Kalte Farbe
Zu den kalten Farben rechnet man vor allem Weiß, Hellblau, Blau und Blaugrün. Kalte Farben lösen bei ihrem Betrachter ein Gefühl der Kälte aus. Temperaturen registrieren wir über den Temperatursinn der Haut. Und Farben registrieren wir visuell mit unseren Augen. So ist es eigenartig, dass eine Farbe gleichzeitig kalt wirken kann.[1] In allen Kulturen empfinden die Menschen ein Blau als kalt. In einigen Ländern wie Nordeuropa kann Weiß hinzukommen, in anderen, wie zum Beispiel in China, ist es das Schwarz. Blau ist jedoch immer mit vertreten.[2] Es handelt sich also um eine allgemein verbreitete Synästhesie, eine Kopplung zwischen Seh- und Temperatursinn.
Evolution
Wahrscheinlich liegt die Kälte-Wirkung von Blau in der menschlichen Evolution. Zur Umwelt aller Menschen gehört neben dem Himmel das Wasser. Wasser gilt generell als kaltes Element, allerdings mit Unterschieden in der moralischen Bewertung. Bei Menschen in warmen Ländern überwiegt die Vorstellung von Erfrischung. In kalten Ländern hingegen empfinden Menschen das Wasser eher als bedrohliches Element, vor allem in Form von Kälte, Eis und Schnee.[3] Im Winter war früher nur schwer Nahrung zu beschaffen. Mit Körperressourcen musste sparsam umgegangen werden. Mit der Absenkung von Pulsschlag und Blutdruck lässt sich auch die beruhigende Wirkung der Farbe erklären. Die Reaktionen sind sinnvoll im Zuge der Evolution und stellen eine bessere Überlebenschance dar.[4]
Physiologie
Physiologisch gesehen können Farben messbare körperliche Reaktionen bei Menschen auslösen. Harry Wohlfarth (1921–1996) von der University of Alberta in Kanada findet einen signifikanten Anstieg von Puls und Atmungsfrequenz von Testpersonen bei roten und gelben Körperfarben, dagegen eine Senkung bei blauen Farben.[5] Ebenso gibt es einen Einfluss, ob ein Zimmer blau oder rot gestrichen ist. Versuchspersonen empfinden einen blauen Raum mindestens 4 °C kälter als einen roten.[6]
Physik
Physikalisch lässt sich kein Einfluss der Farben Blau und Rot nachweisen. Ob ein Zimmer oder eine Leinwand blau oder rot gestrichen ist, hat auf die messbare Temperatur keinen Einfluss. Lediglich ein schwarzer Gegenstand, der alle Frequenzen absorbiert, erhitzt sich mehr als ein weißer – eine intensive Sonneneinstrahlung vorausgesetzt. Deshalb ist ein hellblauer Raum gegenüber einem dunkelroten zwar kälter, aber genauso ist ein dunkelblauer Raum wärmer als ein rosafarbener.[7]
Farbpsychologie
Die kalte Wirkung von Blau lässt sich auf die Emotionen übertragen. So lässt sich eine Verbindung zwischen Blau und Gefühlskälte herstellen. Dann kann Blau abweisend, langweilig, gleichgültig, unpersönlich oder unsensibel wirken. Auf der anderen Seite kann man die besten Entscheidungen treffen, wenn keine Emotionen im Spiel sind. So entsteht die Verbindung zu Ernsthaftigkeit, Ruhe, Sicherheit, Treue und Zuverlässigkeit.[8]
Sehr viele Industriebereiche verwenden die Erkenntnisse der Farbpsychologie und haben sich den kühlen Farbtönen verschrieben. Erfrischungsbonbons und die Logos von Tiefkühlprodukten werden meist in Blau gestaltet, um Kühle und Frische zu vermitteln. Anwaltskanzleien, Banken und Versicherungen bevorzugen blaue Logos und Designs, um damit Seriosität, Vertrauen und Beständigkeit zu zeigen.[9] Handwerker in blauen Overalls, Parkplatz-Schilder, Polizei und technische Geräte wollen uns ein Gefühl von Sicherheit geben und Verlässlichkeit ausstrahlen. Seit 1980 kleben sich vor allem Sportler bei Verletzungen und Beschwerden farbige, elastische Klebebänder (kinesiologische Tapes) auf die Haut. Sind diese bunten Pflaster blau, sollen sie die Gewebetemperatur senken. Eingesetzt werden sie daher bei Entzündungen, Prellungen und Schwellungen. Hier ist allerdings zu erwähnen, dass der wissenschaftliche Nachweis noch aussteht.[10] In Räumen wirkt Blau kühlend und beruhigend. So ist die Farbe optimal für Badezimmer, Entspannungsräume, Schlafzimmer und Wellnessbereiche. Ein Wohnzimmer in Blau würde hingegen ungemütlich wirken.
Farbbereich
Weiß, Hellblau, Cyanblau, Blau und Blaugrün wirken eindeutig kalt. Im Allgemeinen lassen sich Grau, Silber und Blauviolett auch zu den kalten Farben rechnen. Ob Grün, Gelbgrün, Violett oder Rotviolett als kalt, neutral oder sogar warm einzustufen sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einige Farben, die im Farbkreis in der Nähe von den kalten liegen, können mal warm und mal kalt wirken, je nach ihren umgebenden Farben. Zum Beispiel wirkt das gleiche Rotviolett neben einem Blau relativ warm und neben Rot relativ kalt.[11]
Verwendung in der Kunst
Verständlich ist, dass Künstler Gletscherbilder, Eis-, Schnee- oder Winterlandschaften in weitgehend kalten Farben malen. Morgennebel, Nachtstücke und Seestücke gestalten sie kühl in unterschiedlich hellen oder dunklen Blautönen. Aber auch Porträts sind manchmal in Blau gestaltet, um abweisende Gefühlskälte oder eine deprimierende Lebenssituation darzustellen.
- Kalte Eislandschaft: Caspar David Friedrich:
Das Eismeer, 1823/1824 - Kühler Morgennebel: Claude Monet:
Die Kathedrale im Nebel, 1894 - Distanzierte, kühle Persönlichkeit: Gustav Klimt:
Porträt Marie Henneberg, 1901/1902
Literatur
- Monika Krüger: Die Temperaturwirkung von Farben in der bildenden Kunst. Eine Suche nach den Ursprüngen und der Funktionsweise des Warm-Kalt-Kontrastes. Der andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-141-0.
- Hans Gekeler: DuMont's Handbuch der Farben. DuMont, Köln 1988, ISBN 3-7701-2111-2, S. 130 ff.
- Bridget Bodoano: Wohnen mit Farbe. Callwey Verlag, München 2008, ISBN 3-7667-1744-8.
- Johannes Itten: Kunst der Farbe. Subjektives Erleben und objektives Erkennen als Wege zur Kunst, 3. Auflage, Otto Maier Verlag, Ravensburg 1967.
Einzelnachweise
- Harald Mante: Farb-Design in der Fotografie. Eine Farbenlehre. 2. Auflage. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1977, ISBN 3-473-60145-4, S. 56.
- Monika Krüger: Die Temperaturwirkung von Farben in der bildenden Kunst. Eine Suche nach den Ursprüngen und der Funktionsweise des Warm-Kalt-Kontrastes. 1. Auflage. Der andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-141-0, S. 102.
- Monika Krüger: Die Temperaturwirkung von Farben in der bildenden Kunst. Eine Suche nach den Ursprüngen und der Funktionsweise des Warm-Kalt-Kontrastes. 1. Auflage. Der andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-141-0, S. 101–102.
- Monika Krüger: Die Temperaturwirkung von Farben in der bildenden Kunst. Eine Suche nach den Ursprüngen und der Funktionsweise des Warm-Kalt-Kontrastes. 1. Auflage. Der andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-141-0, S. 52 und 56.
- In: Max Lüscher: Lüscher Test. Testverlag, Basel o. J.
- Heinrich Frieling, Else Lieselotte Browers, Sigrid Lechner-Knecht: Lebendige Farbe. Von dem Umgang mit Farben und ihrer Macht. Musterschmidt KG, Göttingen 1974, ISBN 978-3-7881-4033-5, S. 18.
- Monika Krüger: Die Temperaturwirkung von Farben in der bildenden Kunst. Eine Suche nach den Ursprüngen und der Funktionsweise des Warm-Kalt-Kontrastes. 1. Auflage. Der andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-141-0, S. 20 und 28.
- Monika Krüger: Die Temperaturwirkung von Farben in der bildenden Kunst. Eine Suche nach den Ursprüngen und der Funktionsweise des Warm-Kalt-Kontrastes. 1. Auflage. Der andere Verlag, Osnabrück 2003, ISBN 3-89959-141-0, S. 121.
- Werbung - Assoziationen zu Einzelfarben mit Beispielen. Farben und Leben – Online, abgerufen am 22. März 2020 (deutsch).
- Einfluss und Wirkung der Farbe von Kinesiologischem Tape. Akademie für Sport und Gesundheit, abgerufen am 21. März 2020 (deutsch).
- Johannes Itten: Kunst der Farbe. Subjektives Erleben und objektives Erkennen als Wege zur Kunst. 3. Auflage. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1967, S. 65.