Flashmob
Flashmob (englisch flash mob; flash „Blitz“, mob [von lateinisch mobile vulgus „reizbare Volksmenge“[1]]) bezeichnet einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen, bei dem die Teilnehmer einander nicht persönlich kennen und ungewöhnliche Dinge tun. Flashmobs gelten als spezielle Ausprägungsformen der Cybergesellschaft (virtual community, Online-Community), die neue Medien wie Mobiltelefone und Internet benutzt, um kollektive direkte Aktionen zu organisieren.
Obwohl die Ursprungsidee unpolitisch[2] war, gibt es mittlerweile auch als Flashmob bezeichnete Aktionen mit politischem oder wirtschaftlichem Hintergrund.[3][4] Für solche zielgerichteten Aktionen wird oft die Bezeichnung „Smart Mob“ verwendet.
Ablauf
Zunächst wird ein Aufruf von einem Urheber verfasst und über Online-Communitys, Weblogs, Newsgroups, E-Mail-Kettenbriefe oder per Mobiltelefon[5] verbreitet. Dabei wird immer ein öffentlicher Ort als Treffpunkt und ein genauer Zeitpunkt angegeben. Zumeist werden auch Informationen über die Aktion selbst und evtl. mitzubringende Gegenstände oder zu tragende Kleidung mitgegeben. Sollte die genaue Aktion nicht bekannt sein, treffen sich die Teilnehmer zunächst an dem vereinbarten Ort für die notwendigen Absprachen.
Dann startet der Flashmob dadurch, dass ein einzelner oder nur wenige Teilnehmer zum vereinbarten Zeitpunkt mit der vereinbarten Aktion beginnen und binnen weniger Sekunden möglichst viele weitere Teilnehmer einsteigen. Diese namensgebende, blitzartige und für die Umstehenden und Passanten völlig überraschende Mob-Bildung und das identische Handeln der Personen im Mob (z. B. applaudieren, telefonieren mit gleichen inhaltlichen Texten) erscheinen zumeist sinn- und inhaltslos, können allerdings auch ein klar deklariertes ökologisches, ökonomisches oder politisches Motiv haben.
Der Flashmob endet durch ein vereinbartes Signal, eine erreichte Zeit oder das natürliche Ende der Aktion (z. B. beim gemeinsamen Singen von O du fröhliche im Sommer nach der letzten Strophe). So schnell, wie die Menschen zusammengekommen sind, löst sich ihre Gruppe vor den Augen der häufig verdutzten Zuschauer auch wieder auf.
Geschichte
Ein frühes literarisches Beispiel, das die Idee des Flashmobs beschreibt, findet sich in Erich Kästners Roman Emil und die Detektive aus dem Jahr 1929. Darin stellt der Protagonist, unterstützt von seinen Freunden, einen Dieb. Dabei wird von einem selbstorganisierten Nachrichtendienst[6] ein Kinder-Mob auf die Beine gestellt, der den Täter in die Enge treibt und an der Flucht hindert.
Bereits in den 1960er Jahren waren Die-ins als ebenso spontane Aktionsform bekannt. Das Projekt „Zebra Fußgängertheater“[7] des Niederländers Will Spoor Anfang der neunziger Jahre kann als ein früher realer Vorläufer der Flashmobs betrachtet werden. Spoor rekrutierte (über Flugblätter, Telefonketten etc.) die Darsteller jeweils vor Ort in der Stadt, in der das Fußgängertheater gastierte. Gemeinsam wurden unangekündigte Darbietungen im öffentlichen Raum geprobt und durchgeführt, die von Konzept und Anmutung stark an heutige Flashmobs erinnern. Ebenfalls in den frühen 1990er Jahren wurden erste Critical Masses organisiert, scheinbar spontane Fahrrad-Demonstrationen.
Als ein früher zweckloser (und damit vom Smart Mob unterscheidbarer) Flashmob gilt eine Aktion des Journalisten Bill Wasik am 3. Juni 2003 in New York. Mehr als hundert Teilnehmer versammelten sich in einem Kaufhaus um einen Teppich. Kaufhaus-Mitarbeitern teilten sie mit, dass sie einen „Liebesteppich“ suchten und Kaufentscheidungen grundsätzlich gemeinsam träfen. Danach versammelte sich eine noch größere Gruppe in einer Hotel-Lobby und applaudierte exakt 15 Sekunden, schließlich strömten die Teilnehmer in ein Schuhgeschäft und gaben sich dort als Touristen aus.[8] Bill Wasik hat in einem Artikel im März 2006 bekundet, seine Absicht sei gewesen, hippe Leute vorzuführen, die in einer Atmosphäre der Konformität nur danach strebten, Teil der „nächsten großen Sache“ zu werden, egal wie sinnfrei diese sei.[9]
Die Freude an den sinnfreien Aktionen und der öffentlichen Aufmerksamkeit führte rasch zu Nachahmungen. Bald darauf schwappte eine Flashmob-Welle von den USA nach Europa über, wo es Ende Juli 2003 erste Aktionen in Zürich, Rom und Wien gab. Das Phänomen erlangte für einige Monate große Medienaufmerksamkeit, bis im Herbst 2003 das Interesse zurückging.
Im Sommer 2007 wurde die Idee wiederbelebt, anfänglich von Organisationen, die mit Aktionen auf gesellschaftliche Ziele aufmerksam machen wollten. Durch neue Berichterstattungen in den Medien wurde auch wieder zu reinen Spaßaktionen inspiriert.
„Flashmob-Aktionen“ wurden von der Handelsgewerkschaft ver.di gezielt zur Besetzung und Blockade von Geschäften bei Tarifauseinandersetzungen im Einzelhandel eingesetzt.[10][11] Das Bundesarbeitsgericht hat derartige Flashmobs für eine zulässige Arbeitskampfform angesehen.[12] Das Bundesverfassungsgericht hat die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg e.V. (HBB) nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Verfassungsbeschwerde sei ohne Aussicht auf Erfolg.[13] Das Gericht führt hierzu aus, dass der Schutz der Koalitionsfreiheit nicht auf die traditionell anerkannten Formen des Streiks und der Aussperrung beschränkt sei. Es gäbe im Grundgesetz keinen Anhaltspunkt dafür, dass allein die traditionell anerkannten Formen Arbeitskampfmittel in ihrer historischen Ausprägung vom Verfassungsgeber als Ausdruck eines prästabilen Gleichgewichts angesehen worden wären.
In Philadelphia wurde im Frühjahr 2010 ein Trend beobachtet, dass Jugendliche hierbei wie ein „echter“ Mob ihre Gewaltbereitschaft ausleben,[14] jetzt „bash mob“ genannt. Manchmal werden dabei Geschäfte beschädigt und/oder ausgeraubt.[15]
Prominente Beispiele
- Am 19. Juli 2006 sprangen angeblich 600 Millionen Menschen in die Luft. Sie wollten am World Jump Day die Erde in eine andere Umlaufbahn schubsen.
- Am 20. Januar 2008 versammelten sich rund 700 Menschen auf dem Odeonsplatz in München, stürmten eine Filiale von McDonald’s am Stachus und kauften dort auf einmal 4385 Hamburger und Cheeseburger. Auf diese Art wurden bereits in vielen deutschen Großstädten Flashmobs veranstaltet. Bei einer ähnlichen Aktion am 29. März 2008 wurden in einer Berliner Filiale von McDonald’s in einer Bestellung 10.355 Burger gekauft.[16][17]
- Am 31. Januar 2008 erstarrten gleichzeitig etwa 200 Menschen im Bahnhof Grand Central Terminal in New York City für eine Dauer von fünf Minuten. Die Aktion wurde von Improv Everywhere geleitet.[18] Die veröffentlichten Filmaufnahmen wurden auf YouTube mehr als 35 Millionen Mal abgerufen.[19]
Siehe auch
Literatur
- Volker Rieble: Flash-Mob – ein neues Kampfmittel? In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2008; S. 796.
- Julia Jochem: Performance 2.0 – Zur Mediengeschichte der Flashmobs. vwh Verlag, 2011, ISBN 978-3940317988.
- Carina Jasmin Englert, Michael Roslon: Gemeinschaft für lau. Der Flashmob als kurzzeitige Form der Vergemeinschaftung. (PDF; 393 kB). 2010. In: merz (Zeitschrift für Medien + Erziehung).
Weblinks
- Der kurze Sommer der Anarchie, Die Zeit, 11. September 2003
- Flash Mobs: Wenn dir plötzlich Hunderte applaudieren, Spiegel Online, 28. Juli 2003
- Interview von Radio Unerhört Marburg mit dem Diplompsychologen Marc Amann zu Flashmob als Form des (politischen) zivilen Ungehorsams
Einzelnachweise
- mob - definition of mob in English. In: Oxford Dictionaries. Abgerufen am 8. November 2016 (englisch): „Origin: Late 17th century: abbreviation of archaic mobile, short for Latin mobile vulgus excitable crowd.“
- Webster's New Millennium Dictionary of English: flash mob. Abgerufen am 30. Oktober 2009 (englisch): „“a group of people who organize on the Internet and then quickly assemble in a public place, do something bizarre, and disperse”.“
- Stefan Janke und Bülend Ürük: Nächtlicher Ausnahmezustand an BFT-Tankstelle Der Westen, Waz-Mediengruppe 11. Januar 2008
- Bundesarbeitsgericht: Streikbegleitende „Flashmob-Aktion“ - Urteil vom 22. September 2009 - 1 AZR 972/08 - Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. September 2008 - 5 Sa 967/08 -. In: Pressemitteilung Nr. 95/09. 22. September 2009, abgerufen am 24. September 2009: „Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts wies daher, wie bereits die Vorinstanzen, die Klage eines Arbeitgeberverbands ab, mit welcher der Gewerkschaft ver.di der Aufruf zu „Flashmob-Aktionen“ im Einzelhandel untersagt werden sollte. Die Gewerkschaft hatte im Rahmen eines Arbeitskampfes eine einstündige Aktion organisiert, bei der etwa 40 Personen überraschend eine Einzelhandelsfiliale aufgesucht und dort mit Waren vollgepackte Einkaufswagen zurückgelassen sowie durch den koordinierten Kauf von „Pfennig-Artikeln“ Warteschlangen an den Kassen verursacht hatten.“
- oxforddictionaries.com
- Emils Geschichte, Internetseite bei www.zeitreisen.de, abgerufen am 18. Dezember 2013
- Festivalprogramm „Glashauskultur 1992“ (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Flashmob-Revival: Die Verhaftung der lautlosen Ruhestörerin, Spiegel Online, 16. April 2008
- My Crowd, or, Phase 5: A report from the inventor of the flash mob, Harper's Magazine, März 2006 (zahlungspflichtig)
- youtube-Video
- Aus: Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften, Streikaktionen Einzelhandel Stuttgart: Menschenkette und Flash Mob
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. September 2009 - 1 AZR 972/08
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. März 2014, 1 BvR 3185/09
- Ian Urbina: Mobs Are Born as Word Grows by Text Message. The New York Times, 24. März 2010.
- Ari Bloomekatz: 'Bash mobs' sweep through Southern California. In: Los Angeles Times. 19. Juli 2013, abgerufen am 22. Juli 2013 (englisch).
- Bestellung von 10.355 Cheeseburgern - Foto des Kassenbons
- Die neue Burger-Bewegung
- Protokoll zu Frozen Grand Central auf improveverywhere.com, 31. Januar 2008.
- Frozen Grand Central auf youtube.com, Improv Everywhere, 31. Januar 2008. (2:28)
- Artikel aus dem KÖLNER STADTANZEIGER (Memento vom 10. Juni 2009 im Internet Archive), abgerufen am 14. Juli 2015
- Offizielles Youtube-Video, in Deutschland aufgrund von Urheberrechtsbeschränkungen nicht verfügbar.