Kräutergarten Dachau
Der Kräutergarten (Kommandoname: Die Plantage) war Teil des Dachauer Konzentrationslagers, als Versuchsanstalt zur Nutzung pflanzlicher Wirkstoffe und des organisch-dynamischen Landbaus.
KZ-Häftlinge arbeiteten hier als Arbeitssklaven. Das Gelände diente zur Versorgung der Ostfront mit Vitamin C und Pflanzenwirkstoffen und war damit ein Baustein für den geplanten Angriffskrieg. Der Kräutergarten Dachau war nach Kriegsbeginn auch Teil der Planungen der SS-Siedlungspolitik des Rasse- und Siedlungshauptamtes (RuSHA), dargelegt im Generalplan Ost, in Osteuropa.[1]
Die Aktivitäten 1938 bis 1945
Erschließung
Ab Mai 1938 mussten KZ-Häftlinge östlich der Alten Römerstraße und der Würm das Moor trockenlegen und eine große Kräutergartenanlage einschließlich der dazugehörenden Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude errichten. Das Gelände war so groß, wie der gesamte Stadtteil Dachau Ost heute ist. Im Endausbau 1942 waren es 148 ha Fläche, deren Freiflächen die SS zynisch in die Flurnamen "Freiland I" und "Freiland II" unterteilte.
Einrichtungen
Für die Gebäude (Wirtschaftsgebäude, Wachturm, Wohnungen, Werkstätten, Lehrräume, Bibliothek, Labore, Dörrscheune und Gerätehaus), Gewächshäuser, Gewürzmühle, Bienenhaus, Kompostieranlage, Ziergarten und notwendige Einrichtungen und Installationen (Heiz-, Trafo- und Pumpenhaus) wurde nicht gespart und damals ein hochmoderner, industrieller Gartenbaubetrieb eingerichtet.
Kern der Anlage waren zwei langgestreckte Satteldachbauten mit Hof und Torbau. Es wurden vier 6 m breite und 30 m lange Gewächshäuser angelegt, zudem noch zwei 3 m breite und 50 m lange Glashäuser. Bauausführend war das Unternehmen Mehlhorn aus Sachsen. Mehlhorn besaß Patente für die angewandte Konstruktion der Glasbauten: Für die Tragkonstruktion der Verglasung wurde widerstandsfähiges, feuchteresistentes, amerikanisches Redwood-Holz (Sequoia sempervirens) eingesetzt. Damit konnte man die metallische Basistragkonstruktion thermisch von der Glas- und Holz-Außenhaut entkoppeln, um Bauschäden zu vermeiden, die auftreten könnten, da die Außentemperatur von der Innentemperatur eines Gewächshauses erheblich abweichen kann. In den Glashäusern gab es Trennschleusen, um sie in Temperaturzonen zu unterteilen. Der Betonboden konnte zudem temperiert werden. Zur Wasserversorgung der Gewächshäuser gab es Wasserbecken, deren Wasserzuführungen mit Heizleitungen temperiert werden konnten.[2] Es gab eine Wohnbaracke und einen Luftschutzkeller. Während des Krieges wurde die Bauten teilweise erweitert, aber Teile auch nicht fertiggestellt. In den Jahren 1939 bis 1940 wurden rund 1 Mio. Reichsmark aufgewandt.[3]
Treibende Kräfte der Versuchsanstalt waren der spätere "Ernährungsinspekteur der Waffen-SS" Ernst Günther Schenck sowie der Gartenbaumeister Rudolf Lucaß.[3]
Ideologie und Auftrag
Nach dem Willen der SS-unterstellten „Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung GmbH (DVA)“ (Leitung SS-Obersturmbannführer Heinrich Vogel) sollte damit Deutschland, unter dem Einfluss des Autarkie-Gedankens, unabhängig von Medikamenten, Drogen, Gewürzen und Heilpflanzen aus dem Ausland werden.[2] Ihr Forschungsauftrag: Wege abseits der naturwissenschaftlichen finden, die als jüdisch verdächtigt wurden, und Modelle entwickeln, wie man die deutsche Volksgesundheit verbessern könne. Im Sinne der NS-Ideologie sollten die völkischen und naturkundlichen Vorstellungen in einer "deutschen Volksheilkunde" gebündelt werden.[2]
Angeregt durch die esoterischen Lehren Rudolf Steiners wurde eine nationalsozialistische Ableitung des organisch-dynamischen Landbaus (heute würde man sagen: Bio-Landwirtschaft) praktiziert. Im Rahmen der SS-Siedlungspolitik sollten nach einem Sieg über die Sowjetunion, die entvölkerten Gebiete durch deutsche Landwirte besiedelt werden, deren Anbaumethoden im Kräutergarten Dachau entwickelt werden sollten.
Ausgehend von der schlechten Versorgungslage im I. Weltkrieg hatte der Kräutergarten eine kriegswichtige Aufgabe: Die in Dachau angebauten Gladiolen wurden pulverisiert und zu Vitamin C verarbeitet, und als Päckchen für die Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS an die Ostfront geschickt.[1] Eine Mischung aus gemahlenem Basilikum, Thymian, Bohnenkraut diente als deutscher Pfeffer-Ersatz. Auch gab es das Ziel "deutsche Drogen" zu entwickeln, möglicherweise mit dem Motiv den Kampfwillen der Frontsoldaten zu stärken.
Das Leiden der Zwangsarbeiter
Die Arbeitsbedingungen waren mörderisch. Die Geländewahl war denkbar ungünstig: Für den Kräuteranbau war der nasse schwere Moorboden ungeeignet. Er musste umgeschichtet, entwässert und entsäuert werden. Bei Regen versanken die Häftlinge im Schlamm, im Sommer standen sie in der prallen Sonne und arbeiteten sich an einem Boden ab, der hart war wie Beton.[1]
„Niemand wird vergessen, wie die Häftlinge abends in die Lager zurückkehrten. Hinter der Kolonne entkräfteter, taumelnder Menschen wurden immer zehn und mehr Schubkarren mit den Toten und den Sterbenden geschoben.“
Ursprünglich wurden hauptsächlich Juden, Sinti und Roma hier zur Arbeit gezwungen, ab 1942 wurden auf persönliche Weisung von Reichsführer SS Heinrich Himmler vor allem Priester herangezogen.
Ab 1940 waren rund 1.500 Häftlinge im Kräutergarten zwangsbeschäftigt, ca. 300 wurden gleichzeitig eingesetzt, über den gesamten Tag verteilt nimmt man bis zu 1.000 Arbeiter durchschnittlich an.[3] Für den Sommer 1944 zählte die SS 1.600 Häftlingen, die zum Einsatz im Kräutergarten vorgesehen waren. Rund 1/3 davon wurden in den Gebäuden beschäftigt, 2/3 im Außengelände. Die Zahlen schwankten allerdings erheblich, denn in den Wintermonaten wurden nur wenige Arbeiter benötigt, deutlich mehr im Frühjahr und vor allem im Sommer und Herbst wurden die Spitzenwerte erreicht.[3]
Der Einsatz im Außengelände, zumal im Winter, war mörderisch. Die Häftlinge verfügten nur über einen dünnen Drillichanzug und -mantel. Dies bot kaum Schutz vor Kälte und wurde er nass, so mussten die Häftlinge, weil es keine Kleidung zum Wechseln gab, mit nasser Kleidung ins Bett gehen. Die schlechte Versorgung mit Nahrung erhöhte das Leiden der Zwangsarbeiter zusätzlich.[3] Generell erinnerte sich Stanislav Zámečník an die ineffektive, menschenunwürdige Organisation der Arbeit durch die SS im Außengelände: Ab 1941 wurden 400 bis 500 Gefangene auf "Freiland II" eingesetzt. Das Gelände hätte in wenigen Tagen von zwei Pferden gepflügt werden können. Stattdessen wurde die Fläche von Hand mit dem Spaten umgegraben.[5]
Insgesamt fanden hier von 1939 bis 1945 mindestens 800 Gefangene den Tod. Viele, die nicht an Hunger und Strapazen zugrunde gingen, wurden von SS-Männern erschossen, weil sie – genötigt von ihren Aufsehern – eine unsichtbare Grenzlinie überschritten hatten. In den Akten wurde als Todesursache zynisch "Suizid" vermerkt.[1]
Rentabilität der Versuchsanstalt
Die SS ging davon aus, dass ein industrieller Gartenbaubetrieb dieser Dimension nicht durch Arbeiter oder den Arbeitsdienst rentabel geführt werden könnte. Die Planungen liefen daher auf eine Ansiedlung beim KZ Dachau hinaus, da dort Sklavenarbeiter zur Verfügung standen, die man offiziell als "Handarbeitskräfte" bezeichnete. Dabei war es den Verantwortlichen der SS egal, ob es sich um KZ-Häftlingen oder Kriegsgefangene zukünftig handeln würde. Ab 1942 gab es für als Hilfsarbeiter eingesetzte Kräfte einen Lohn von 60 Reichspfennig pro Tag, für Facharbeiter bis zu drei Reichsmark. Allerdings nur auf dem Papier und zur betriebswirtschaftlichen Dokumentation. Das Geld wurde nie ausgezahlt. Menschenverachtende Ausbeutung war das grundlegende Geschäftsmodell in Dachau.[1]
Kontakte zur Bevölkerung
Auf der Rückseite des Wirtschaftsgebäudes hatte die SS eine Verkaufsstelle eingerichtet, an der Bewohner aus Dachau und dem Umland Gemüse einkaufen konnten. Das Elend der KZ-Häftlinge, von dem später niemand etwas gewusst haben wollte – hier konnte jeder es sehen.[1] Es gab rühmliche Einzelfälle, in denen Einheimische wie die Dachauerin Resi Huber den ausgezehrten Häftlingen heimlich Essen zusteckten und Briefe für sie schmuggelten.[1] Allerdings waren SS-Wachmannschaften ständig präsent und Zuwiderhandlungen wurden streng bestraft.
Nutzung nach der Auflösung
Seit 1957 ist das Gelände im Besitz der Stadt Dachau, aber es konnte bislang keine angemessene Nutzung des Ortes als Erinnerungsort gefunden werden.
In den 1980er Jahren wurde der überwiegende Teil der ehemaligen landwirtschaftlichen Anbaufläche in ein neues Gewerbegebiet Ost (Schwarzer Graben) umgewandelt. Erhalten blieben nur Gebäude und ein kleines Areal mit einigen Gewächshäusern.[6] So war der Kräutergarten, von dem heute nur mehr eine fußballfeldgroße Fläche zwischen Gewerbebauten übrig geblieben ist, auch ein Symbol der Verdrängung, des Nichtwissen-Wollens. Und das weit über die Nachkriegszeit hinaus bis in die 1990er Jahre.[1] In den 1980er Jahren wurde das Gelände weitgehend mit Einzelhandels-, Gewerbe- und Wohnflächen bebaut (Gewerbegebiet Dachau Ost). Die KfZ-Zulassungstelle des Landratsamtes hat hier ihren Sitz. Die Stadtwerke Dachau beschlossen 2015 die Buslinie 744, über das Gewerbegebiet Dachau Ost, mit dem Endhaltepunkt "Kräutergarten" zur besseren Anbindung an die Stadt einzurichten.
Die zwischenzeitlich verfallenen Gewächshäuser stehen mittlerweile unter Denkmalschutz, ebenso wie ein Teil der angrenzenden Gebäude.
Die Gebäude wurden ab 2015 von der Stadt Dachau hauptsächlich für Sozialwohnungen und zur Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen verwendet. Sie befinden sich baulich in einem schlechten Zustand und wurden seitens der Stadt Dachau provisorisch gesichert. Allerdings hat die Stadt Dachau teilweise die Gewächshäuser und kleinere Flächen reaktiviert und nutzt dies durch das Stadtbauamt Dachau, Abteilung "Stadtgrün, Umwelt und Stadtbauhof".
Seit langem bestehen seitens der KZ-Gedenkstätte und des Vereins „Zum Beispiel Dachau“ Pläne, den Kräutergarten zu einem ständigen Teil des Gedenkens zu machen.[6] Neben dem Kräutergarten, liegen der KZ-Friedhof Dachau Leitenberg und die SS-Schießstätte Hebertshausen auch außerhalb der eigentlichen Fläche der KZ-Gedenkstätte Dachau. Eine Einbeziehung als ganzheitliche Lösung wird durch die KZ-Gedenkstätte angestrebt.
Auch die amtierenden Oberbürgermeister und die Bürger Dachaus zeigen Interesse aus dem Areal einen Gedenkort zu machen.[7] Vertreter von Stadt, Landkreis und Bundesland hatten bereits in den 2000er Jahren ihre grundsätzliche Unterstützung zugesagt. Es wurden viele Gutachten und Machbarkeitsstudien erstellt, um die Nutzung als "Ausstellungszentrum und Fortbildungshaus" einzuleiten. Allerdings wurden sich bislang Stadt Dachau und das Land nicht über Trägerschaft, Eigentumsverhältnisse und Kosten einig.[7][8][9]
Am 1. und 2. Juni 2012 fand in Dachau eine Tagung von Denkmalschützern, Architekten, Gedenkstättenvertretern und Historikern statt, um über eine zukünftige Nutzung zu beraten. Die Einschätzungen und Vorschläge wurden 2014 in einem Buch festgehalten.[2]
Weblinks
- https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/ns-ernaehrungspolitik-bio-gemuese-im-zeichen-des-hakenkreuzes-1.2419852?reduced=true
- https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/dachau-der-vergessene-garten-1.1870471
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/fluechtlinge-in-dachau-wer-im-glashaus-sitzt.2165.de.html?dram:article_id=327852
- https://www.uni-muenchen.de/informationen_fuer/presse/presseinformationen/2008/f-28-08.html
Literatur
- Gabriele Hammermann/Dirk Riedel (Hrsg.): Sanierung – Rekonstruktion – Neugestaltung. Zum Umgang mit historischen Bauten in Gedenkstätten, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1451-1
Einzelnachweise
- Gregor Schiegl: Bio-Gemüse im Zeichen des Hakenkreuzes. In: https://www.sueddeutsche.de/. SZ Süddeutsche Zeitung, 1. April 2015, abgerufen am 24. November 2019.
- Axel Will, Gabriele Hammermann und Dirk Riedel: Sanierung – Rekonstruktion – Neugestaltung. Zum Umgang mit historischen Bauten in Gedenkstätten. Hrsg.: Axel Will und Gabriele Hammermann. Wallstein-Verlag, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1451-1.
- Dirk Riedel: Sanierung – Rekonstruktion – Neugestaltung. Zum Umgang mit historischen Bauten in Gedenkstätten. Hrsg.: Gabriele Hammermann und Dirk Riedel. Wallstein-Verlag, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8353-1451-1, S. 10.
- Stanislav Zámečník: Das war Dachau, S. 123, Frankfurt a.M. 2007
- Stanislav Zámečník: Das war Dachau. 3. Auflage. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt a. M. 2007, ISBN 978-3-596-17228-3, S. 120.
- KZ-Gedenkstätte Dachau: Statement der KZ-Gedenkstätte Dachau zur Anfrage, ob Flüchtlinge auf dem Gedenkstättengelände untergebracht sind. In: KZ-Gedenkstätte Dachau. KZ-Gedenkstätte Dachau, abgerufen am 24. November 2019.
- Helmut Zeller: Gefährdeter Erinnerungsort. In: https://www.sueddeutsche.de/. SZ Süddeutsche Zeitung, 27. November 2013, abgerufen am 24. November 2019.
- Helmut Zeller: Belasteter Ort. In: https://www.sueddeutsche.de/. SZ Süddeutsche Zeitung, 19. Juli 2019, abgerufen am 24. November 2019.
- Susanne Lettenbauer: Wer im Glashaus sitzt. In: DLF Deutschlandfunk. Deutschlandfunk Kultur, Studio 9, 10. August 2015, abgerufen am 24. November 2019.