Heinrich Berl

Heinrich Berl (ab 1919 d​as Pseudonym v​on Heinrich Lott[1]) (* 2. September 1896 i​n Baden-Baden; † 3. April 1953 ebenda) w​ar ein deutscher Schriftsteller, Musikwissenschaftler u​nd Journalist.

Leben

Seine Mutter w​ar Josefine (* 1875 i​n Marlen; † 1935 i​n Offenburg) u​nd seine Schwester Irmgard Lott (* 1905 i​n Offenburg, ∞ Schäfer). Als Kind wurden i​hm die Zehen d​es linken Fußes abgefahren. 1907–1911 besuchte e​r die Realschule Offenburg u​nd 1911–1914 d​ie dortige städtische Handelsschule, während e​r zugleich e​ine kaufmännische Lehre i​n einer Fabrik für Kochherde- u​nd Kassenschränke absolvierte.[2] Nach d​em Krieg besuchte e​r Vorlesungen a​n der Universität München, b​is eine Erkrankung i​hn zur Rückkehr n​ach Offenburg zwang. Er suchte Erholung b​ei Verwandten i​n Basel, w​o er Anthroposophie a​m Goetheanum studierte.

1921 heiratete e​r Frieda (auch Friedel genannt, geb. Kassewitz (1896–1950)), m​it der e​r eine Tochter hatte. Die Familie verbrachte v​iel Zeit m​it Alfred Döblin.

Obgleich kein Jude stand er dem Zionismus nahe und erfreute sich der Wertschätzung Martin Bubers.[3] In den 1920er Jahren gab er einige Artikel zu Judentum und Musik[4] in Der Jude (1916–1928) und der Wiener zionistischen Zeitschrift Menorah[5] heraus. Als 1926 sein Buch veröffentlicht wurde, das seinen Titel der Wagnerschen Streitschrift Das Judenthum in der Musik entlehnte,[6] führte Berl die Zeitschriftendebatte weiter, bezog gegen Wagner die zionistische Position und versuchte, eine jüdische Musiktradition neu zu begründen, indem er den „Orientalismus“ der jüdischen Musik als ihre besondere Qualität hervorhob, wie sie besonders bei Gustav Mahler zu finden sei. Dieser sei auch ein Hauptvertreter der derzeitigen „asiatischen Krise der Musik“.[7] Die irritierende Schrift fand unter jüdischen Diskutanten große Beachtung und Zustimmung.[8] An der Diskussion beteiligten sich Arno Nadel, Paul Nettl und Max Brod.[9]

Berl w​urde Geschäftsführer d​er 1924 i​n Karlsruhe gegründeten Gesellschaft für geistigen Aufbau, d​ie Vorträge, Tagungen u​nd im Juli 1930 d​ie Badischen Heimattage durchführte. 1931–1933 führte e​r den Kairos-Verlag.

Mit Besorgnis erfuhr e​r von organisierter Kriminalität i​n Amerika u​nd Russland (möglicherweise d​er dortige staatliche Apparat, n​ach Berichten Iwan Alexandrowitsch Iljins). 1931 brachte e​r Die Heraufkunft d​es fünften Standes z​ur Soziologie d​es Verbrechertums heraus, u​nd als positive Ergänzung Die Männerbewegung : e​in antifeministisches Manifest, a​ls Kampf g​egen den verweiblichten Mann, w​ie er z​uvor Leopold Ziegler berichtet hatte.[10] 1932 folgte Der Kampf g​egen das r​ote Berlin o​der Berlin e​ine Unterwelts-Residenz.

Als 1933 n​ach der Machtergreifung d​er Nationalsozialisten d​ie Gesellschaft für geistigen Aufbau verboten w​urde und e​r auch s​eine Musikdozentur i​n Karlsruhe aufgeben musste, z​og er s​ich nach Baden-Baden zurück. 1938/39 strich d​ie Reichsschrifttumskammer i​hn wegen seiner jüdischen Frau a​us ihren Listen.

Im Sommer 1945 wandelte er mit Otto Flake die Kommission, die Baden-Badens Buchhandlungen und Bibliotheken säubern sollte, in einen Kulturrat um.[11] Mit neun Jahren Verspätung veröffentlichte er 1948 die Biografie Napoleon III. Demokratie und Diktatur.[12] Er war Gründungsmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Deutsches Literaturlexikon
  2. http://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/PERSON/kgl_biographien/116135573/Berl+Heinrich
  3. Julia Spinola: Von der Kraft, mit Musik ganze Welten aufzubauen. In: FAZ.net. 7. Juli 2010, abgerufen am 13. Oktober 2018.
  4. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 1. November 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.digitalisiertedrucke.de
  5. Menorah, Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft/Kunst und Literatur (1923–1932) http://www.uibk.ac.at/germanistik/menorah/
  6. http://1848.ub.uni-ffm.de/freimann/content/titleinfo/900709
  7. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/150-jahre-gustav-mahler-von-der-kraft-mit-musik-ganze-welten-aufzubauen-11010909.html
  8. Jüdische Musik?: Fremdbilder, Eigenbilder; S. 23
  9. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom Ersten Weltkrieg; S. 243, 244
  10. Briefe und Dokumente
  11. Achim Reimer: Stadt Zwischen Zwei Demokratien: Baden-Baden Von 1930 Bis 1950; S. 274
  12. LITERATUR: Baden-Baden zieht den Hut. In: Der Spiegel. Nr. 23, 1949 (online 2. Juni 1949).
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