Marter der zehntausend Christen
Die Marter der zehntausend Christen ist ein Gemälde des Malers Albrecht Dürer aus dem Jahr 1508 im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Marter der zehntausend Christen |
---|
Albrecht Dürer, 1508 |
Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen |
99 × 87 cm |
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie 835 |
Beschreibung
Das Bild macht zuerst den Eindruck eines Wimmelbildes mit einem Durcheinander von nackten und bekleideten Figuren. Auch die Landschaft mit knorrigen Baumformen und urwaldähnlicher Vegetation ist ungewöhnlich für Dürer.
Gezeigt wird der Märtyrertod von zehntausend Soldaten, die nach der Legende von den Zehntausend Märtyrern um das Jahr 120 gefoltert und hingerichtet wurden.[1] Die Märtyrer werden geköpft und gekreuzigt, mit einem Holzhammer werden ihre Knochen zerschlagen. Eine Menschenkolonne wird auf einen Felsen hinaufgetrieben und von dort in den Abgrund gestürzt. Im Mittelgrund nähern sich die Henker einem Bischof, während ein vornehmer Gefolgsmann des prächtig ausgestatteten Reiters Anweisungen erteilt.
Ausgenommen von dem grausigen Geschehen um sie herum sind die beiden Figuren im Zentrum des Bildes. Hier steht Dürer in Begleitung eines älteren Mannes, dessen Identität nicht eindeutig geklärt ist. Es soll sich um den 1508 verstorbenen Humanisten und Dichter Conrad Celtis handeln, der hier als Glaubenszeuge auftritt.[2]
Die beiden sind aus einer anderen Zeit und betrachten disputierend das Geschehen. Auf einem Cartellino, den Dürer auf einem Stab hält, ist das Gemälde signiert und datiert: Iste faciebat an(n)o domini 1508 albert(us) dürer aleman(us), er trägt zusätzlich Dürers Monogramm.
Kommentar
Geschichtlicher Hintergrund ist der gemeinsame Kampf des Fürsten Achatius von Armenien mit seinen 9.000 Mann mit dem Heer Kaiser Hadrians gegen Aufständische. Achatius trat auf Grund einer Lichterscheinung mit seinen Soldaten zum christlichen Glauben über. Danach besiegten sie die Aufständischen ohne Hadrian.
Als Hadrian vom Massenübertritt zum Christentum erfuhr, verbündete er sich mit Barbarenfürsten und nahm die geschwächte Armee des Achatius gefangen. Beeindruckt durch die Tatsache, dass die neuen Christen ihre Religion trotz Marter nicht verleugneten, ließen sich 1.000 Gefolgsleute des Kaisers ebenfalls taufen. Angeblich wurden sie gemeinsam mit den Soldaten des Achatius in Dornen gestürzt, gekreuzigt oder gepfählt.
Das Thema ist historisch nicht verifizierbar. Achatius wurde besonders von den Teilnehmern der Kreuzzüge verehrt.
Anderen Quellen zufolge handelt es sich um eine Christenverfolgung unter dem Perserkönig Sapor II., der im Jahr 343 den Erzbischof von Seleucia-Ksetiphon mit hundert Bischöfen und vielen Geistlichen hinrichten ließ.
Dieses Massaker bot Dürer die Möglichkeit zur Darstellung ungewöhnlicher Verrenkungen. In keinem anderen Werk hat er eine so große Zahl an verschiedenen Körperstellungen dargestellt. Bei der Zusammenstellung der Szene schöpfte Dürer aus seinem ganzen Mustervorrat. Auch wenn er keine 10.000, sondern lediglich 60 Märtyrer und etliche Schergen darstellte, handelt es sich doch um eines seiner figurenreichsten Gemälde.
Der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin schrieb 1905 in seinem Buch „Die Kunst Albrecht Dürers“:
„Man bedauert Dürer, daß er einen solchen Stoff habe behandeln müssen. Ich fürchte mit Unrecht. Er hat lange und mit Hingebung an dem Bilde gearbeitet und fand es gut... Dürer nahm den Stoff rein von artistischer Seite: Nacktes, Bewegung, Verkürzung, Reichtum ohne Unklarheit, Bewältigung des großen Raumes mit sicherer Handhabung der perspektivischen Verkleinerung.“[3]
In Kindlers Malerei-Lexikon heißt es zu diesem Bild:
„Dieses 1508 vollendete »Kabinett- und Wunderstück« ist von harter Farbigkeit; die grausame Genauigkeit, womit alle Arten von Martern eindringlich geschildert sind, machen das Bild für den modernen Betrachter nur schwer genießbar.“[4]
Geschichte
Die „Marter der zehntausend Christen“ wurde sehr selten in der spätmittelalterlichen Kunst dargestellt. Dürer hatte die in mittelalterlichen Legendensammlungen geschilderte Szene jedoch bereits um 1496/97 im Holzschnitt „Zehntausend Märtyrer“ dargestellt.
Unmittelbarer Anlass für den Auftrag war wohl die Reliquiensammlung des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen in der Schlosskirche Wittenberg, für die das Gemälde bestimmt war und in der sich auch angeblichen Reliquien der zehntausend Soldaten befanden, die zum Christentum übergetreten waren, darunter ihre Anführer Achatius und Ermolaus. Dürer erhielt den Auftrag vom sächsischen Kurfürsten Friedrich 1507 und wurde für dieses Werk mit 280 Gulden fürstlich entlohnt.
Fast gleichzeitig mit den „Zehntausend Märtyrern“ erhielt Dürer den Großauftrag zum so genannten Heller-Altar für den Frankfurter Tuchhändler und Bürgermeister Jakob Heller.
Eine von Johann Christian Ruprecht im Jahr 1653 angefertigte Kopie von Dürers Marter der zehntausend Christen befindet sich im Besitz des Kunsthistorischen Museums in Wien.[5]
Literatur
- Christoph Stöcker: Dürer, Celtis und der falsche Bischof Achatius. Zur Ikonographie von Dürers "Marter der Zehntausend". In: Artibus et Historiae. Band 5, Nr. 9, 1984, S. 121–137, JSTOR:1483172.
- Fedja Anzelewsky: Albrecht Dürer. Das malerische Werk, 2. neubearbeitete Auflage, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 1991.
- Jan Paul Niederkorn: Kaiser Rudolf II., ein krimineller Botschafter und Dürers ’Marter der zehntausend Christen’. In: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 10, 2008, S. 128–139.
- Heike Schlie: ’Überzeugen’ im Kontext religiösen Wissens. Testimoniale Vernetzungen im Wittenberger Heiltumsbuch von Lucas Cranach und in Dürers Marter der Zehntausend. In: Über Zeugen. Szenarien von Zeugenschaft und ihre Akteure. Fink, Paderborn 2017, ISBN 978-3-7705-5732-5, S. 271–304.
Weblinks
- Marter der zehntausen Christen auf der Webseite des Kunsthistorischen Museums Wien
Einzelnachweise
- Legende der Zehntausend Märtyrer im Ökumenischen Heiligenlexikon. Abgerufen am 5. Januar 2018.
- Vgl. Christina Posselt: Kommentar. In: Joachim von Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675–1680, wissenschaftlich kommentierte Online-Edition. Thomas Kirchner, Alessandro Nova, Carsten Blüm, Anna Schreurs, Thorsten Wübbena, 1. Juli 2009, abgerufen am 9. Juni 2013. Die Dürer begleitende Person wurde manchmal als Willibald Pirckheimer identifiziert, so bei Joachim von Sandrart (vgl. Joachim von Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675–1680, wissenschaftlich kommentierte Online-Edition, Bd. 1, 1675, II, Buch 3, S. 224. Wissenschaftlich kommentierte Online-Edition hrsg. von Thomas Kirchner, Alessandro Nova, Carsten Blüm, Anna Schreurs, Thorsten Wübbena, abgerufen am 9. Juni 2013.). Albert Gümbel identifizierte ihn als Degenhart Pfäffinger, Albert Gümbel: Der kursächsische Kämmerer Degenhart von Pfeffingen, der Begleiter Dürers auf der "Marter der zehntausend Christen" (= Studien zur deutschen Kunstgeschichte 238). Heitz, Straßburg 1926.
- Schmied: Harenberg Museum der Malerei.
- Kindlers Malerei-Lexikon, S. 2549.
- Marter der zehntausen Christen von Ruprecht nach Dürer auf der Webseite des Kunsthistorischen Museums Wien.