Leaving Neverland
Leaving Neverland ist ein zweiteiliger Dokumentarfilm von Dan Reed, der am 25. Januar 2019 auf dem Sundance Film Festival 2019 Premiere hatte. Im Mittelpunkt des Films steht der von zwei heute erwachsenen Protagonisten erhobene Vorwurf des sexuellen Kindesmissbrauchs gegen Michael Jackson. Sie und ihre Angehörigen schildern, wie sich ihre Beziehung zu dem US-amerikanischen Superstar entwickelte, er ihre Karriere förderte und die beschriebenen Übergriffe ihr späteres Leben beeinträchtigten.
Film | |
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Titel | Leaving Neverland |
Originaltitel | Leaving Neverland |
Produktionsland | USA, Vereinigtes Königreich |
Originalsprache | Englisch |
Erscheinungsjahr | 2019 |
Länge | 236 Minuten |
Stab | |
Regie | Dan Reed |
Produktion | Dan Reed |
Musik | Chad Hobson |
Kamera | Dan Reed |
Schnitt | Jules Cornell |
Besetzung | |
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Im deutschsprachigen Raum wurde der Film am 6. April 2019 auf ProSieben und auf SRF zwei gezeigt.
Handlung / Inhalt
Im ersten Teil erzählen der 36-jährige Choreograf Wade Robson und der 40-jährige James Safechuck in Interviewszenen, wie sie unabhängig voneinander Michael Jackson kennenlernten und für eine Zeit lang Teil seines Lebens wurden. Auch ihre Angehörigen kommen zu Wort und schildern die Geschehnisse aus ihrer Sicht. Safechuck spielte 1987 in einem Werbefilm mit Jackson, als er zehn Jahre alt war, mit. Robson aus Brisbane war fünf Jahre alt, als er 1987 bei einem Tanzwettbewerb in Australien ein Treffen mit dem Sänger gewann. Beide Jungen werden von dem Popstar eingeladen, Zeit mit ihm zu verbringen. Sie sind begeistert davon, dass der Weltstar ihr Freund sein möchte, und auch ihre Familien sind tief beeindruckt, ihm so nah zu sein und an seinem Leben teilhaben zu dürfen.
Die Interviews werden durch Aussagen von Familienangehörigen und Ehepartnern ergänzt. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Frage aufgeworfen, warum die Eltern einwilligten, ihre Kinder mit einem Mann allein zu lassen, den sie nicht wirklich kannten, und sie ihre Söhne unbeaufsichtigt im selben Raum mit dem Mann schlafen ließen.[1]
Der zweite Teil zeigt die Gerichtsprozesse gegen Jackson, beginnend 1993 mit dem Fall des 13-jährigen Jordan Chandler, der behauptete, der Sänger habe ihn sexuell missbraucht, als er auf dessen Ranch übernachtete. Zudem zeigt die zweite Hälfte, wie Robson und Safechuck erst Jahre nach den Geschehnissen zu der Erkenntnis kamen, traumatisiert zu sein. Sowohl Safechuck als auch Robson berichten im Film, dass sie auf Jacksons Neverland-Ranch bei zahlreichen Gelegenheiten missbraucht worden seien und dass Jackson „Alarm“ ausgelöst habe, wenn sich Dritte näherten, worauf sich die Jungs anziehen mussten. Beide Männer behaupten, der Missbrauch sei mit zunehmendem Alter noch schlimmer geworden. Ihre Aussagen werden im Film mit Liebesbriefen und Audiobotschaften unterstützt, die Jackson an die Jungen schickte. Im Film werden auch Details einer Schein-Hochzeitszeremonie zwischen dem damals neunjährigen Safechuck und dem Pop-Sänger geschildert. Safechuck sagt, er habe dabei eine Hochzeitsurkunde und einen Ring als Symbol für „ihre unsterbliche Liebe“ erhalten.
Während der mutmaßlichen Missbrauchsjahre, in Robsons Fall zwischen seinem siebten und 14. Lebensjahr, soll Jackson den beiden Jungen wiederholt gesagt haben, dass sie nichts von den Geschehnissen in seinem Haus verraten dürften. Wenn doch, würden sowohl er als auch die Jungen zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt werden. Ihre Loyalität gegenüber Jackson soll ihnen das Gefühl gegeben haben, sich nicht offenbaren zu können. So sollen die Jungen gegenüber ihren Eltern, ihren zukünftigen Ehefrauen und auch im Gerichtssaal gelogen haben.
Hintergrund
Wade Robson sagte bei einer späteren Gerichtsverhandlung unter Eid aus, dass Jackson sich ihm niemals unangemessen genähert habe. Später nahm er diese Aussage zurück und berichtete von jahrelangen sexuellen Übergriffen.[2] Jackson wurde 2003 wegen Kindesmissbrauchs angeklagt, jedoch nach einem langen Gerichtsprozess am 13. Juni 2005 in allen Anklagepunkten freigesprochen. Nach Jacksons Tod im Jahr 2009 erhoben sowohl Robson als auch Safechuck Zivilklagen gegen Jackson Estate. Im Jahr 2017 wies ein Richter die Klagen ab und argumentierte, dass das Jackson Estate nicht für das Verhalten des Sängers haftbar gemacht werden könne.[3]
Safechuck nennt als einen der Orte, an denen er bis 1992 sexuell missbraucht worden sei, die Bahnhofsstation Neverland, die aber erst 1994 gebaut wurde. Regisseur Reed erklärte dazu, dass der Missbrauch falsch datiert sei. In protokollierten Vernehmungen hatte Robsons Mutter bis 2016 ausgesagt, er sei bis 1993 nie allein mit Jackson auf Neverland gewesen. Robson selbst hatte bis 2012 auch in mehreren Interviews wiederholt, dass Jackson ihn nie angefasst habe.[4]
Produktion
Regie führte Dan Reed.
Der Film wurde am 25. Januar 2019 im Rahmen des Sundance Film Festivals erstmals gezeigt.[5] Aufgrund der Androhung von Protesten durch Fans von Michael Jackson gab es vor dem dortigen Egyptian Theatre am Tag der Premiere ein Großaufgebot der Polizei.[3] Letztlich fanden sich nur einige Protestler ein, die Schilder mit Aufschriften wie „Seek Truth“ und „Innocent“ präsentierten.[6] Dennoch patrouillierten Polizisten mit Sprengstoffspürhunden in der Gegend.[7] Mitte Februar 2019 wurde ein erster Trailer vorgestellt.[8] Am 3. März 2019 wurde die erste Hälfte von Leaving Neverland bei HBO und auf Channel 4 gezeigt, am folgenden Tag der zweite Teil.[2][9] Oprah Winfrey lud nach der Ausstrahlung Regisseur Dan Reed, Robson und Safechuck zu einem Interview ein.[10]
Im deutschsprachigen Raum lief der Film am 6. April 2019 auf ProSieben in der Hauptsendezeit, auf SRF zwei spätabends.[11][12][13] In der SRF-Mediathek ist der Film zwei Wochen lang verfügbar, dieser ist dort auch tagesüber verfügbar, da der Film ab 12 Jahre freigegeben ist (Art. 5 RTVG).[12] Nach der Ankündigung des Senders, Leaving Neverland zeigen zu wollen, sorgte dies im Netz für Entrüstung und hitzige Diskussionen, woraufhin ProSieben bekanntgab, vor der um 20.15 Uhr startenden Doku ein eigenproduziertes Special zu zeigen, das helfen soll, den Film einzuordnen und zu ergänzen. ProSieben-Chefredakteur Stefan Vaupel gab dazu bekannt: „In unserem ProSieben-Spezial stellen wir Fragen, die die Dokumentation nicht stellt, und setzen uns mit den bedeutendsten Momenten im Leben des Superstars auseinander. Zudem gehen wir der Frage nach, wie die neuen Vorwürfe den Blick auf das Gesamtwerk von Michael Jackson verändern. Das hilft, die besondere Dokumentation ‚Leaving Neverland‘ einzuordnen.“[14]
Rezeption
Kritiken
Der Film erhielt bislang von 98 Prozent der Kritiker bei Rotten Tomatoes eine positive Bewertung und hierbei durchschnittlich 8 von möglichen 10 Punkten.[15]
Owen Gleiberman von Variety beschreibt Leaving Neverland als überwältigend kraftvoll, überzeugend und mächtiger als alles, was man bislang zu diesem Thema gesehen habe, angefangen bei einem ausführlichen Artikel in Vanity Fair aus dem Jahr 1993. Dan Reed zwinge einen dazu, sich der Realität zu stellen, dass das größte Pop-Genie seit den Beatles unter seinem Talent ein Monster war. Leaving Neverland sei kein Thriller, aber unbestreitbar eine Art wahrer Horrorfilm. Gleiberman stellt die Frage, wie ein vernünftiger Elternteil dem Arrangement, nach dem die Jungs für Spieltermine zu ihm kommen und das Bett mit ihm teilen durften, zustimmen konnte, doch ohne sie vom Haken zu lassen, zeige Leaving Neverland, wie sich die Eltern unter dem Bann von Jackson befanden und von dessen Berühmtheit erdrückt wurden. Dass die Kinder dies geschehen ließen, werde im Film mit einer Art Liebe erklärt, die sie ihm gegenüber verspürten, weshalb sie alles getan hätten, was nötig war, ihn zu erfreuen. So fange der Film eines der größten Übel sexuellen Kindesmissbrauchs ein, nämlich dass die Opfer ihn zu dieser Zeit möglicherweise nicht als „falsch“ erleben.[16]
David Fear von Rolling Stone ergänzt, der Film zeigt auch, wie sexueller Missbrauch Narben auf der Psyche hinterlasse, dass Ruhm verführerisch genug sein kann, insbesondere in Bezug auf die Eltern, moralische Kompasse zu verzerren, und wie kompliziert es sein kann, wenn man von jemandem verletzt wird, den man liebt.[7] Marcus Schuler sagt in einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur, vor allem interessant sei, wie Reed am Beispiel von Jackson „die Masche eines Pädophilen“ aufdeckt und zeige, wie dieser zwei Familien auseinandergerissen habe, eine Masche, die genauso gut für den Nachbarn von Nebenan oder den „netten Onkel“ gelten könne.[17]
Nina Rehfeld von Spiegel Online verweist in ihrer Kritik auf eine Aussage in der New York Times, nach der die Geschichte des Michael Jackson die längste Zeit von Jackson selbst geschrieben wurde, in der er als Philanthrop, Pazifist und Kinderfreund dargestellt wurde. Jetzt werde diese Geschichte aus einer anderen Perspektive dargeboten, was fraglos ein Zeichen des „MeToo“-Zeitalters sei, so Rehfeld: „Leaving Neverland ist die Geschichte eines labilen Egomanen, der sich in einer Kinderrolle inszeniert, die in keinem Verhältnis zu seinem Einfluss und seinem Alter steht; der in dieser Rolle jungen Kindern Sex als Liebesbeweis verkauft; der seinen Opfern Geheimhaltung einschärft; der sie, sobald sie die Pubertät erreichen, gegen neue, jüngere austauscht. Und der sich einen Dreck darum schert, dass er Familien bezirzt, auseinanderreißt, benutzt, wegwirft.“ Weiter verweist Rehfeld auf die in den US-Medien diskutierte Frage, wie mit einem weiteren „monströsen Genie“ umzugehen sei, eine Frage, die die Kulturwelt schon im Hinblick auf Figuren wie Charles Dickens, Pablo Picasso, James Brown und Roman Polański gequält habe: „Kann man die Kunst Jacksons, der die Popmusik formte wie kaum ein Zweiter, getrennt vom Künstler betrachten? Muss man, sofern das überhaupt möglich ist, abschwören von allem, was Jackson schuf? Oder muss man sich vielmehr die beunruhigende Vielschichtigkeit dieser Story vergegenwärtigen?“[18]
Marietta Steinhart von Zeit Online merkt an, nach vier Stunden, wenn der Film zu Ende ist, sei es fast unmöglich, sich nicht betroffen zu fühlen, so kraftvoll und belastend seien die Berichte, die der Regisseur hier vorlegt.[1]
Owen Gleiberman von Variety erklärt zum Aufbau des Films, die zweite Hälfte von Leaving Neverland, die sich hauptsächlich der Frage widmet, wie Robson und Safechuck erst nach Jacksons Tod verstanden, dass sie traumatisiert sind, sei wesentlicher Grund, warum der Film so wichtig sei. Es gebe jedoch auch ein Element von Leaving Neverland, das weitgehend unbeleuchtet bleibe: „Was war mit Michael Jackson selbst los? Es bleibt an uns, zu spekulieren, was ihn zum Täter gemacht hat.“[16]
Auszeichnungen
Critics’ Choice Documentary Awards 2019
- Nominierung als Bester Dokumentarfilm[19]
Eddie Awards 2020
- Nominierung in der Kategorie Bester Filmschnitt – Dokumentarfilm (Small Screen) (Jules Cornell)[20]
Primetime-Emmy-Verleihung 2019
- Auszeichnung in der Kategorie Documentary or Nonfiction Special (Dan Reed, Nancy Abraham und Lisa Heller)
- Nominierung in der Kategorie Directing for a Documentary/Nonfiction Program (Dan Reed)
- Nominierung in der Kategorie Sound Editing for Nonfiction Program (Ross Millership und Poppy Kavanagh)
- Nominierung in der Kategorie Sound Mixing for a Nonfiction Program (Matt Skilton und Marguerite Gaudin)
- Nominierung in der Kategorie Picture Editing for a Nonfiction Program (Jules Cornell)[21]
Producers Guild of America Awards 2020
- Auszeichnung in der Kategorie Producer of Non-Fiction Television[22]
Weblinks
- Leaving Neverland in der Internet Movie Database (englisch)
- Leaving Neverland im Programm des Sundance Film Festivals (englisch)
Einzelnachweise
- Marietta Steinhart: „Leaving Neverland“: Die verlorenen Jungen von Neverland. In: Zeit Online, 4. März 2019 (Seite 2).
- Dominic Patten: Michael Jackson Child Sex Abuse Docu Subjects Get Sundance Standing Ovation. In: deadline.com, 25. Januar 2019.
- Alex Young: Michael Jackson documentary Leaving Neverland premieres at Sundance: “More disturbing than you could imagine”. In: consequenceofsound.net, 25. Januar 2019.
- „Leaving Neverland“: Regisseur räumt Fehler bei Jackson-Doku ein. Bild, abgerufen am 5. April 2019.
- Dave McNary: Michael Jackson Sexual Abuse Documentary Added to Sundance Lineup. In: Variety, 9. Januar 2019.
- Tatiana Siegel: Sundance: Premiere of Michael Jackson Doc 'Leaving Neverland' Attracts Small Group of Protestors. In: The Hollywood Reporter, 25. Januar 2019.
- David Fear: ‘Leaving Neverland’: Controversial Michael Jackson Doc Will Leave You Shellshocked. In: Rolling Stone, 1. März 2019.
- First trailer for Michael Jackson documentary 'Leaving Neverland' released. In: The Irish Times, 20. Februar 2019.
- Michael Jackson: Anwälte zeigen Life-Konzerte zur selben Zeit wie Missbrauchs-Doku. In: NOiZZ, 5. März 2019.
- Michael Jackson: Oprah will wissen, wer bei mutmaßlichem Missbrauch geholfen hat. In: noizz.de, 4. März 2019.
- ProSieben zeigt Jackson-Doku „Leaving Neverland“ im April In: Der Standard, 6. März 2019.
- Alte Vorwürfe neu aufgerollt - «Leaving Neverland» – der Dokumentarfilm. In: SRF. 6. April 2019, abgerufen am 6. April 2019.
- Noelle Steiner: Doku Leaving Neverland wird auf SRF zwei gezeigt. Abgerufen am 6. April 2019.
- Tobias Mayer: „Leaving Neverland“ fürs TV ungekürzt: So zeigt ProSieben die Michael-Jackson-Doku. In: filmstarts.de, 6. April 2019.
- Leaving Neverland. In: Rotten Tomatoes. Abgerufen am 16. März 2019. Anmerkung: Das Tomatometer bei Rotten Tomatoes gibt an, wie viel Prozent der angemeldeten Kritiker dem Film eine positive Bewertung gegeben haben.
- Owen Gleiberman: Sundance Film Review: 'Leaving Neverland'. A documentary exposé offers devastatingly powerful and convincing testimony that Michael Jackson was guilty of child sexual abuse. In: Variety, 25. Januar 2019.
- Marcus Schuler im Gespräch mit Oliver Schwesig: Dokumentarfilm „Leaving Neverland“: Schonungsloses Protokoll vor der Kamera. In: Deutschlandfunk Kultur, 5. März 2019.
- Nina Rehfeld: Missbrauchs-Doku "Leaving Neverland": Wie Michael Jackson Familien bezirzte, zerriss, wegwarf. In: Spiegel Online, 5. März 2019.
- Katherine Schaffstall: Critics' Choice Doc Awards: 'Biggest Little Farm,' AOC Film 'Knock Down the House,' Obama-Backed 'American Factory' Among Nominees. In: The Hollywood Reporter, 14. Oktober 2019.
- Carolyn Giardina: 'Ford v Ferrari,' 'The Irishman,' 'Joker' Among American Cinema Editors' Eddie Nominees. In: The Hollywood Reporter, 11. Dezember 2019.
- Emmys 2019: List of Nominations. In: Variety, 16. Juli 2019.
- Producers Guild Awards 2020: Complete list of PGA winners in all 13 categories. In: goldderby.com, 19. Januar 2020.