Herzchirurgie
Die Herzchirurgie ist ein seit 1993 selbständiges Fachgebiet, das sich im 20. Jahrhundert aus dem Spezialgebiet Thorax- und Kardiovaskularchirurgie entwickelt hat. Sie befasst sich mit der operativen Behandlung von angeborenen und erworbenen Krankheiten und Verletzungen des Herzens und der herznahen Gefäße. Es ist damit ein der Kardiologie und Gefäßchirurgie nahestehendes Fach. Transplantationen spielen eine große Rolle; die häufigsten Operationen sind aber Koronararterien-Bypässe und Eingriffe an den Herzklappen. Eng verwandte Fächer sind die Thorax- und Gefäßchirurgie, Kardiologie und Kinderkardiologie. Im Rahmen der herzchirurgischen Intensivmedizin bestehen auch Überschneidungen zur Anästhesiologie.
Geschichte
Die Herzchirurgie gilt als vergleichsweise junge medizinische Disziplin. Die erste Herzoperation an einem Menschen wurde 1896 vorgenommen, als der Arzt Ludwig Rehn einen 22-Jährigen Gärtnergesellen operierte, der bei einer Messerstecherei in Frankfurt am Main am Herzen verletzt worden war. Der Behandlung von menschlichen Herzen gingen Tierversuche voraus, beispielsweise an herausgeschnittenen Kaninchenherzen.[1] Ferdinand Sauerbruch operierte 1934 ein Herzaneurysma.[2] Herzchirurgische Eingriffe hatten zu Beginn ein grundsätzliches Problem: um erfolgreich am Herzmuskel operieren zu können, muss dieser blutleer sein und stillstehen. Dies wurde erst durch Einführung der Herz-Lungen-Maschine 1953 möglich.[3][4] Deutschland war mit und nach dem Zweiten Weltkrieg herzchirurgisch international zunächst weit zurückgefallen und hatte einen erheblichen Nachholbedarf aus der angloamerikanischen wie skandinavischen Herzchirurgie.[5] 1958 operierte Rudolf Zenker, Marburg, als Erster in Deutschland einen Patienten mit Vorhofseptumdefekt an der Herz-Lungen-Maschine.[6]
Noch 1977 wurde darüber vom Magazin Spiegel berichtet, dass die Bundesrepublik in der Herzchirurgie "Entwicklungsland" sei, da man erhebliche Kapazitätsprobleme habe.[7]
Facharzt für Herzchirurgie
Um nach einem absolvierten Medizinstudium in Deutschland als Facharzt für Herzchirurgie tätig zu werden, bedarf es einer sechsjährigen Weiterbildung. Hiervon sind 24 Monate chirurgische Basisweiterbildung (Common trunk). Darauf folgen 48 Monate fachspezifische Weiterbildung in der Herzchirurgie. Hierauf anrechenbar sind:
Nach abgeschlossener Facharztweiterbildung ist nach weiterer Fortbildungszeit der Erwerb von Zertifikaten in drei einzelnen Subdisziplinen der Herzchirurgie möglich. Aktuell sind dies nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie:
Statistik
Im Jahr 2014 waren 872 berufstätige Ärzte mit der Gebietsbezeichnung Herzchirurgie und 47 mit der Schwerpunktbezeichnung Thorax- und Kardiovaskularchirurgie bei der Bundesärztekammer registriert.[10]
2019 erfolgten knapp über 100.000 Herzoperationen in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt waren 980 Fachärzte für Herzchirurgie in 78 Fachabteilungen tätig.[11]
Literatur
Nach Erscheinen geordnet
- Friedrich Wilhelm Hehrlein: Herz und große Gefäße. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 164–185.
- Harry Warnke: Chirurgie der koronaren Herzkrankheit. Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig 1983.
- C. Schmid, J. D. Schmitto, H. H. Scheld: Herztransplantation in Deutschland. Steinkopff Verlag, Darmstadt 2003, ISBN 3-7985-1390-2.
- Christoph Weißer: Herzchirurgie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 583 f.
- Lawrence H. Cohn: Cardiac Surgery in the Adult. McGraw-Hill 2007, ISBN 978-0-07-146913-5.
- Friedrich-Christian Rieß, Ursula Kammin, Anja Urbahns; unter Mitarbeit von R. Binczyk: Kardiochirurgie, in: Margret Liehn, Brigitte Lengersdorf, Lutz Steinmüller, Rüdiger Döhler: OP-Handbuch. Grundlagen, Instrumentarium, OP-Ablauf, 7., aktualisierte und erweiterte Auflage. Springer, Berlin Heidelberg New York 2021, ISBN 978-3-662-61100-5, S. 341–388.
Filme
- Die Herzoperation. Südwestrundfunk 2012, Komplett-Media 2013, ISBN 978-3-8312-8120-6.
Weblinks
Einzelnachweise
- Wiederbelebungsversuche an ausgeschnittenen Herzen (rechte Spalte, unten), Kurzbericht in Berliner Tageblatt, 9. Oktober 1902.
- Udo Benzenhöfer: Ferdinand Sauerbruch. In: Wolfgang U. Eckart, Christoph Gradmann (Hrsg.): Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. C. H. Beck, München 1955, S. 317; 3. Auflage 2006, Springer-Verlag, Heidelberg/Berlin/New York, S. 288.
- Joachim Mohr: Was wäre die Kardiologie ohne... Herz-Lungen-Maschine. In: Deutsche Herzstiftung (Hrsg.): HERZ heute. Nr. 2/2020, S. 70.
- Vor 70 Jahren - Erste Operation mit einer Herz-Lungen-Maschine. Abgerufen am 18. April 2021 (deutsch).
- Ziemer, Gerhard, Haverich, Axel Hrsg=: Herzchirurgie. Hrsg.: Ziemer, Gerhard, Haverich, Axel Hrsg=. 3. Auflage. Springer, Berlin Heidelberg New York 2010, ISBN 978-3-540-79712-8.
- Die Geschichte der Herzchirurgie | Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Abgerufen am 18. April 2021.
- DER SPIEGEL: Schlimme Frist. Abgerufen am 18. April 2021.
- Bundesärztekammer: Musterweiterbildungsordnung. Abgerufen am 20. Februar 2019.
- Zertifikate der DGTHG | Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Abgerufen am 20. Februar 2019.
- Ärztestatistik 2014 der Bundesärztekammer, Tabelle 3 auf S. 11f., abgerufen am 5. November 2015.
- https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/114838/Mehr-als-100-000-herzchirurgische-Eingriffe-in-Deutschland