Karl Zehnter
Karl Zehnter (* 27. März 1900 in München; † 30. Juni oder 1. Juli 1934 ebenda)[1] war ein deutscher Gastwirt. Zehnter wurde vor allem bekannt als eines der Opfer der Röhm-Affäre im Frühsommer 1934.
Leben und Wirken
Jugend (1900 bis 1924)
Karl Zehnter war das zweite von drei Kindern des Gastwirtes Georg Zehnter und seiner Ehefrau Barbette, geb. Bäumler. Vor ihm geboren wurde die Schwester Margarethe (1897–1954) und nach ihm die Schwester Käthe (1903–1977). In seiner Jugend begann Zehnter in der Gastwirtschaft seiner Eltern, dem Münchener Restaurant „Zum Bratwurstglöckl“, neben dem Liebfrauendom in München zu arbeiten. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1922 und dem Tod seiner Mutter im Jahr 1924 wurde Zehnter neuer Wirt des Restaurants.
Beziehungen zum Kreis um Ernst Röhm
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg begann Zehnter sich in Kreisen der extremen politischen Rechten zu bewegen. Zu Beginn der 1920er Jahre unterhielt er Verbindungen zu dem in München aktiven Freikorps Roßbach, dem er möglicherweise auch zeitweise angehörte. Auf diesem Weg lernte er den Weltkriegsveteranen und Fememörder Edmund Heines, einen der Anführer der „Roßbacher“, kennen, zu dem er freundschaftliche Bande knüpfte. Von 1922 bis 1923 gehörte Zehnter der von Heines geführten 20. Hundertschaft der Münchener SA ("Roßbachgruppe").[2]
Am 8./9. November 1923 nahm Zehnter am Hitler-Putsch teil. Insbesondere nahm er an der Bewachung einiger von den Putschisten in Geiselhaft genommenen und nach Höhenkirchen verschleppter Münchener Stadträte teil.[3]
Im Mai 1924 besuchte Zehnter zusammen mit Heines Adolf Hitler als Gefangenen auf der Festung Landsberg. Nachdem Heines selbst im Juni 1924 für drei Monate als Häftling in die Festung einrücken musste besuchte Zehnter auch ihn wiederholt dort.[4]
Durch Heines lernte Zehnter im Jahr 1924 auch den damaligen Führer der paramilitärischen Organisation Frontbann und späteren NSDAP-Politiker Ernst Röhm kennen, der zu dieser Zeit ein Stammgast von Zehnters Restaurant war. In den folgenden zehn Jahren diente das „Bratwurstglöckl“ als ständiger Treffpunkt und Umschlagsplatz des Freundeskreises um Heines und Röhm, die einen ständig reservierten Stammtisch im Bratwurstglöckl unterhielten. Da diesem Kreis auch zahlreiche Homosexuelle angehörten, wurde in der Literatur vielfach angenommen, auch Zehnter sei homosexuell gewesen.
Als Heines bei der Reichstagswahl vom September 1930 ein Reichstagsmandat für die NSDAP gewinnen konnte und Röhm zum Ende des Jahres 1930 von Adolf Hitler zum Stabschef der SA ernannt wurde, begannen die politischen Gegner der NSDAP ihre Homosexualität als propagandistische Angriffsfläche zu nutzen. Auf diese Weise gerieten auch Zehnter und sein Restaurant in den Fokus der gegen die SA-Führer gerichteten Angriffe der NSDAP-Gegner. Starke Beachtung fand beispielsweise ein am 14. April 1931 in der sozialdemokratischen Zeitung Münchener Post erschienener Artikel mit der Überschrift „Stammtisch 175“ (der § 175 des Strafgesetzbuches stellte damals homosexuelle Beziehungen unter Strafe), in dem „Heines, Röhm, Zentner [sic!] und wie sie alle heißen“ in einem fingierten Brief eines angeblichen früheren NSDAP-Mitgliedes öffentlich als homosexuell identifiziert wurden. Außerdem wurde vom Verfasser des Artikels Genugtuung darüber zum Ausdruck gebracht, dass er der „Clique vom Bratwurstglöckl“ den Rücken gekehrt habe.
Trotz seiner engen Assoziierung mit führenden NS-Politikern trat Zehnter erst am 1. Mai 1933 offiziell in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 3.209.598).
Der Mordfall Karl Zehnter
Am 30. Juni oder 1. Juli 1934 wurde Zehnter im Zuge der Röhm-Affäre verhaftet und ermordet. Wie die Gendarmeriestation Schwabenhausen der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München II meldete, wurde Zehnter am Abend des 30. Juni gegen 19.00 Uhr auf der Straße von Dachau nach Augsburg bei Lengermoos im Auto erschossen und die Leiche im Straßengraben zurückgelassen. Der Tote sei zunächst im Auftrag der Gendarmerie von einem SA-Mann bewacht worden, später jedoch von vier SS-Leuten beschlagnahmt worden, die den SA-Mann mit vorgehaltener Pistole zur Herausgabe des Toten gezwungen hätten. Die darauf anlaufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft kamen zu dem Ergebnis, dass es zweifelsfrei feststände, dass Zehnter von bewaffneten SS-Männern erschossen worden sei, wie der Oberstaatsanwalt dem Generalstaatsanwalt in München berichtete. Da man sich bei der Justizbehörde nicht sicher war, ob die Erschießung zu den politischen Maßnahmen des 30. Juni gehörte und somit unter „Maßnahmen der Staatsnotwehr“ falle, wurde um eine Entscheidung des Bayerischen Justizministeriums über die weitere Verfahrensweise gebeten. Später wurden keine weiteren Ermittlungen angestellt, nachdem der Name Zehnter auf eine Liste von 77 (später 83) Namen gesetzt wurde, deren Tötung Hitler nachträglich billigte und damit der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung entzog.[5]
Die Deutschland-Berichte der Sopade geben den folgenden Bericht von Zehnters Tod der weitgehend mit den (damals noch nicht öffentlich bekannten) Angaben der Staatsanwaltschaft übereinstimmt:
„Der Wirt des Bratwurstglöckls Zehnter ist mit noch einem Nazi, dessen Namen nicht zu ermitteln war, mit einem Kraftwagen auf der Straße nach Ginding geflüchtet. Sie wurden von der SS verfolgt. Das Auto wurde zum Halten gezwungen, die beiden Insassen herausgerissen und sofort auf der Straße niedergeknallt.“[6]
Zehnters Restaurant wurde nach seinem Tod von seiner jüngeren Schwester Käthe und ihrem Ehemann Eduard Staub übernommen. Im Sterberegister des Standesamtes Prittlbach ließ die Bayerische Politische Polizei später wahrheitswidrig das Werk Dachau, d. h. das KZ Dachau, als Sterbeort Zehnters eingetragen.
Die Gründe für die Ermordung Zehnters sind bis heute nicht vollständig gesichert. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass er aus keinem speziellen Grund umgebracht wurde, sondern einfach als Angehöriger des Freundeskreises von Ernst Röhm und Heines auf eine Schwarze Liste geriet, deren Einträge in den Tagen des Putsches abgearbeitet wurden. Hierfür spricht, dass auch zahlreiche andere Personen aus dem Umkreis der angeblich zum Putsch entschlossenen höheren SA-Führer, wie Chauffeure und Adjutanten, erschossen wurden. Als Hintergrund für die Beseitigung dieser relativ bedeutungslosen Personen wird zumeist angenommen, dass die Organisatoren der Säuberungswelle durch die Mit-Beseitigung der Personen des persönlichen Umfeldes der Hauptziele, d. h. der höheren SA-Führer, sicherstellen wollten, dass diese nach der Säuberungswelle keine Entlastungszeugnisse für die Ermordeten mehr geben könnten, indem sie aussagen würden, dass diese die ihnen von der Propaganda unterstellten Putschpläne gar nicht gehabt hätten.
Eine alternative Interpretation des Mordes entstammt der antinazistischen deutschen Exil-Publizistik der 1930er Jahre. Dort wurde in den ersten Jahren nach den Ereignissen des Röhm-Putsches wiederholt die Behauptung aufgestellt, Zehnter sei auf Veranlassung von Joseph Goebbels erschossen worden, der Zehnter als unbequemen Zeugen einer Besprechung von ihm, Goebbels, mit Röhm in einem Zimmer des Bratwurstglöckls wenige Wochen vor den Ereignissen des 30. Juni – bei der Goebbels sich mit Röhm solidarisch erklärt habe – beseitigen lassen. Erstmals nachweisbar ist diese Behauptung in Otto Strassers Schrift Die deutsche Bartholomäusnacht, die Ende 1934 in der Tschechoslowakei erschien, sowie in dem kommunistischen Weissbuch über die Erschießungen vom 30. Juni 1934, zwei Arbeiten, die sich in ihrer Entstehungsphase gegenseitig beeinflussten, so dass nicht eindeutig zu klären ist, wer der ursprüngliche Urheber der Goebbels-Behauptung ist.[7] Obwohl bislang kein Beweis für die Richtigkeit der Behauptung von der Urheberschaft Goebbels’ zu Tage gefördert worden ist, ist die Behauptung in der historischen und publizistischen Literatur zum Röhm-Putsch immer wieder aufgegriffen worden.[8] Die Behauptung des angeblichen Treffens Röhm-Goebbels wird in der Forschung mehrheitlich als zweifelhaft angesehen. So charakterisierte Kurt Gossweiler sie als „reines Phantasieprodukt“.[9]
Ebenfalls auf Lancierungen der Exil-Presse ging die immer wieder anzutreffende Behauptung zurück, außer Zehnter seien auch mehrere seiner Bediensteten erschossen worden: Das Weissbuch[10] und Strasser[11] gibt etwa an, außer Zehnter seien auch sein Kellner und sein Zapfmeister umgebracht worden. In diesem Sinne behauptete Hans Bernd Gisevius noch in den 1950er Jahren, außer Zehnter seien auch „drei seiner entarteten Kellner“ erschossen worden.[12]
Einzelnachweise
- Die offizielle Totenliste des Geheimen Staatspolizeiamtes behauptet den 1. Juli als Todestag [abgedruckt etwa bei Bennecke: Die Reichswehr und der Röhm-Putsch, S. 88]. Da die Todesdaten dieser Liste jedoch in zahlreichen Fällen als fehlerhaft erwiesen werden konnten ist hier Vorsicht geboten. Gruchmann: Justiz im Dritten zitiert einen Polizeibericht, der den 30. Juni als Erschießungstag angibt.
- Vgl. auch Reinhard Weber: Max Hirschberg. Jude und Demokrat, 1998, S. 295. Dieser spricht davon, dass Zehnter 1923 zur "Gruppe Heines" gehört habe.
- Staatsarchiv München: Polizeidirektion München Nr. 6713, Digitalisat 159.
- Peter Fleischmann (Hrsg.): Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24. Der Gefangenen-Personalakt Hitler nebst weiteren Quellen aus der Schutzhaft-, Untersuchungshaft- und Festungshaftanstalt Landsberg am Lech. Verlag Ph.C.W. Schmidt, Neustadt an der Aisch 2018,
- Lothar Gruchmann: Justiz im 3. Reich. 1933-1940, S. 438.
- Deutschland-Bericht der Sopade, Bd. 1, S. 196.
- Otto Strasser: Die deutsche Bartholomäusnacht, 7. Auflage, 1938, S. 90.
- So z. B. bei Paul Merker: Deutschland. Sein, oder nicht sein?, 1945, S. 379; bei Harry Schulze-Wilde: Die Reichskanzlei 1933-1945: Anfang und Ende des Dritten Reiches, 1966, S. 185; bei Helmut Heiber: Joseph Goebbels, 1962; Herbert Kranz: Das Ende des Reiches, 1962, S. 82 oder bei Wulf Schwarzwäller: Der Stellvertreter des Führers, 1974, S. 127.
- Kurt Gossweiler: Die Röhm-Affäre: Hintergründe, Zusammenhänge, Auswirkungen, 1983, S. 492.
- Weissbuch, 1934, S. 90.
- Strasser: Die deutsche Bartholomäusnacht, 1938, S. 90ff.
- Hans Bernd Gisevius: Bis zum Bitteren Ende, 1954, S. 161.