Henry Wickham Steed

Henry Wickham Steed (* 10. Oktober 1871 i​n Long Melford, Suffolk, England; † 13. Januar 1956 i​n Wootton, West Oxfordshire) w​ar ein britischer Journalist u​nd Historiker.

Henry Wickham Steed

Leben

Steed begann s​eine Laufbahn m​it einem Studienaufenthalt i​n Deutschland, w​o er d​ie Sprache lernte, arbeitete a​b 1896 a​ls Korrespondent d​er Times i​n Paris, k​am 1897 a​ls Korrespondent n​ach Rom u​nd um 1902 n​ach Wien, w​o er b​is 1914 b​lieb und m​it Josef Redlich u​nd Hermann Bahr befreundet war.[1]

Er schrieb 1913 e​in Werk über Österreich-Ungarn, welches e​r kurz v​or Kriegsausbruch beendete. In d​en folgenden Jahren lernte e​r unter anderen diverse Emigranten, w​ie Edvard Beneš, Tomáš Masaryk u​nd Roman Dmowski kennen, u​nd kam z​u dem Schluss, d​ass Österreich-Ungarn – u​m ein rasches Ende d​es Ersten Weltkrieges z​u erreichen – aufgelöst u​nd seine Völker unabhängig werden sollten.

Ab 1914 w​ar er d​er Leiter d​er Abteilung Außenpolitik b​ei der Times i​n London. Als persönlicher Bekannter v​on Theodor Herzl förderte e​r die zionistische Sache u​nd setzte 1917/18 d​as publizistische Gewicht d​er „Times“ z​ur Förderung d​er Balfour-Deklaration ein. Zu dieser Zeit leitete e​r die Österreich-Ungarn-Abteilung d​es Direktorats für Propaganda i​n Feindländern d​es Ministry o​f Information i​m Crewe House u​nter Alfred Harmsworth.

Am 24. Februar 1918 sandte Harmsworth ein bei Steed in Auftrag gegebenes Memorandum an Außenminister Balfour. Da der Versuch eines Separatfriedens gescheitert sei, heißt es darin, müsse eine Politik forciert werden, die durch Propagandatätigkeiten der Exilorganisationen eine Zerstörung des Vielvölkerstaates herbeiführen sollte. Balfour stimmte dieser neuen Politik zu, wollte aber weiterhin versuchen, durch einen Separatfrieden Kaiser Karl von Deutschland zu lösen.[2] Die offizielle Politik ermutigte daraufhin die Separatisten, doch vorerst ohne ihnen die Unabhängigkeit zu versprechen.[3]

Steed und sein wichtigster Mitarbeiter Robert William Seton-Watson stellten die Monarchie als Vasall und Besitz Deutschlands dar. Die habsburgische Dynastie sei skrupellos, man müsse die für Freiheit kämpfenden Völker unterstützen, bei einem Separatfrieden wären die Völker Zentraleuropas zur Sklaverei verdammt.[4] Steed und seine Propagandaabteilung machten die slawischen Unabhängigkeitsbewegungen der Monarchie in Großbritannien überhaupt erst populär und machten Druck auf das Foreign Office mit dem Ziel der Anerkennung der Selbstbestimmungsrechte der Völker Österreich-Ungarns, nicht innerhalb der Monarchie, sondern durch deren Auflösung.[5] Selbst im August 1918 war Balfour als einziger im War Cabinet unbedingt für die Zerstörung des Vielvölkerstaates.[6]

Nach dem Krieg leitete Steed von 1919 bis 1922 die Times als Chefredakteur. Er warnte vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schon früh vor Hitler und dessen Ambitionen.[7] Zwischen 1937 und 1947 lehrte Steed Osteuropäische Geschichte am Londoner King’s College. Daneben war er beim BBC Overseas Service angestellt (1937–47), das zu dieser Zeit dem Ministry of Information unterstand.

Werke

  • 1913: The Habsburg Monarchy
  • 1914: A Short History of Austria-Hungary and Poland
  • 1938: The Press
  • 1939: Our War Aims

Literatur

Belege

  1. Hermann Bahr: Liebe der Lebenden. Tagebücher 1921/23. Borgmeyer, Hildesheim 1925, Bd. 2, S. 117–122.
  2. Harry Hanak: Great Britain and Austria-Hungary during the First World War. A Study in the Formation of Public Opinion. London/New York/Toronto 1962. S. 277 f.
  3. Harry Hanak: Die Einstellung Großbritanniens und der Vereinigten Staaten zu Österreich(-Ungarn). In: Adam Wandruszka, Walter Urbanitsch (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band 6: Die Habsburgermonarchie im System der internationalen Beziehungen. 2. Teilband, Wien 1993, ISBN 3-7001-2084-2, S. 539–585; hier: S. 581.
  4. Arthur J. May: The Passing of the Habsburg Monarchy 1914–1918. Philadelphia 1967. Bd. 2, S. 533 f.
  5. John W. Mason: The Dissolution of the Austro-Hungarian Empire, 1867–1918. London/New York 1985, ISBN 0-582-35393-9. S. 75.
  6. Harry Hanak: The Government, the Foreign Office and Austria-Hungary, 1914–1918. In: The Slavonic and East European Review. 47 (1969), S. 161–197, hier: S. 196.
  7. Giorgio Petracchi: Dietro le quinte del convengo Volta sull’Europa. Un piano per sovvertire l’Europa centro-orientale. In: Maddalena Guiotto, Wolfgang Wohnout (Hrsg.): Italien und Österreich im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit / Italia e Austria nella Mitteleuropa tra le due guerre mondiali. Böhlau, Wien 2018, ISBN 978-3-205-20269-1, S. 8890.
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