Hannoverscher Feuerlöschzug von 1902
Der Hannoversche Feuerlöschzug von 1902[1] wurde in der Nordstadt von Hannover in Betrieb genommen[2] und bildete 1902 mit seinen drei Fahrzeugen den ersten Automobil-Löschzug der Welt. Das 1904 gefertigte Originalmodell dieser drei Fahrzeuge im Maßstab 1 : 10 findet sich heute als Leihgabe im Historischen Museum Hannover.[1]
Geschichte und Beschreibung
Vorläufer automobiler Löschzüge waren Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich erste, damals jedoch noch einzeln eingesetzte Kraftfahrzeuge der Feuerwehr von Paris.[1]
Dem Bau des ersten vollständigen automobilen Löschzuges[1] in Hannover ging der Bau der hannoverschen Feuerwache II voran. Sie wurde in den Jahren 1897 bis 1900 nach Plänen des Stadt-Bauinspektors Otto Ruprecht auf dem städtischen Grundstück Am Kleinenfelde 11 errichtet,[2] heute das denkmalgeschützte Gebäude Am Kleinen Felde 28.[3]
Im Jahr der Fertigstellung des Bauwerks[2] wurde der vorher in Altona tätige Branddirektor Maximilian Reichel in gleicher Position in den Dienst der Stadt Hannover berufen.[4] Reichel regte an Stelle der bisher von Pferden gezogenen Feuerwehr-Fahrzeuge den Bau eines automobilen Feuerlöschzuges an. Hierfür musste er jedoch zunächst nachweisen, dass der Betrieb von automobilen Fahrzeugen „wesentlich billiger“ sein werde als der Einsatz der Fuhrwerke, bei denen vor allem die Unterhaltskosten für die Zugpferde zu Buche schlugen. Daraufhin angestellte Berechnungen ergaben bei jährlich zu veranschlagenden Summen von rund 1.200 Mark (entspricht heute ungefähr 8.500 EUR[5]) für die Automobile gegenüber etwa 2.000 Mark (heute ungefähr 14.200 EUR[5]) für die Pferdehaltung einen Kostenvorteil von 40 Prozent. Außerdem musste Reichel beweisen, dass ein automobiler Löschzug mindestens ebenso sicher zu möglichen Brandherden gelangt wie ein mit Pferden bespannter.[1]
Nach den Anleitungen von Maximilian Reichel und dem Brandoberingenieur Alfred Malsky wurde der dreiteilige Feuerlöschzug schließlich gebaut und nach einer Probezeit[6] am 19. Februar 1902 in den Dienst gestellt.[1] Gleichzeitig mit dem Bau der Automobile war der Umbau der Feuerwache umgesetzt worden. Dabei wurde beispielsweise der Pferdestall zum Schlafraum für die Mannschaft umfunktioniert.[7]
Die in der Praxis erreichten Einsparungen an Betriebs- und Unterhaltungskosten betrugen jeweils rund 10.000 Mark in beiden ersten Betriebsjahren (1902/03 sowie 1903/04), in den beiden Folgejahren rund 8.600 Mark bzw. 7.400 Mark.[8]
Der dreiteilige automobilie Löschzug bestand aus einer Gasspritze und einem Hydrantenwagen sowie einer Dampfspritze:[1]
- Die ersten beiden Wagen wurden elektrisch durch Batterien angetrieben und erreichten eine Spitzengeschwindigkeit von 16 km/h. Eine voll aufgeladene Batterie reichte jeweils für eine Fahrstrecke von bis zu 25 km.[1]
- Zur Erhöhung der Ausfallsicherheit trieben zwei Elektromotoren die Hinterräder an. Die Kraftübertragung erfolgte durch Zahnräder.[9]
- Nachdem Reichel die „Spiritusheizung“ für die automobile Dampfspritze konstruiert hatte,[6] erreichte diese Dampfmaschine eine Geschwindigkeit von 20 km/h. Hierfür musste der Dampfkessel zunächst mit einem Gemisch von Kohlensäure und Spiritus vorgeheizt und anschließend das Feuer mit Briketts und Torfkoks unterhalten werden.[1]
Laut Dienstvorschrift hatte zur Sicherung des Straßenverkehrs zudem ein Radfahrer dem Löschzug vorauszufahren.[6]
Der hannoversche Feuerlöschzug wurde rasch internationaler Anziehungspunkt für „Fachleute aus allen Erdteilen“: In den erhaltenen Besucherlisten finden sich beispielsweise Namenszüge aus New York, Tokio, Lodz und Christiania. Mehr als ein Dutzend Mal finden sich Unterschriften von Gästen aus dem russischen Zarenreich wie etwa „Graf Zupoff oder Litwinnoff“; eine unleserliche Unterschrift ist mit dem Zusatz „vom Sultan“ versehen.[6]
Die positiven Erfahrungen aus Hannover waren ein wesentlicher Grund für den Beschluss des Wiener Stadtrates im Januar 1905 zur Abschaffung der Pferdebespannung und Einführung von Automobilen bei der Feuerwehr.[10] Aufgrund des im Vergleich zu Hannover weniger ebenen Terrains waren vorher eingehende Studien erforderlich. Die Inbetriebnahme des ersten kompletten motorisierten Löschzuges konnte noch im Sommer 1905 erfolgen.[11]
Schließlich wurde der Löschzug genauestens[6] im Maßstab 1 : 10 modelliert[1][Anm. 1] und 1904 auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis gezeigt. Die Exponate wurden dort mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet.[12] Sowohl die Modelle als auch die Goldmedaille blieben erhalten und wurden vielfach auf anderen Ausstellungen präsentiert.[6]
Literatur
- Heinz Krieger: Der erste komplette Automobillöschzug mit Spiritusheizung der Dampfspritze. In: Über Land und Meer, 88. Jahrgang 1902, Heft 46, Titelseite. (Digitalisat der University of Michigan)
- Maximilian Reichel: Der Automobil-Löschzug der Berufsfeuerwehr Hannover. Verlag von Julius Springer, Berlin 1903.
- Maximilian Reichel: Dampffeuerspritze. Bericht über das Ergebnis des zweiten Betriebsjahres des Automobil-Löschzuges der Berufs-Feuerwehr Hannover. In: Der Motorwagen, Zeitschrift für Automobilen-Industrie und Motorenbau, Organ der Automobiltechnischen Gesellschaft, ISSN 0369-1330, 6. Jahrgang 1904, Heft 8, S. 100–101.
Weblinks
Anmerkungen
- Dazu hieß es: „Modell angefertigt von Heinrich Henke. 1904 (Leihgabe der Feuerwehr) Maßstab 1 : 10“, in Helmut Plath (Bearb.): Der erste automobile Feuerlöschzug, in ders.: Hannover im Wandel der Zeiten ( = Führer des Niedersächsischen Heimatmuseums der Hauptstadt Hannover, Bd. 6), Katalog zur stadtgeschichtlichen Ausstellung, 2. Auflage, Hannover: Niedersächsisches Heimatmuseum, 1958, S. 70
Einzelnachweise
- Helmut Plath (Bearb.): Der erste automobile Feuerlöschzug, in ders.: Hannover im Wandel der Zeiten ( = Führer des Niedersächsischen Heimatmuseums der Hauptstadt Hannover, Bd. 6), Katalog zur stadtgeschichtlichen Ausstellung, 2. Auflage, Hannover: Niedersächsisches Heimatmuseum, 1958, S. 70
- Feuerwache II, Am Kleinenfelde 11, in: Verwaltungsbericht des Magistrats der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover, Hannover: Druck von August Eberlein & Co., 1908, S. 305f.
- Gerd Weiß: Der Bereich um die Lutherkirche, in: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Hannover, Teil 1, Bd. 10.1, hrsg. von Hans-Herbert Möller, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt - Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege, Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/Wiesbaden 1983, ISBN 3-528-06203-7, S. 106–108; sowie Nordstadt im Addendum zu Band 10.2, Verzeichnis der Baudenkmale gem. § 4 (NDSchG) (ausgenommen Baudenkmale der archäologischen Denkmalpflege) / Stand: 1. Juli 1985 / Stadt Hannover, S. 6f.
- Rita Seidel (Schriftleitung), Horst Gehrken u. a. (Red.): Reichel, Carl Gustav Maximilian, in dies.: Festschrift zum 150jährigen Bestehen der Universität Hannover, Bd. 2: Catalogus Professorum. 1831–1981, hrsg. im Auftrag des Präsidenten, Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Verlag W. Kohlhammer, 1981, ISBN 978-3-17-007321-0 und ISBN 3-17-007321-4, S. 246
- Diese Zahl wurde mit der Vorlage:Inflation ermittelt, ist auf volle 100 EUR gerundet und vergleicht das Jahr 1902 mit Januar 2022.
- ath: Im 16-Kilometer-Tempo losgerast, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung von Sonnabend/Sonntag 31. März/1. April 1962, Zeitungsausschnitt [ohne Seitennummer]
- Brandschutz. Deutsche Feuerwehr-Zeitung, Nummer 5/2000, S. 433
- Automobile im Dienste der Feuerwehr.: Eisenbahn und Industrie, Jahrgang 1907, S. 46 (online bei ANNO).
- Die Feuerwehr in Hannover. In: Radfahr-Sport. Organ/Zeitschrift für das gesammte Radfahrwesen, 15. Februar 1902, S. 7 (online bei ANNO).
- Automobilbetrieb bei der Feuerwehr. In: Die Zeit, 29. Jänner 1905, S. 7 (online bei ANNO).
- Das Automobil bei der Wiener Feuerwehr. In: Feuerwehr-Signale, 5. August 1905, S. 1 (online bei ANNO).
- Helmut Plath: Verkehr. Technik. Industrie, in ders.: Vom Biedermeier zum Jugendstil. Kultur, Technik, Hausrat, Mode. Ausstellungsführer ( = Führer des Niedersächsischen Heimatmuseums der Hauptstadt Hannover, Bd. 4), Hannover: Niedersächsisches Heimatmuseum, 1956, S. 7ff.; hier: S. 8. Tatsächlich war Hauptbrandmeister Otto Henke laut einem Zeitungsartikel von 1962 jedoch erst 38 Jahre im Dienst, 1962 aber Verantwortlicher der Feuerwache II.; vergleiche ath: Im 16-Kilometer-Tempo losgerast, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung von Sonnabend/Sonntag 31. März/1. April 1962, Zeitungsausschnitt [ohne Seitennummer]