- 2004: René Deltgen – Der sanfte Rebell (Fernsehdokumentation; Zeitzeuge)
Kino
- 1967: Paarungen (auch Drehbuch)
- 1969: Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter
- 1969: Der Bettenstudent oder: Was mach’ ich mit den Mädchen?
- 1969: Tische (Kurzfilm)
- 1970: Strandkörbe (unvollendet)
- 1971: Bonbons ... R, DA, Pro, Kurzfilm, 10 Min.
- 1970: o.k. (auch Drehbuch), Internationale Filmfestspiele Berlin 1970
- 1971: Wer im Glashaus liebt… Der Graben (Kinofilm, auch Drehbuch), Internationale Filmfestspiele Berlin 1971
- 1973: Coiffeur ... (R, DA, Pro, Kurzfilm)
- 1973: Über die Jahre (Dokumentarfilm, unvollendet)
- 1977: Gefundenes Fressen (auch Drehbuch)
- 1980: Sonntagskinder (auch Drehbuch)
- 1982: Die weiße Rose (auch Drehbuch)
- 1983: Die Spider Murphy Gang (nur Drehbuch)
- 1986: Killing Cars (auch Drehbuch)
- 1990: Das schreckliche Mädchen (auch Drehbuch)
- 1995: Mutters Courage (auch Drehbuch)
- 2006: Der unbekannte Soldat (Dokumentarfilm)
- 2008: Menschliches Versagen (Dokumentarfilm)
- 2011: Die zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe (Dokumentarfilm)
- 2016: Willkommen bei den Hartmanns als Produzent
Fernsehen
- 1970: Der Kommissar: Dr. Meinhardts trauriges Ende
- 1972: Tatort: Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer
- 1973: Sonja schafft die Wirklichkeit ab oder … ein unheimlich starker Abgang – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1974: Krempoli – Ein Platz für wilde Kinder (Fernsehserie) (auch Drehbuch)
- 1975: Die Herausforderung: Rest des Lebens - TV-Film
- 1976: MitGift – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1977: Bier und Spiele (14-teilige Fernsehserie)
- 1977: Das Männerquartett - TV-Film
- 1978: 1982: Gutenbach – TV-Film
- 1978: Freundinnen (Fernsehreihe) Folge: Edith und Marlene
- 1979: Verführungen – TV-Film
- 1980: Am Südhang – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1980: Die Ursache – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1982: Die Mutprobe – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1983: Liebe Melanie – TV-Film
- 1984: Das Tor zum Glück – TV-Film
- 1986: Stinkwut – TV-Film
- 1986: Gegen die Regel – TV-Film
- 1987: Gundas Vater – TV-Film
- 1988: Semmelweis, Ignaz – Arzt der Frauen – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1989: Die schnelle Gerdi (Fernsehserie) (auch Drehbuch)
- 1990: Das Mädchen und die Stadt – TV-Film
- 1990: Schlaraffenland – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1992: Lilli Lottofee – Mini-Serie (auch Drehbuch)
- 1993: Eine unheilige Liebe – TV-Film (auch Drehbuch)
- 1998: George Tabori - Theater ist Leben (TV-Dokumentarfilm)
- 1999: Zimmer mit Frühstück – TV-Film
- 2000: Der Fall Liebl (TV-Dokumentarfilm)
- 2000: Enthüllung einer Ehe – TV-Film (auch Drehbuch)
- 2002: Die kleine Schwester. Die Weiße Rose – ein Vermächtnis (TV-Dokumentarfilm)
- 2004: Die schnelle Gerdi und die Hauptstadt (Fernsehserie) (auch Drehbuch)
- 2005: Tatort – Die Spieler
- 2008: Bloch – Vergeben, nicht vergessen
- 2012: Bloch – Heißkalte Seele
- 2013: Bloch – Die Lavendelkönigin
- 2014: Let’s go! – TV-Film (auch Drehbuch)
- 2014: Glückskind – TV-Film (auch Drehbuch)
Auszeichnungen
- 1971: Filmband in Gold (Drehbuch) für O.k.
- 1975: Goldene Kamera (Regie) für Die Herausforderung
- 1981: Arles: Französischer Kritikerpreis für Sonntagskinder
- 1982: Amiens: Grand Prix für Sonntagskinder
- 1982: Internationales Filmfestival Karlovy Vary: Rose der Antifaschisten für Die weiße Rose
- 1983: Filmband in Silber für Die weiße Rose
- 1983: DAG-Fernsehpreis in Gold für Die Mutprobe
- 1990: Silberner Bär auf der Berlinale 1990 für Das schreckliche Mädchen
- 1991: Oscar-Nominierung für Das schreckliche Mädchen
- 1994: Mitglied der Akademie der Künste Berlin
- 1998: Josef-Neuberger-Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf
- 1999: Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
- 2001: Robert-Geisendörfer-Preis (Regie, Fernsehen: Enthüllung einer Ehe)
- 2002: Bayerischer Verdienstorden
- 2003: Medaille München leuchtet in Gold
- 2005: Goldener Ochse – Ehrenpreis des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern an Senta Bergers und Michael Verhoevens Sentana-Filmproduktion
- 2005: Marion-Samuel-Preis der Stiftung Erinnerung für das Gesamtwerk
- 2006: Achievement Award des Jüdischen Filmfestivals (Jerusalem) für seinen beständigen Einsatz gegen den Nationalsozialismus
- 2007: Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises
- 2009: Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste[2]
- 2009: Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin
- 2009: Herbert-Strate-Preis der Filmstiftung NRW und des Kinoverbands HDF Kino
- 2010: Simon-Snopkowski-Preis
- 2012: Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke als Ehrenpreis
- 2013: Filmpreis der Landeshauptstadt München
- 2015: Hans-Vogt-Filmpreis
- 2016: Bayerischer Filmpreis in der Kategorie Beste Produktion für Willkommen bei den Hartmanns (gemeinsam mit Max Widemann, Quirin Berg und Simon Verhoeven)
- 2022: Helmut-Käutner-Preis
Literatur
- Corinna Müller: Michael Verhoeven – Schauspieler, Regisseur, Autor, Produzent. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 1, 1984.
- Michael Verhoeven: Paul, ich und wir. Die Zeit und die Verhoevens. Ullstein Verlag, Berlin, ISBN 3-550-07860-9.
- Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 8: T – Z. David Tomlinson – Theo Zwierski. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 158 ff.
Filmdokumentation
- Die Verhoevens. Dokumentarfilm von Felix Moeller, Deutschland 2003, 75 Minuten
Weblinks
- Michael Verhoeven in der Internet Movie Database (englisch)
- Michael Verhoeven bei filmportal.de
- Michael Verhoeven beim Bundesverband Regie
- Bayerisches Vietnam und ein schwieriger Filmkuss. WDR 5 Erlebte Geschichten vom 7. Juli 2013 (Audio)
- „Die Berlinale hatte mir gegenüber ein schlechtes Gewissen“ Michael Verhoeven im Interview mit Susanne Messmer und Bert Schulz in Die Tageszeitung (taz) vom 10. Februar 2018.
Einzelnachweise
- Deutschlandfunk: Zwischentöne - Der Filmregisseur Michael Verhoeven im Gespräch mit Klaus Pilger, 31. Januar 2016
- Bayerischer Rundfunk: Filmregisseur Michael Verhoeven im Porträt, 26. Juni 2012
- Der unbekannte Soldat. Dokumentarfilm von Michael Verhoeven. 3sat, August 2009, abgerufen am 21. Juni 2018.
- Menschliches Versagen. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 5. Oktober 2016.