Gefährdungskategorie (Naturschutz)
Gefährdungskategorie ist ein Begriff im Natur- und Artenschutz. Arten die auf einer Roten Liste gefährdeter Arten eingetragen sind, werden einzeln nach dem Grad ihrer Gefährdung aufgrund von Expertengutachten in diese Kategorien eingestuft.[2]
Der Gefährdungsgrad von Arten und ihren Lebensräumen ist etwa umgekehrt proportional zum Erhaltungszustand. Wenn ein geringer Gefährdungsgrad oder keine Gefährdung besteht, befinden sich die Population und der Lebensraum im günstigen Erhaltungszustand. Einstufung in eine hohe Gefährdungskategorie deutet auf einen sehr schlechten Erhaltungszustand hin. Die jeweilige Einstufung in eine Gefährdungskategorie hat in den Mitgliedsstaaten der EU keine gesetzgebende Wirkung, die Bewertung des Erhaltungszustands nach der Definition der EU-FFH-Richtlinie hingegen schon.
Geschichtliches
Seit der zweiten Ausgabe des Red Data Book der IUCN von 1966 wurde der Gefährdungsgrad einzelner Arten durch deren Einordnung in verschiedene Gefährdungskategorien dargestellt. Die ersten nationalen oder regionalen Roten Listen verwendeten meist eigene Kategorien, wodurch die Vergleichbarkeit weder zwischen verschiedenen Staaten oder Regionen, noch zwischen verschiedenen taxonomischen Gruppen gegeben war. Mittlerweile wird vielfach eine Vereinheitlichung der Gefährdungskategorien angestrebt, so werden die Kategorien der IUCN in vielen nationalen Roten Listen verwendet, und die Roten Listen Deutschlands und der deutschen Bundesländer verwenden ein einheitliches Kategoriensystem. Das langfristige Beibehalten einmal eingeführter Kategorien vereinfacht den Vergleich ermittelter Gefährdungsgrade über lange Zeiträume.
Schutzgebiete
Zur Einstufung von Schutzgebieten in Natur- und Landschaftsschutz gibt es außerdem das IUCN Protected Areas Categories System.
Gefährdungsgrad in den Roten Listen
In den Roten Listen gefährdeter Arten oder Lebensräume wird die Gefährdungssituation in mehreren Stufen zwischen ungefährdet und ausgestorben angegeben.
IUCN
Die Roten Listen der IUCN basieren auf der wissenschaftlichen Beurteilung durch Experten für die jeweiligen Artengruppen. Hierbei wird mit Hilfe quantitativer Kriterien die Wahrscheinlichkeit, dass eine Art (oder ein untergeordnetes Taxon wie zum Beispiel eine Unterart) in naher Zukunft aussterben wird, beurteilt. Die Einstufung erfolgte zunächst rein qualitativ. Seit 1994 ist ein formalisiertes Bewertungsverfahren eingeführt worden, dessen Fortschreibung, die Version 3.1 aus dem Jahr 2001, allen neueren Bewertungen zugrunde liegt. In einigen Gruppen beruht die gegenwärtige Einstufung aber noch auf den älteren Kriterien von 1994, wenn diese noch nicht wieder einer erneuten Bewertung unterzogen wurden.[3]
Hierzu wird die Gefährdung nach mindestens einem der folgenden Kriterien bewertet:[4]
- Die Populationsentwicklung über die letzten drei Generationen (oder die letzten zehn Jahre, je nachdem welcher Wert länger ist).
- Die Größe des Verbreitungsgebiets der Art in Kombination mit der Frage, ob der Bestand der Art rückläufig ist, die Population stark fragmentiert ist und/oder stark schwankt.
- Die absolute Populationsgröße der Art in Kombination mit einem kontinuierlichen Rückgang.
- Bei sehr kleinen Populationen auch ausschließlich die Populationsgröße.
- Eine quantitative Gefährdungsanalyse.
Je nach Ausprägung dieser Kriterien wird der Gefährdungsgrad basierend auf Schwellenwerten ermittelt. So führt zum Beispiel eine geringere Größe der Population, ein kleineres Verbreitungsgebietes oder ein stärkerer Rückgang der Populationsgröße zur Einordnung einer beurteilten Art in eine höhere Gefährdungskategorie. Dabei reicht jeweils eines der Kriterien aus (oder-Verknüpfung). Erfüllt eine Art die Grenzwerte mehrere Kriterien, so wird dasjenige herangezogen, nachdem die Art die höchste Gefährdungskategorie hat.
Die IUCN verwendet die nebenstehenden Kategorien, die auch in den nationalen Roten Listen der Schweiz, skandinavischer Staaten, der USA und weiterer Länder angewendet werden.[4][6] Bei ungefähr 5 Prozent aller beschriebenen Arten wurde bisher der Gefährdungsstatus vom IUCN ermittelt. Besonders gut untersucht sind Wirbeltiere, vor allem Vögel, Säugetiere, Amphibien und Knorpelfische, aber auch Zikaden, Koniferen und Hummer. Sehr schlecht untersucht sind bislang die Pilze, von denen nur 160 Arten beurteilt wurden (Stand: 2019). Es gibt also Artgruppen in der Roten Liste, welche deutlich unterrepräsentiert sind.[7]
Die Kategorien „vom Aussterben bedroht“ (critically endangered), „stark gefährdet“ (endangered) und „gefährdet“ (vulnerable) können zusammengefasst werden, um die Zahl der „gefährdeten“ Arten anzugeben (threatened).[4]
- EX ausgestorben, es gibt auf der Welt kein lebendes Individuum mehr
- EW in der Natur ausgestorben, es gibt lediglich Individuen in Kultur, in Gefangenschaft oder in eingebürgerten Populationen außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes
- RE regional ausgestorben, in nationalen und regionalen Roten Listen die Entsprechung von „in der Natur ausgestorben“
- CR vom Aussterben bedroht, extrem hohes Risiko des Aussterbens in der Natur in unmittelbarer Zukunft
- EN stark gefährdet, sehr hohes Risiko des Aussterbens in der Natur in unmittelbarer Zukunft
- VU gefährdet, hohes Risiko des Aussterbens in der Natur in unmittelbarer Zukunft
- NT potenziell gefährdet, die Beurteilung führte nicht zur Einstufung in die Kategorien vom Aussterben bedroht, stark gefährdet oder gefährdet, die Schwellenwerte wurden jedoch nur knapp unterschritten oder werden wahrscheinlich in naher Zukunft überschritten
- LC nicht gefährdet, die Beurteilung führte nicht zur Einstufung in die Kategorien vom Aussterben bedroht, stark gefährdet, gefährdet oder potenziell gefährdet
- DD ungenügende Datengrundlage, die vorhandenen Informationen reichen nicht für eine Beurteilung des Aussterberisikos aus
- NE nicht beurteilt, die Art existiert, es wurde jedoch keine Beurteilung durchgeführt, zum Beispiel bei invasiven Arten[6]
Die von der Weltnaturschutzunion (IUCN) festgelegten Gefährdungskategorien kommen immer mehr auch in nationalen Roten Listen zur Anwendung. In regionalen oder älteren Roten Listen sind jedoch sehr häufig noch andere Bezeichnungen zu finden.
Gefährdungskategorien, die in Roten Listen der IUCN, Deutschlands und den älteren Ausgaben der Schweiz genutzt werden[8][9][10] | ||||
Gefährdungskategorie | IUCN | Deutschland | Schweiz | Bedeutung (Kurzform) |
---|---|---|---|---|
Ausgestorben, verschollen, ausgerottet Extinct | EX | 0 | 0 | Auf der Welt gibt es kein bekanntes lebendes Individuum mehr. |
In der Natur ausgestorben Extinct in the Wild | EW | --- | --- | Es gibt nur noch lebende Exemplare in Gefangenschaft (z. B. in zoologischen Gärten) oder in Kultur (z. B. in botanischen Gärten) oder in eingebürgerten Populationen außerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets der Art. |
Regional ausgestorben Regionally Extinct | RE | --- | --- | Die Art ist in einer nationalen oder regionalen Roten Liste als EX oder EW eingetragen. |
Vom Aussterben bedroht Critically Endangered | CR | 1 | 1 | Das Risiko, dass die Art in nächster Zukunft aussterben wird, ist extrem hoch. |
Stark gefährdet Endangered | EN | 2 | 2 | Das Risiko, dass die Art in nächster Zukunft aussterben wird, ist sehr hoch. |
Gefährdet, verletzlich Vulnerable | VU | 3 | 3 | Das Risiko, dass die Art in nächster Zukunft aussterben wird, ist hoch. |
Potenziell gefährdet Near Threatened | NT | V, 4 oder R | 4 | Die Schwellenwerte zu den Gefährdungsstufen wurden nur knapp unterschritten und/oder werden wahrscheinlich in naher Zukunft überschritten. |
Nicht gefährdet Least Concern | LC | * | n | Die Art wurde nicht in einer der Kategorien NT bis EX eingeordnet und gilt aktuell als nicht gefährdet. |
Ungenügende Datenlage Data Deficient | DD | D | --- | Die vorliegenden Informationen zu der Art reichen nicht aus, um eine Einstufung vorzunehmen. |
Nicht bewertet Not Evaluated | NE | ♦ | 4b oder - | Die Art existiert im beurteilten Gebiet, sie wurde aber nicht bewertet. |
Schweiz
In der Schweiz als Unterzeichnerstaat der Berner Konvention außerhalb der EU haben die Einträge in die Kategorien der IUCN direkte Wirkung auf die Verpflichtung, den Arten einen entsprechenden Schutzstatus zu geben.
Deutschland
In Deutschland gilt die Bewertung des Erhaltungszustands nach der Definition der EU-FFH-Richtlinie. Das Bundesamt für Naturschutz hat seine eigenen Gefährdungskategorien geschaffen. Die Gefährdung von Arten wird durch die Einstufung in die eigenen Rote-Liste-Kategorien wiedergegeben.
- 0 ausgestorben oder verschollen
- 1 vom Aussterben bedroht
- 2 stark gefährdet
- 3 gefährdet
- G Gefährdung unbekannten Ausmaßes
- R extrem selten
- V Vorwarnliste (noch ungefährdet, verschiedene Faktoren könnten eine Gefährdung in den nächsten zehn Jahren herbeiführen)
- * ungefährdet[12]
- D Daten unzureichend
- ♦ nicht bewertet[12]
Die Listen geben die Gefährdungssituation in Deutschland bzw. dem betreffenden Bundesland wieder. Von Bedeutung ist dies insbesondere für die Kategorie 0. Diese bedeutet hier, dass die Art in der entsprechenden Region ausgestorben ist. Da es in Deutschland nur extrem wenige endemische Arten gibt, existieren in der Regel andernorts noch weitere Populationen. Es handelt sich also, im Gegensatz zur Kategorie des IUCN, um ein „nur“ lokales Aussterben.
Davon abweichend wird in älteren Ausgaben der nationalen Roten Listen oder jenen der Bundesländer ein Status angegeben:
- 4 potenziell gefährdet (nur bei Roten Listen der Länder; soll künftig durch R ersetzt werden)
- * vorkommend (indigen oder archäophytisch) und ungefährdet
- n Neophyt; im jeweiligen Bundesland (nach 1492) neu eingebürgerte Art
- u unbeständige Art; im jeweiligen Bundesland nicht fest eingebürgert
- # eventuell zu erwarten, aber bislang nicht nachgewiesen
- – im jeweiligen Gebiet nicht vorkommend
Funktion der Gefährdungskategorien
Die Gefährdungskatergorien sind eine Orientierungshilfe für das Regelwerk des Artenschutzes. Im günstigsten Falle bewirkt diese Orientierung, dass Populationen erforderlichenfalls durch geeignete Landschaftspflege, Wildtiermanagement und Hege den günstigen Erhaltungszustand erreichen und dass nicht gefährdete Populationen, die sich so stark vermehren, dass sie andere Arten dezimieren, im Hinblick auf die zu schützende Artenvielfalt sinnvoll reguliert werden können (siehe negative Rückkopplung).
Nach Artikel 22 der FFH-Richtlinie müssen die EU-Mitgliedsstaaten die Zweckdienlichkeit einer Wiederansiedlung von heimischen Arten des Anhangs IV prüfen. Wiederansiedlung erfolgt erst nach entsprechender Konsultierung der betroffenen Bevölkerungskreise.
Nach Artikel 17 der FFH-Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten der EU nur alle sechs Jahre einen Bericht über erfolgte Erhaltungsmaßnahmen und die Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der im Anhang II geführten sogenannten Prioritären Arten erstellen. Dadurch erfolgen Umstufungen in eine andere Gefährdungskategorie mit einer erheblichen Zeitverzögerung. Allerdings stehen im Artikel 16 Gründe, aus denen die Mitgliedsstaaten Ausnahmen hiervon machen können bzw. aufgrund ihrer jeweiligen Verfassung dazu verpflichtet sind.[13]
Einzelnachweise
- IUCN Leptus timidus - Least Concern
- Klaus Peter Zulka, Erich Eder: Methoden der Bewertung beim Einstufungsprozess
- The IUCN Red List: Categories and Criteria. International Union for Conservation of Nature and Natural Resources
- International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (Hrsg.): IUCN Red List Categories and Criteria: Version 3.1. Second edition. IUCN, Gland (Schweiz) und Cambridge 2012, PDF, abgerufen am 15. Dezember 2013.
- Klassifizierungsstandards der IUCN
- Francis Cordillot und Gregor Klaus: Gefährdete Arten in der Schweiz. Synthese Rote Listen, Stand 2010, Bundesamt für Umwelt (BAFU), Bern 2011, Anhang 1
- The IUCN Red List of Threatened Species. Abgerufen am 22. August 2019.
- International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (2012): IUCN Red List Categories and Criteria, Version 3.1 Second edition, 38 pp. [PDF]
- Ludwig, G., Haupt, H., Gruttke, H. & Binot-Hafke, M. (2009): Methodik der Gefährdungsanalyse für Rote Listen. In: Haupt et al. (Bearb.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Bd. 1: Wirbeltiere, Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (1), p. 19-71. [PDF]
- Cordillot, F. & Klaus, G. (2011): Gefährdete Arten in der Schweiz. Synthese Rote Listen, Stand 2010. Bundesamt für Umwelt (BAFU, Bern), 111 pp. (Memento des Originals vom 11. Juli 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. [PDF]
- Gerhard Ludwig, Heiko Haupt, Horst Gruttke und Margret Binot-Hafke: Methodik der Gefährdungsanalyse für Rote Listen. In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Naturschutz und Biologische Vielfalt. Münster 2009 (bfn.de [PDF]).
- Gerhard Ludwig et al.: Methodik der Gefährdungsanalyse für Roten Listen. In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands [= Naturschutz und Biologische Vielfalt, Heft 70 (1)], Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn 2009, S. 23–71.
- Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen