Massaker von Farneta
Das Massaker von Farneta begann am 2. September 1944 im Kartäuserkloster Farneta (ital. Certosa di Farneta) in der Provinz Lucca, etwa 10 Kilometer westlich von Lucca in der Toskana in Italien. Nachdem es im Kloster zu zahlreichen Verhaftungen gekommen war, wurden die Inhaftierten an unterschiedliche Orte transportiert, wo ein Teil von ihnen einzeln oder in Gruppen im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen wegen Partisanenangriffen durch die SS hingerichtet wurden. Nach Schätzungen sind vermutlich etwa 100 Zivilisten[1] im zeitlichen Verlauf des gesamten Massakers hingerichtet worden. Die mangelhafte juristische Aufarbeitung wird sowohl in Italien als auch in Deutschland und Österreich als Skandal wahrgenommen.
Vorgeschichte
Als im Zweiten Weltkrieg gegen Ende August 1944 die Offensive der alliierten Streitkräfte auf die östliche Gotenstellung an der italienischen Adriaküste und im östlichen Apennin begann, setzte sich auch am westlichen Frontabschnitt der alliierte Vormarsch fort. Das Vorrücken der Alliierten zog eine Absetzbewegung der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ aus dem Raum von Lucca nach sich, die im rückwärtigen Raum der Gotenstellung zu zahlreichen Verbrechen führte.
Kartäuserkloster Farneta
Im weiteren Verlauf der Absetzung von der Front am Arno führten in der Nacht vom 2. September 1944 SS-Truppen der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ eine Razzia im Kartäuserkloster Farneta durch, die von SS-Sturmbannführer Helmut Looß geplant und von Helmut Langer durchgeführt wurde. Der Historiker Carlo Gentile weist daraufhin, dass Looß nicht nur planerisch für das Massaker im Kloster aktiv war, sondern dass für seine Handlungsweise – anlässlich dieses Massakers – eine Verbindung zu den antikirchlichen Maßnahmen seiner früheren Dienststelle, dem SD, anzunehmen ist. Eine derartige Vorgehensweise in einem Kloster findet in der üblichen Partisanenbekämpfung auf dem italienischen Kriegsschauplatz keine weitere Entsprechung.[2] In diesem Kloster hatten zahlreiche Juden und Zivilisten Schutz gesucht. Die SS umstellte das Klostergebäude und nahm Dutzende von Zivilisten, Mönche und auch den Polizeipräsidenten von Livorno fest. Die Festgenommen brachten sie in ein Lager nach Nocchi, wo sie Folterungen und Misshandlungen ausgesetzt waren.[3] Zahlreiche Inhaftierte wurden zum Arbeitseinsatz nach Deutschland transportiert. Diejenigen Personen, die nicht mehr arbeitsfähig waren, wurden zur Abschreckung in verschiedenen Orten für Partisanenüberfälle erschossen (siehe nachfolgend).[4]
Am 4. September 1944 beschossen Partisanen im Dorf Pioppetti di Camaiore ein Militärfahrzeug, dabei kam ein SS-Arzt zu Tode. Daraufhin wurden im Lager Nocchi 35 Inhaftierte ausgewählt, darunter auch Juden und Zivilisten. Sie wurden nach Camaiore gebracht und auf die gleiche grausame Weise wie in Bardine di San Terenzo umgebracht. Sie wurden mit Stacheldraht an Alleebäume gefesselt und durch Schüsse aus Maschinenpistolen getötet. Die SS ließ die Ermordeten an den Bäumen hängen und stellte Schilder auf.[5]
Weitere Zivilisten, die das Massaker von Farneta überlebt hatten, kamen mit den Absetzbewegungen der SS-Truppen ins Gefängnis nach Massa. Dort wurden sie von SS-Männern der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ in weiteren Massakern von Massa erschossen. Darunter waren 15 Geistliche, zehn davon stammten aus dem Kloster Farneta, des Weiteren wurden der Bürgermeister und der Chefarzt der Psychiatrischen Klinik aus Lucca sowie der Polizeipräsident von Livorno auf unterschiedlichen Plätzen der Stadt Massa ermordet.[6]
Urteile
Helmut Langer wurde im Jahr 2005 von einem italienischen Militärgericht in Rom – in Abwesenheit – zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil wurde nicht vollstreckt,[7] obwohl ein europäischer Haftbefehl vorlag.[8]
Helmut Loos tauchte nach dem Kriegsende unter und wurde nie angeklagt.
Der SS-Unterscharführer Eduard Florin,[9] der im Kloster bekannt war und deshalb erreichen konnte, dass die Mönche des Klosters die Pforten für die Männer Waffen-SS an diesem Tag öffneten, wurde im September 1946 in La Spezia vor Gericht gestellt und freigesprochen.[10]
Gedenken
In Certosa in der Via della Chiesa Sesta erinnert eine Gedenktafel aus Carrara-Marmor an die Opfer des Massakers am 2. September 1944.[1]
Literatur
- Friedrich Andrae: Auch gegen Frauen und Kinder: der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943–1945. Piper, München 1995, ISBN 3-492-03698-8.
- Carlo Gentile: Politische Soldaten. Die 16. SS-Panzer-Grenadier-Division „Reichsführer-SS“ in Italien 1944. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken. 81, 2001, S. 529–561.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. (Köln, Univ., Diss., 2008.)
Einzelnachweise
- Certosa di Farneta. Region Toskana / Provinz Lucca, auf Gedenkorte Europa 139-1945. Abgerufen am 18. September 2019.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. S. 301/302.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. S. 233.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. S. 233/234.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. S. 234.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. S. 234/235.
- 61 Jahre danach. Lebenslange Haft für EX-SS-Offizier wegen Massaker in Italien, vom 25. November 2005, auf News Österreich. Abgerufen am 18. September 2019.
- Ex SS della strage di Farneta libero nonostante l'ergastolo (italienisch), vom 26. November 2011, auf Lanazione. Abgerufen am 18. September 2019.
- Der Überfall der SS auf die Kartause Farneta, auf Verfolgung der Katholischen Kirche durch Nazis. Abgerufen am 12. Oktober 2019.
- Carlo Gentile: Wehrmacht und Waffen-SS im Partisanenkrieg: Italien 1943–1945. Schöningh, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-76520-8. S. 284.