Herr Oluf
Erlkönigs Tochter („Herr Oluf“) ist eine deutsche Kunstballade. Verfasser ist Johann Gottfried Herder, der sie nach dem Vorbild einer dänischen Volksballade nach Quellen des 16. Jahrhunderts[1] übersetzte bzw. nachdichtete. Die dänische Volksballade hat ihrerseits teilweise Parallelen, z. B. in dem bretonischen bzw. französischen Lied von „Le Roi Renaud“, und über dessen angeblich frühe Beziehung zur dänischen Ballade ist viel spekuliert worden.[2]
Gedruckt wurde Herders Text in seiner Ausgabe Volkslieder im Teil 2 von 1779, 2. Buch, als Nr. 27, S. 158–160, in der zweiten Ausgabe Stimmen der Völker in Liedern als Nr. 66 ebenfalls mit dem Titel „Erlkönigs Tochter. Dänisch“. Vertont wurde der Text u. a. von Carl Loewe, 1824[3], und von Hans Pfitzner, 1891. Mit und ohne Melodie erschien diese Ballade in Gebrauchsliederbüchern, in zahlreichen Lyrikanthologien und in wissenschaftlichen Editionen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts.[4] Ein früher Wiederabdruck erschien in Des Knaben Wunderhorn, Band 1, Heidelberg 1806, S. 261 [nach der ursprünglichen Seitenzählung] als (aus romantischer Begeisterung) fiktive Volksüberlieferung mit der (bewusst gefälschten) Quellenangabe „fliegendes Blatt“ [angebliche Liedflugschrift].[5]
Herders Text wurde zudem die Gedankenvorlage für Johann Wolfgang von Goethes Kunstballade „Erlkönig“ von 1782, einem erzählenden Kunstlied, das sich von Herders Text inspirieren ließ und z. B. den von Herder missverstandenen Begriff „Erlkönig“ übernahm.[6] Friedrich Koffka schuf ein Drama „Herr Oluf“, 1919.[7]
Herders Übersetzung hatte großen Einfluss auf die Stilfindung der deutschen Kunstballade im 18. und 19. Jahrhundert. Die Dichtung Herders wurde wiederum, populär verbreitet, zum Volkslied. „Herr Oluf“ ist ein gutes Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Kunstlied und Volkslied und die gegenseitige Beeinflussung von Hochliteratur und Volksüberlieferung (Folklore).[8][9]
Einzelnachweise
- Dänischer Volksballadentyp DgF 47 „Elveskud“ (Elfenschuss), vgl. Svend Grundtvig: Danmarks gamle Folkeviser, Band 1, Kopenhagen 1853 ff., Nr. 47 (mit vielen weiteren Hinweisen, auch Nachträgen bis 1976, z. B. zu den Melodien; auf Dänisch). Vgl. auch Jørgen Lorenzen: Danske Folkeviser / Et Hundrede udvalgte Danske Viser (moderne Edition dänischer Volksballadentexte in Auswahl), Band 1–2, Kopenhagen 1974, Nr. 51, „Elverskud“ nach einer Aufzeichnung von Evald Tang Kristensen, 1872. – Wilhelm Grimm übersetzte die dänische Volksballade in: Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen, Heidelberg 1811, S. 91–92, Nr. 8 „Herr Oluf“.
- „Le roi Renaud de guerre revient …“ Vgl. eine Variante aus mündlicher Überlieferung (mit Melodie) bei Julien Tiersot: Chansons populaires recueillies dans les Alpes françaises (Savoie et Dauphiné), Grenoble 1903, S. 104 f. „Raynaud de la guerre revient avec ses entraill‘ à la main …“ (Renaud kommt aus dem Krieg zurück mit seinen Eingeweiden in der Hand …), mit 14 Strophen und Verweis auf Varianten und auf die italienische Sammlung von Nigra aus dem Piemont. Vgl. Heinke Binder über „deutsch-französische Liedverbindungen“. In: Handbuch des Volksliedes, Band 2, München 1975, S. 331, Nr. 48 „Herr Oluf und Le roi Renaud“, mit weiteren Hinweisen. Auch eine englisch-schottische Volksballade, „Clerk Corvill“ (Balladentyp Child Nr. 42) wurde in Betracht gezogen.
- auch bearbeitet von Theodor Streicher
- Etwa: (mit Melodien) August [Andreas] Kretzschmer und Anton Wilhelm von Zuccalmaglio [Wilhelm von Waldbrühl]: Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen, Berlin 1840 [Bd. 1–2, Berlin 1838–1841], Nr. 8 und Nr. 9; (mit Melodie) Max Friedlaender: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert, Band 1–2, Stuttgart 1902, Band 1, Nr. 106; (ohne Melodie) Karl Otto Conrady: Das große deutsche Gedichtbuch von 1500 bis zur Gegenwart, Zürich 1995, S. 133; (ohne Melodie) Otto Holzapfel: Das große deutsche Volksballadenbuch, Düsseldorf 2000, S. 167.
- Zwar gab es Flugschriften ohne Angabe von Quellen oder Druckhinweisen und ohne Datierung; sie drucken den Text aber nach Herder ab.
- Mit Herders Fehlübersetzung wird aus Elver- [der Elf] gleich Eller- schließlich Erl- [die Erle].
- Es gibt einen deutschen Stummfilm, „Erlkönigs Tochter“, von 1914 mit frei erfundener Handlung ohne Beziehung zu Herders Text.
- Vgl. Hinrich Siuts. In: Märchen, Mythos, Dichtung (Festschrift für Friedrich v. d. Leyen), München 1963, S. 213–230.
- Vgl. Otto Holzapfel: Liedverzeichnis: Die ältere deutschsprachige populäre Liedüberlieferung (Online-Fassung auf der Homepage Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern; im PDF-Format; laufende Updates) mit weiteren Hinweisen.