Kern-Overhauser-Effekt

Der Kern-Overhauser-Effekt (engl. nuclear Overhauser effect, NOE), benannt n​ach Albert Overhauser, i​st ein Effekt i​n der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR). Er w​urde 1965 d​urch Frank Anet u​nd Anthony Bourn entdeckt, d​ie während d​er NMR-Messung m​it einem zweiten Sender d​ie Resonanz e​ines Protons bzw. e​iner Protonengruppe permanent i​n Sättigung hielten. Bei diesem Entkopplungsexperiment konnte beobachtet werden, d​ass die Resonanz-Intensität räumlich benachbarter Protonen erheblich ansteigt.

Energieniveau-Diagramme für ein System bestehend aus zwei Kernspins (AX-Spinsystem) a) (links) Der Gleichgewichtszustand, bestimmt durch die Boltzmann-Verteilung, b) (mittig) Die Energieniveaus des einen Kerns (A) werden durch die Sättigung gleichbesetzt, die dipolare Kopplung mit Umgebungskernen ermöglicht die Übergänge W0 und W2, c) (rechts) Änderung der Intensität des anderen Kerns (X)

Der Kern-Overhauser-Effekt m​uss vom Overhauser-Effekt abgegrenzt werden, d​er zwischen Kernen u​nd ungepaarten Elektronen w​irkt und 1951–1953 v​on Albert Overhauser entdeckt wurde.[1][2]

Das NOE-Experiment kann anhand eines dipolar gekoppelten Zweizustandssystems zweier Kerne A und X veranschaulicht werden (AX-Spinsystem). Diese sollen räumlich nah sein. Die J-Kopplung ist von dieser Anschauung unberührt, es gilt also .[1] In diesem System existieren die vier Zustände, die in der Reihenfolge zunehmende Energie charakterisiert werden durch und . Diese vier Kernspinzustände finden sich ebenfalls in der rechtsstehenden Abbildung.

Durch einen RF Puls werden beispielsweise alle Übergänge von Spins der A-Kerne induziert. Es findet Absorption statt, bis jeweils die Population des unteren und oberen Niveaus der beiden an der Absorption beteiligten Zustände gleich ist (Sättigung) und kein Gleichgewichtszustand mehr herrscht. Diese Übergänge sind: sowie .

In der oben stehenden Abbildung nehmen entsprechend den sich ändernden Besetzungsverhältnissen die Liniendicken der Zustände und zu (Zunahme der Besetzung), die von und jedoch ab, da sie relativ gesehen entvölkert werden. Zur Erinnerung: im Gleichgewichtszustand, also vor dem ersten RF Puls, ist die Besetzung aller vier Spin-Niveaus unterschiedlich (Vgl. Abbildung a)). Sie wird im Gleichgewicht durch die Boltzmann-Verteilung bestimmt. Wichtig zu beachten ist außerdem, dass in einem NOE-Experiment Kern A angeregt (sprich gesättigt), jedoch Kern X detektiert wird.[3]

Die Intensität eines zweiten, zeitlich verzögerten Pulses beispielsweise auf der Resonanzfrequenz von X, also ist maßgeblich davon bestimmt, wie das im vorangegangenen Schritt gesättigte Zweispinsystem relaxiert. Für die Relaxation ist die dipolare Kopplung die Haupttriebkraft. Die dipolare Kopplung (auch als direkte Kopplung bezeichnet) stellt neben der skalaren Kopplung (auch J-Kopplung, indirekte (Spin-Spin-)Kopplung) den zweiten Kopplungsmechanismus der NMR-Spektroskopie dar. Die aus der dipolaren Kopplung resultierende Relaxationsrate und damit die Intensität hat eine Abhängigkeit vom Abstand zwischen beiden Dipolen (hier: Atomkernen A und X)[4]

Das Relaxationsverhalten des zweiten Kerns kann nur dann stark genug beeinflusst werden, wenn die Abstände der Kerne AX (durch den Raum, through space) klein genug sind (≤5,5 Å). Die dipolare Kopplung zwischen den nahe gelegenen Kernen ermöglicht eine verschiedene Relaxationszeit der bzw. -Populationen und damit die Übergangswahrscheinlichkeit bzw. für den zweiten Puls ( bzw. ). Ergibt die Relaxationsdynamik eine niedrigere Population von und eine höhere Population von als diejenige im Gleichgewicht, ist die Intensität des Übergangs verstärkt.

Vernachlässigt man alle anderen Relaxationsmechanismen und berücksichtigt nur die dipolare Relaxation, so ergibt die Theorie des NOE gemäß der Solomon-Gleichung einen maximalen (Kern-Overhauser-)Verstärkungsfaktor von

.

Nach d​er Formel für d​ie Gesamtintensität

oder auch

kann d​ie maximale Verstärkung b​eim homonuklearen 1H-Experiment s​omit 50 % betragen.

Der NOE w​ird heute für v​iele NMR-Experimente z​ur Struktur- u​nd Konformationsaufklärung großer u​nd kleiner Biomoleküle s​owie ihrer Interaktion verwendet. Hierzu zählt d​ie Strukturbestimmung v​on Peptiden u​nd Proteinen. Ziel e​ines NOE-Experiments i​st weiterhin e​ine semiquantitative Entfernungsmessung a​ber auch e​ine Signalverstärkung mittels NOE u​m unempfindliche Kerne[2] (z. B. 13C) m​it annehmbarem Aufwand messen z​u können (1H-Breitband-Entkopplung i​n der 13C-NMR-Spektroskopie).

Einzelnachweise

  1. Russel S. Drago: Physical methods for chemists. Surfside Scientific Publishers, Gainesville 1992, 2. Auflage, ISBN 0-03-075176-4, S. 306–309.
  2. Harald Günther: NMR-Spektroskopie. Thieme, Stuttgart 1992, 3. Auflage, ISBN 3-13-487503-9, S. 355–364
  3. Joseph B. Lambert, Scott Gronert, Herbert F. Shurvell, David A. Lighner: Spektroskopie. Pearson, München 2012, 2. Auflage, ISBN 978-3-86894-146-3, S. 209–217.
  4. H. Duddeck, W. Dietrich, G. Tóth: Structure Elucidation by Modern NMR . Springer, Berlin Heidelberg 1998, 3. Auflage, ISBN 978-3-7985-1111-8, S. 42.

Literatur

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