Menschenfresser (Tier)
Als Menschenfresser gelten umgangssprachlich einzelne Tiere, die sich auf das Töten und Fressen von Menschen spezialisiert haben. Dieses Verhalten ist selten, denn es setzt voraus, dass Wildtiere oder Menschen in den jeweils anderen Lebensraum vorgedrungen sind. Bei Großkatzen weicht es von den üblichen Ernährungsgewohnheiten ab. Einige Raubtiere gingen wegen einer großen Zahl menschlicher Opfer als Menschenfresser in die Geschichte ein. Den bekannten Rekord[1] hält die Tigerin von Champawat in Nordindien mit 436 registrierten Todesfällen, bis sie 1907 von Jim Corbett erschossen wurde.[2]
Die Furcht vor Menschenfressern – besonders vor Tigern – und mythologische Vorstellungen haben in den betroffenen Gebieten ihren Niederschlag in Volkserzählungen gefunden.[3] Das Phänomen ist ferner ein Thema der Unterhaltungsliteratur.
Sozialverhalten
Menschen tötende und fressende wilde Tiere stammen aus nur wenigen Tiergruppen:
- Haie: Weißer Hai, Bullenhai, Tigerhai, Blauhai, Makohai
- Reptilien: Komodowaran, verschiedene Krokodile, verschiedene Riesenschlangen
- Großkatzen: Tiger, Löwe, Leopard
- Bären: Braunbär, Eisbär
Da Raubtiere selten in von menschlicher Zivilisation geprägten Lebensräumen vorkommen, ereignen sich Zwischenfälle meistens in entlegenen und naturnahen Gebieten. Die meisten dokumentierten Berichte über Menschenfresser wurden von den Behörden der Kolonialverwaltungen in Asien und Afrika im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert erstellt. Demnach wurden um 1900 in Britisch-Indien ungefähr 1200 Menschen überwiegend durch Tiger und in der geringeren Zahl der Fälle durch Leoparden getötet. Im Jahr 1946 starben in einem Gebiet auf Java 64 Menschen durch Tigerangriffe.[4] Durch die zu früheren Zeiten erheblich höhere Population an Tigern waren hohe Opferzahlen überwiegend vor dem 20. Jahrhundert zu verzeichnen.[5]
Unter den Schlangen sind prinzipiell Anakondas und Netzpythons, die sechs Meter lang werden können und Wildschweine und Affen fressen, in der Lage, auch Menschen zu verschlingen.[6] Über einen in Indonesien von einem Python verschlungenen Mann wurde 2017 berichtet.[7]
Einzelne Fälle
- Haiangriffe an der Küste von New Jersey (1916)
- Bestie des Gévaudan, ein Raubtier mit legendären Zügen, dem 1764 bis 1767 in Frankreich etwa 100 Menschen zum Opfer fielen
- Wolf von Ansbach, ein Wolf, der um 1685 eine unbekannte Anzahl Menschen getötet haben soll.
- ein Menschen fressender Leopard im Dorf Punani in Sri Lanka 1924
- die Menschenfresser von Tsavo: zwei Löwen, die nach offizieller Zählung 28 Menschen töteten und die von John Henry Patterson 1898 erlegt wurden.[8] Verfilmt in Der Geist und die Dunkelheit, 1996
Fiktive Menschenfresser
Der Wolf gilt wie der Hund (in der griechischen Mythologie Kerberos) als Tier des Totenreichs. In den illustrierten Handschriften zum Schembartlauf des 15. Jahrhunderts zeigt eine Abbildung eine Wolfsgestalt, die einen Menschen im Arm trägt und so als Menschenfresser charakterisiert wird.[9]
Die Kurzgeschichte The Man-Eater von William Knighton (1834–1900) handelt von einem als Menschenfresser charakterisierten Pferd, das aus dem Kampf gegen einen Tiger siegreich hervorgeht.[10] Der Frage, inwiefern Pferde Fleisch fressen, wird seither nachgegangen.[11]
In der zu den Märchen aus Tausendundeiner Nacht gehörenden Erzählung Sindbad der Seefahrer wird der Held von einer Schlange angegriffen und seine beiden Begleiter werden von ihr gefressen.
Im Abenteuerroman 20.000 Meilen unter dem Meer (1870) von Jules Verne greifen ein Riesenkrake und ein Hai das U-Boot Nautilus an und töten mehrere Männer.
Menschenfresser sind auch die Morlocks in H. G. Wells Science-Fiction-Roman Die Zeitmaschine (1895).
In den 1950er-Jahren und vermehrt nach dem Erfolg des Films Der weiße Hai (1975) erschienen viele Filme des Genres Tierhorror. Beispiele hierfür sind Tarantula (1955), Die Vögel (1963), Orca, der Killerwal (1977), Cujo (1983), Arachnophobia (1990), Deep Blue Sea (1999) sowie die Piranha- und Anaconda-Filmreihe. Einige der Produktionen wurden als Trashfilm realisiert.
Literatur
Allgemein:
- Alex McCormick: The Mammoth Book of Man-Eaters: Over 100 Terrifying Stories of Creatures Who Prey on Human Flesh, Carroll & Graf, Juli 2003, ISBN 0-7867-1170-1. (behandelt auch andere gefährliche Tiere)
- Mario Ludwig: Faszination Menschenfresser. Erstaunliche Geschichten über die gefährlichsten Tiere der Welt. Heyne, München 2012.
- John Seidensticker, Susan Lumpkin: Große Katzen. Jahr, Hamburg, ISBN 0-86438-233-2, S. 204–209.
- Lamar Underwood: Man Eaters: True Tales of Animals Stalking, Mauling, Killing, and Eating Human Prey. The Lyons Press, Guilford (CT) 2000, ISBN 1-58574-197-3.
Bären:
- Stephen Herrero: Bear Attacks: Their Causes and Avoidance. The Lyons Press, Guilford (CT) 2002, ISBN 1-58574-557-X.
- Scott McMillion: Mark of the Grizzly: True Stories of Recent Bear Attacks and the Hard Lessons Learned. Falcon, 1998, ISBN 1-56044-636-6.
- Larry Mueller, Marguerite Reiss: Bear Attacks of the Century: True Stories of Courage and Survival, 2005, ISBN 1-59228-270-9.
Tiger:
- Jim Corbett: Man-Eaters of Kumaon. (Oxford India Paperbacks) Oxford University Press, London/New York 1993, ISBN 0-19-562255-3.
- Werner Fend: Ich jagte Menschenfresser – Abenteuer mit Menschen, Tieren und Dämonen. Delphin, München/Zürich 1983, ISBN 3-7735-5165-7.
- Jürgen Osterhammel: Menschenfresser und Bettvorleger. Der Tiger in einer kolonialen Welt. In: Clemens Wischermann (Hrsg.): Von Katzen und Menschen: Sozialgeschichte auf leisen Sohlen. Universität Konstanz, Konstanz 2007, S. 89–107.
- John Vaillant: Der Tiger: Auf der Spur eines Menschenjägers. Ein dokumentarischer Thriller. Blessing 2010, ISBN 3-8966-7380-7.
Löwen:
- John Henry Patterson: The Man-eaters of Tsavo. 1907. Neuauflage: St. Martin’s Press, New York 1986, ISBN 0-312-51010-1 (bei Project Gutenberg)
- Bruce D. Patterson: The Lions of Tsavo: Exploring the Legacy of Africa's Notorious Man-Eaters. McGraw-Hill, New York 2004, ISBN 0-07-136333-5
Leoparden:
- Jim Corbett (Autor), Raymond Sheppard (Illustrator): The Man-eating Leopard of Rudraprayag. 1947. Neuauflage: (Oxford India Paperbacks) Oxford University Press, London/New York 1989, ISBN 0-19-562256-1 (Online bei Internet Archive)
Weblinks
Einzelnachweise
- Top 10 Worst Man Eaters In History. listverse.com, 10. Oktober 2010
- Neale Bates: Tracking Man-Eaters: The Jim Corbett story. ECS Nepal, 12. Juli 2010
- Panchanan Mohanty: The Other Maternal Uncles in Indian Languages. In: Panchanan Mohanty, Ramesh C. Malik, Eswarappa Kasi (Hrsg.): Ethnographic Discourse of the Other: Conceptual and Methodological Issues. Cambridge Scholars Publishing, Newcastle upon Tyne 2009, S. 76
- Jürgen Osterhammel, 2007, S. 93f
- Maja Bilic, Susanne Haldrich, Urte Paul: Gefährliche Tiger. (Nicht mehr online verfügbar.) MDR/LexiTV, 27. Februar 2016, archiviert vom Original am 9. März 2016; abgerufen am 8. März 2016. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Krishna Ramanujan: Study of man-eating snakes: Snakes are predators on, prey of, and competitors with primates. Cornell Chronicle, 13. Dezember 2011
- Missing man found dead in belly of 7m-long python in Indonesia: Report. The Straits Times, 29. März 2017
- Martin Paetsch: Hungrige Löwen: "Menschen sind zweibeinige Proteinquellen". Spiegel Online, 17. Januar 2003
- Adalbert Erler: Friedlosigkeit und Werwolfglaube. In: Paideuma: Mitteilungen zur Kulturkunde, Bd. 1, H. 7, September 1940, S. 303–317, hier S. 308
- William Knighton: The Man-Eater. In: Ders.: The Private Life of an Eastern King. Together with Elihu Jan’s Story or The Private Life of an Eastern Queen. Oxford University Press, London 1921, S. 96–108 (bei Internet Archive)
- Neil Clarkson: Horses as Meat-Eating Killers? The Long Riders Guild Academic Foundation