Joseph Franklin Rutherford
Joseph Franklin Rutherford (* am 8. November 1869 in Morgan County, Missouri, Vereinigte Staaten; † am 8. Januar 1942 in San Diego, Kalifornien, Vereinigte Staaten) war Nachfolger von Charles Taze Russell als Präsident der Watch Tower Bible And Tract Society of Pennsylvania.
Leben
Rutherford entstammte einer Baptistenfamilie. Er schlug eine akademische Laufbahn ein. Am 5. Mai 1892 erhielt er seine Zulassung als Anwalt. Danach war er vier Jahre als Staatsanwalt in Missouri tätig. Gelegentlich übernahm er auch vertretungsweise die Aufgabe des Richters. Daher wurde er im Nachhinein als „Richter“ Rutherford bekannt.
1894 nahm er von zwei Kolporteurinnen der Bibelforscher drei Bücher entgegen, die ihn und seine Frau überzeugten, sich 1906 ebenfalls als Bibelforscher taufen zu lassen. Im Jahr darauf wurde er Rechtsberater der Watch Tower Society. Ab Januar 1910 gehörte er zum siebenköpfigen Vorstand der Gesellschaft.
Kurz vor dem Tod des zweiten Präsidenten Charles Taze Russell gründete der Vorstand einen geschäftsführenden Ausschuss, der aus drei Mitgliedern bestand, von denen einer Rutherford war. Dem Willen Russells gemäß wurde zudem ein fünfköpfiges Herausgeberkomitee der Zeitschrift Zion’s Watch Tower gebildet. Zu ihm gehörte Rutherford zunächst nicht. Da jedoch zwei der von Russell bestimmten Mitglieder aus persönlichen Gründen ausschieden, wurden sie durch zwei von Russell testamentarisch bestimmte Ersatzpersonen ersetzt. Einer war Rutherford.
Am 6. Januar 1917 wurde Rutherford aus der Gruppe der Vorstandsmitglieder zum Präsidenten der Watch Tower Society gewählt. Er initiierte, dass 1917 der siebente Band der Schriftstudien unter dem Titel „Das vollendete Geheimnis“ herausgegeben wurde. Die ersten sechs Bände waren von Russell geschrieben worden. Da die Vereinigten Staaten mittlerweile in den Ersten Weltkrieg eingetreten waren, machten ihm seine Gegner, wie Paul Samuel Leon Johnson, von denen einige damals noch Teil der Zentrale waren, die Herausgabe dieses Bandes zum Vorwurf. Mit rechtlichen Mitteln wurden sie ihrer Aufgaben entbunden.
Nachdem der Oktober 1914, der von Gründer Russell verkündete Termin für den Anbruch des Königreichs Jehovas, ereignislos verstrichen war, deutete Rutherford dessen Aussage in die heute bei den Zeugen Jehovas gültige Lehrmeinung um, wonach in diesem Jahr Christi Königsherrschaft Christi unsichtbar im Himmel angebrochen sei. Eine „Generation“ aus den 1914 lebenden Gläubigen und ihrer Zeitgenossen würde das sichtbare Erscheinen miterleben.[1] „Millionen, die heute leben, werden nie sterben“, verhieß der Titel seines 1920 erschienenen Buchs, in dem Rutherford für 1925 die Wiederauferstehung der biblischen Erzväter als Zeichen der beginnenden Endzeit voraussagte.[2] Das ereignislose Verstreichen auch dieses Termins führte zu einer Krise innerhalb der Zeugen Jehovas.
Auf einem Kongress 1919 kündigte er die Herausgabe einer neuen Zeitschrift mit dem Namen The Golden Age an, die heute als Erwachet! bekannt ist. Aus dieser Zeit stammen auch Voraussagen in der Wachtturm-Literatur, dass es 1925 eine Auferstehung der Patriarchen der Bibel geben würde. Im Nachhinein räumte Rutherford ein, dass er sich mit dieser Erwartung blamiert habe. Obwohl diese Prophezeiung nicht eintraf, vertrat Rutherford noch bis in die 1930er-Jahre die Ansicht, dass die Patriarchen jeden Moment zurückkommen würden, wofür er in San Diego die Villa Beth Sarim errichten ließ, die er fortan in Erwartung der Patriarchen selbst bewohnte und wo er auch starb.[3][4] Organisatorisch änderte er 1926 die Tätigkeit der „Pilgerbrüder“. Während sie zuvor die Versammlungen zu Vorträgen besucht hatten, sollten sie nun den Predigtdienst mit ihnen gemeinsam fördern. (Später hießen sie bei Zeugen Jehovas „Kreisdiener“, heute „Kreisaufseher“.)
1931 stellte er auf einem Kongress den neuen Namen der bis dahin vor allem als Bibelforscher bekannten Religionsgemeinschaft vor. Von nun an wurden sie als Zeugen Jehovas bekannt. Am 8. Januar 1942 starb er im Alter von 72 Jahren nach langer Krankheit.
Inhaftierung
Der siebente Band der Schriftstudien wurde einige Monate nach dessen Veröffentlichung zum Anlass, dass Haftbefehl gegen ihn und sieben weitere Mitarbeiter der Watch Tower Society erlassen wurde. Ihnen wurde zur Last gelegt, durch dieses Buch „ungesetzlich, böswillig und willentlich“ zur „Anstiftung zur Insubordination, Untreue und Verweigerung der Dienstpflicht in den Militär- und Flottenstreitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika“ aufgefordert zu haben. Sieben von ihnen bekamen viermal 20 Jahre Haft, einer viermal zehn Jahre Haft verhängt. Eine Kaution wurde abgelehnt. Nach dem Krieg wurden sie vollständig rehabilitiert. Daher konnte Rutherford weiterhin vor dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten als Rechtsanwalt tätig sein. Die Episode stärkte Rutherfords Ansehen innerhalb seiner Religionsgemeinschaft enorm, er galt von da an als Märtyrer.[5]
Literatur
- Helmut Obst: Apostel und Propheten der Neuzeit: Gründer christlicher Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts, Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen, 4. Aufl. 2000, S. 409–453 [insb. über Russell und Rutherford], ISBN 3-525-55438-9
- Kurt Hutten: Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Quell: Stuttgart 12. Aufl. 1982, S. 80–138, ISBN 3-7918-2130-X
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans-Diether Reimer: Jehovas Zeugen. In Evangelisches Kirchenlexikon, Bd. 2. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1989, Sp. 805.
- J. F. Rutherford: Millions now living will never die! International Bible Students Association, Brooklyn 1920, S. 80, zitiert nach Robert Crompton: Counting the Days to Armageddon. The Jehovah’s Witnesses and the Second Presence of Christ. James Clarke & Co., London 1996, S. 100.
- Robert J Martin: Golden Age. In: Watch Tower Bible and Tract Society (Hrsg.): . 1930, S. 405. „Martin war Leiter des Büros und des Druckereibetriebes in Brooklyn (ein Amt, das später noch zu Rutherford's Zeiten, auch N. H. Knorr innehatte). In October, 1929, I went to California and acquired the title to the ground in my name...“
- Judge Awaits Next Coming of King David. In: Syracuse Herald Journal. 23. März 1930.
- Rodney Stark, Laurence R. Iannaccone: Why the Jehovah’s Witnesses Grow so Rapidly: A Theoretical Application. In: Journal of Contemporary Religion 12, Nr. 2 (1997), S. 135.