General Slocum
Die General Slocum war ein Raddampfer der New Yorker Knickerbocker Steamship Company, der am 15. Juni 1904 auf dem New Yorker East River in Brand geriet und sank. Dabei kamen 1021 Personen ums Leben. Es ist bis heute die größte zivile Schiffskatastrophe in den USA. Sie gilt als Hauptgrund für die Auflösung des New Yorker Deutschenviertels Kleindeutschland in den Folgejahren.
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Verlauf
Der Schaufelraddampfer war 1891 fertiggestellt worden. Er war 76 Meter lang, verdrängte 1281 Tonnen und war mit seinen drei Fahrgastdecks für 3000 Passagiere zugelassen. Mit ihrer luxuriösen Ausstattung (Samtstühle, Auslegware, Gemälde) und den technischen Parametern galt die General Slocum in ihren ersten Jahren als Nonplusultra des New Yorker Ausflugsverkehrs, ehe sie von jüngeren und moderneren Schiffen deklassiert und von ihren Eignern vernachlässigt wurde. Die Slocum stand unter dem Kommando von Kapitän William van Schaick.
Bei den Passagieren am Tag des Unglücks handelte es sich überwiegend um Deutschamerikaner, Ausflügler der lutherischen St. Markus-Kirche im Stadtteil Kleindeutschland auf der Lower East Side (East 6th Street). Sie wollten an jenem Tag das Ende des Sonntagsschuljahres feiern. In New Yorks „Kleindeutschland“ lebten damals etwa 80.000 deutschstämmige Emigranten. Alljährlich wurde ein Schiff gechartert, um zu einem nahegelegenen Erholungspark, dem Locust Grove am Long Island Sound, zu fahren. Am 15. Juni 1904 waren mindestens 1388 Personen an Bord der General Slocum; das Schiff war für 350 $ gebucht worden. Der 15. Juni war ein Mittwoch, ein Werktag also, an dem die meisten Ehemänner zur Arbeit gingen, was die spätere hohe Opferzahl an Frauen und Kindern begründet.
Etwa um 09:30 Uhr am 15. Juni 1904 entdeckten Matrosen Feuer in einem u. a. mit Öl, Farben und sonstigen Betriebsstoffen gefüllten Laderaum, vermutlich durch ein unachtsam fortgeworfenes Streichholz entzündet. Das Feuer breitete sich rasch aus. Die Löschversuche scheiterten – unter anderem, weil die Feuerwehrschläuche verrottet waren und unter dem Wasserdruck platzten. Die Besatzung war außerdem im Umgang damit nicht geschult.
Der Kapitän wurde zehn Minuten nach Ausbruch des Feuers von der sich anbahnenden Katastrophe unterrichtet. Das Schiff befand sich zu diesem Zeitpunkt im Hell Gate. Dies ist die am schwierigsten zu befahrende Stelle des East River, bedingt durch gefährliche Strudel, die im Laufe der Jahrhunderte viele Schiffsunglücke verursacht haben. Daher war es dem Kapitän nicht möglich, das nahegelegene Ufer anzusteuern, und so gab er den Befehl, mit Volldampf voraus zu der etwa eine Meile entfernten Insel North Brother Island zu steuern. Die nächstgelegenen Anlegestellen am East River kamen aufgrund der dortigen Öltanklager für eine Landung nicht in Betracht. Durch die erhöhte Geschwindigkeit und den herrschenden Gegenwind wurde das Feuer weiter angefacht.
Es stellte sich heraus, dass sich der Kork der Schwimmwesten aufgelöst hatte und diese dadurch unbrauchbar geworden waren. Die Rettungsboote konnten nicht zu Wasser gelassen werden, da sie mit Farbe am Schiffsrumpf festklebten. Aufgrund der Geschwindigkeit des Schiffes wäre es auch nicht möglich gewesen, sie zu wassern. Die Farbe bot dem Feuer zusätzliche Nahrung.
Als das Schiff schließlich North Brother Island mit dem Quarantäne-Krankenhaus des New Yorker Hafens erreichte, brannte es fast auf ganzer Länge. Hier sprangen viele Passagiere ins Wasser, von denen viele ertranken, weil sie größtenteils Nichtschwimmer waren. Da zu diesem Zeitpunkt reger Schiffsverkehr auf dem East River herrschte, beteiligten sich viele Boote an dem Rettungseinsatz. Offiziell wurde die Opferzahl mit 1.021 angegeben.
Folgen
In den folgenden Wochen wurden umfangreiche Untersuchungen über die Unglücksursache angestellt. Der Kapitän des Schiffs, Captain Van Schaick, wurde angeklagt und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach drei Jahren wurde er auf Betreiben von Präsident William H. Taft entlassen.
Die Verantwortlichen der Schifffahrtsgesellschaft wurden zu einer geringen Geldstrafe verurteilt, obwohl nachgewiesen werden konnte, dass Dokumente gefälscht worden waren, um die Vernachlässigung der Sicherheitsbestimmungen zu vertuschen. Auch der Prüfinspektor, der dem Schiff einen Monat vor der Katastrophe die Freigabe bescheinigt hatte, kam ohne Strafe frei.
Sicherheitsbestimmungen für Dampfschiffe wurden danach deutlich verschärft. Präsident Theodore Roosevelt setzte eine Kommission ein, die die Katastrophe untersuchen und Vorkehrungen empfehlen sollte, welche eine Wiederholung solch einer Tragödie verhindern sollten. Sämtliche Dampfschiffe wurden daraufhin einer genauen Inspektion unterzogen, die zuständige Behörde United States Steamboat Inspection Service (USSIS) komplett neu organisiert.
Die Überreste der General Slocum wurden geborgen, wieder aufgebaut und auf den Namen Maryland getauft. Dieses Schiff diente zeitweise als Kohlentender, bis es nach einem schweren Sturm am 4. Dezember 1911 sank.
Die letzte der etwa 400 Überlebenden des Brandes der General Slocum, Adella Liebenow Wotherspoon aus Watchung in New Jersey, starb 2004 im Alter von 100 Jahren. Zum Zeitpunkt des Unglücks, bei dem auch ihre beiden Geschwister ums Leben kamen, war sie noch ein Säugling gewesen.
Rezeption
1915 drehte Regisseur Raoul Walsh den Film Regeneration, in dem auch das Feuer auf der General Slocum vorkommt.
1922 ließ James Joyce seinen Roman Ulysses an einem einzigen Tag handeln, am 16. Juni 1904, dem Tag, an dem die Nachricht von dem Schiffsunglück auch Irland erreichte. Joyce lässt seinen Helden Leopold Bloom die Schlagzeilen lesen und denken: All those women and children excursion beanfeast burned and drowned in New York. Holocaust.[1] (Alle diese Frauen und Kinder auf einem Ausflug verbrannt und ertrunken in New York. Holocaust.).
Im US-Film Manhattan Melodrama (1934) mit Mickey Rooney und Clark Gable bildet die Inszenierung des Brandes den Ausgangspunkt für eine Spielhandlung um Menschen, die als Kinder den Brand der General Slocum überleben, aber danach sehr verschiedene Wege beschreiten.
Im Jahre 1998 drehte der deutsche Filmemacher Christian Baudissin, teilweise an den Originalschauplätzen, einen Dokumentarfilm mit dem Titel Die Slocum brennt! über das Unglück der General Slocum. In dem Film kommen auch Überlebende der Katastrophe zu Wort.[2]
Ein amerikanischer Dokumentarfilm entstand 2004 zum 100. Jahrestag der Katastrophe unter dem Titel Fearful Visitation. New York’s Great Steamboat Fire of 1904.[3]
Ebenfalls zum 100. Jahrestag entstand das Dokudrama Ship Ablaze. The Tragedy of the Steamboat General Slocum. („Schiff in Flammen. Die Tragödie des Dampfers General Slocum.“) nach dem gleichnamigen Buch von Ed O'Donnell.[4]
Siehe auch
Literatur
- Edward T. O'Donnell: Ship ablaze. The Tragedy of the Steamboat General Slocum. Broadway Books, New York 2003, ISBN 0-7679-0905-4.
- Edward T. O’Donnell: Der Ausflug. Das Ende von Little Germany, New York. Marebuchverlag, Hamburg 2006, ISBN 3-936384-93-2.
- Mare Nr. 55 „James Cook“, April/Mai 2006.
- Edward T. O’Donnell: Schiffstragödie in New York – Little Germanys Untergang. In: Der Spiegel Online, 7. April 2006 (spiegel.de).
- Reward for Bravery at the Burning of the General Slocum. In: The New York Times. 25. April 1905 (nytimes.com).
Weblinks
- „General Slocum“: Die Volks-Titanic
- List of victims
Einzelnachweise
- James Joyce: Ulysses auf wikisource.org.
- General Slocum in der Internet Movie Database (englisch)
- Fearful Visitation: The Great New York Steamboat Fire of 1904. Ankündigung der New-York Historical Society (englisch, PDF).
- Edward T. O’Donnell: Ship ablaze. The Tragedy of the Steamboat General Slocum. Broadway Books, New York 2003, ISBN 0-7679-0905-4.