Jewgeni Ottowitsch Gunst
Jewgeni Ottowitsch Gunst (russisch Евгений Оттович Гунст, wiss. Transliteration Evgenij Ottovič Gunst; * 26. Maijul. / 7. Juni 1877greg. in Moskau; † 30. Januar 1950 in Paris) war ein russischer Komponist, Musikschriftsteller und -pädagoge sowie Jurist. Er war der Bruder des Schauspielers Anatoli Ottowitsch Gunst.
Leben
Gunst wuchs als Sohn des deutsch-russischen Staatsrates Otto Karl Gunst in Moskau auf und studierte an der Universität Moskau Jura sowie am Staatskonservatorium Komposition, Theorie und Klavier; daneben erhielt er Privatunterricht bei Reinhold Glière und Alexander Goldenweiser. 1909 war er an der Gründung einer Moskauer Gesellschaft zur Verbreitung der Kammermusik beteiligt (u. a. mit Rachmaninow, Skrjabin, Glasunow und Tanejew). Nach Abschluss seines Jurastudiums war Gunst bis 1910 als Rechtsanwalt und Assistent des Untersuchungsrichters tätig. In der Folge trat er bis zum Kriegsausbruch in verschiedenen musikalischen Bereichen in Erscheinung: Bei verschiedenen Musik- und Theaterzeitschriften war Gunst als Übersetzer und Rezensent angestellt, dirigierte kurzzeitig am Moskauer Kammertheater und war dazu als Lehrer am Gnessin-Institut tätig. Während des Ersten Weltkrieges kehrte Gunst vorübergehend in den juristischen Beruf zurück und assistierte den Prokurator des Kriegsbezirksgerichts in Moskau. Nach Kriegsende wurde Gunst ans Staatskonservatorium von Nischni Nowgorod berufen, wo er zuerst als Dozent für Musikgeschichte wirkte und später zum Konservatoriumsdirektor ernannt wurde.
1920 emigrierte Gunst über Estland nach Frankreich, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Er war 1924 Mitbegründer des Conservatoire Russe in Paris (heute „Conservatoire Rachmaninoff“) und war dort als Dozent für Musiktheorie und Komposition tätig. 1931 musste er seine dortige Arbeit aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten aufgeben und gründete ein eigenes Konservatorium, das „Conservatoire Normale Russe“. Mit der andauernden Weltwirtschaftskrise geriet Gunst allerdings in finanzielle Nöte: er verlor seine Privatschüler und musste sein Konservatorium schließen. Fortan hielt er sich als Kopist und Korrektor sowie als Arrangeur über Wasser und wandte sich in den folgenden Jahren wieder verstärkt der Komposition von Klavierwerken, Liedern und Schulmusikstücken zu. 1949 plante er, in die Vereinigten Staaten auszuwandern, jedoch verstarb Gunst bereits 1950 in Paris im Alter von 72 Jahren.
Durch seine unterschiedlichen Wirkungsorte ist Gunsts Name in unterschiedlichen Schreibweisen vorzufinden. Sein deutscher Geburtsname war Eugen Gunst; in Russland war er als Jewgeni Gunst geläufig, in Frankreich dann als Eugène Gunst. Einige Werke, vor allem solche aus der Unterhaltungsmusik, veröffentlichte er unter dem Pseudonym „Eugene Favour“. Sein Nachlass wurde 2009 in Basel wiederentdeckt, wo er mehrere Jahrzehnte unbemerkt im Keller des musikwissenschaftlichen Instituts gelagert wurde, nachdem der Nachlass von Gunsts Witwe an den damaligen Institutsleiter Jacques Handschin übergeben worden war.
Literatur
- Montagu-Nathan, Mont: Contemporary Russian Composers, London 1917.
- Artikel „Eugène Gunst“, in: Joubert, Joseph (Hg.): Les maîtres contemporains de l’orgue. Pièces inédites pour l’orgue ou harmonium, Bd. 5, Paris 1914.
- Artikel „Гунст Е. О.“, in: Keldyš, Jurij V. (Hg.): Музыкальная Энциклопедия [Muzykal’naja Enciklopedija], Moskau 1973–1982.
- Artikel „Ewgenij Ottowitsch Gunst“, in: Fiseisky, Alexander (Hg.): Orgelmusik in Russland, Bd. 1, Kassel 1997.
Publikationen nach der Wiederentdeckung des Nachlasses
- Musikwissenschaftliches Institut der Universität Basel (Hg.): Fundstücke eines Lebens. Der Komponist Evgenij Gunst, Leipzig 2011.
- Rossel, David (Hg.): Evgenij Ottovič Gunst. Sämtliche Chorwerke, Musikwiss. Institut der Universität Basel, 2011.
Diskographie
- Sonate Nr. 2 cis-Moll op. 10, Romances sans paroles op.2, Heidelberger Skizzen op.6, etc., Susanne Lang, Oehms Calssics OC 899, harmonia mundi 2014.[1]
Einzelnachweise
- Zerrieben und vergessen zwischen Kriegen und Systemen in FAZ vom 29. September 2014, Seite 10