Extradosed-Brücke
Als Extradosed-Brücke (extradosed bridge) wird eine vergleichsweise neue Konstruktion von Spannbetonbrücken bezeichnet, bei der die Spannglieder außerhalb des Querschnitts des Fahrbahnträgers über einen niedrigen Pylon geführt werden und dadurch das Tragverhalten einer Schrägseilbrücke und einer Balkenbrücke kombiniert wird. Die Bezeichnung leitet sich ursprünglich aus dem französischen Begriff „extrados“ für „Gewölberücken“ ab, der ins Englische übernommen wurde.
Beschreibung
Äußerlich unterscheiden sich Extradosed-Brücken von Schrägseilbrücken durch niedrige Pylone und flach geneigte Schrägseile bzw. Spannglieder. Durch diese Anordnung wird der innere Hebelarm für die Spannglieder deutlich günstiger festgelegt. Die flach geneigten Schrägseile wirken wie eine oben liegende Voute. Sie tragen den Überbau von einem relativ niedrigen Pylon aus und spannen den Überbau gleichzeitig vor. Die Pylone können viel niedriger sein, als sie bei einer reinen Schrägseilbrücke sein müssten. Ihre Höhe beträgt meist nur 1/10 bis 1/12 der Hauptspannweite. Die Schrägseile reichen meist nicht bis zur Mitte der Hauptöffnung, sondern lassen das mittlere Fünftel frei. Der Überbau benötigt eine geringere Bauhöhe als eine Balkenbrücke mit innen liegender Vorspannung. Das Tragsystem kann auch als „überspannter Durchlaufträger“ bezeichnet werden.
Auch hinsichtlich der Spannweite von Brücken sind Extradosed-Brücken ein Zwischenglied zwischen Balkenbrücken und Schrägseilbrücken. Balkenbrücken gelten bei kleinen Spannweiten von 100 bis zu 200 m als wirtschaftlich.[1]
Geschichte
Ein Vorläufer war die von Ulrich Finsterwalder und Herbert Schambeck entworfene Werksbrücke West (Höchst) (1972), deren Hauptöffnung aus Platzgründen nicht in ganzer Länge an den einzigen Pylon der Schrägseilbrücke angehängt werden konnte. Sie hat auf dem gegenüberliegenden nördlichen Uferpfeiler sogenannte Betonsegel, in denen die Spannglieder für den nördlichen Teil der Kragträger angeordnet sind.
Christian Menn entwarf die zwischen 1976 und 1980 erbaute Ganterbrücke, ohne allerdings in dem 1979 erschienenen Artikel den Begriff extradosed zu benutzen. Sie weist durch Betonscheiben umhüllte Schrägkabel auf.[2]
Bei der 1980 durchgeführten Verstärkung der Brücke über den San bei Rzuchow (polnisch Most w Rzuchowie), einem zur Landgemeinde Leżajsk in der Woiwodschaft Karpatenvorland in Polen gehörende Ortschaft, wurden die seitlich angebrachten externen Spannkabel über niedrige Pylone geführt.[3] Da die Verstärkung noch vor der Ganterbrücke fertiggestellt war, sehen manche diese Brücke als erste extradosed Brücke.
Jacques Mathivat stellte 1983 oder 1984 in dem (nicht realisierten) Entwurf für das Viaduc de l’Arrêt Darré erstmals eine Brücke vor, deren Längsverspannung offen über einen niedrigen Pylon geführt wird. In einem erstmals 1987 erschienenen französischen Artikel prägte er dafür den Begriff précontrainte extradossée.[4] Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form 1988 in der üblicherweise in der Literatur zitierten englischen Fassung.[5][6]
Einige Extradosed-Brücken
- 1980 Ganterbrücke, Schweiz
- 1993 Ponte dos Socorridos, Madeira[7]
- 1994 Odawara-Brücke, Japan[8]
- 1996 Natorigawa-Brücke, Japan[9]
- 1996 Pont de Saint-Rémy-de-Maurienne, Frankreich
- 1998 Sunnibergbrücke, Schweiz
- 1998 Shin-Karato-Brücke, Japan[10]
- 1998 Tsukuharabrücke, Japan[11]
- 1999 Marcelo-Fernan-Brücke, Philippinen[12]
- 1999 Extradosed-Eisenbahnbrücke Sapporo, Japan[13]
- 2002 Koror–Babeldaob Bridge
- 2009 Viaduc de la ravine des Trois-Bassins
- 2010 Hochstraße Považská Bystrica
- 2012 Donaubrücke 2 / Brücke Widin–Calafat
- 2013 Waschmühltalbrücke#Extradosed-Brücke, Kaiserslautern (eine Stahl-Stahlbeton-Verbundbrücke)[14]
- 2013 Weichselbrücke bei Kwidzyn, Polen
- 2014 MA 532-Brücke, Mszana, Polen, die breiteste Brücke
- 2017 Gangesbrücke Arrah - Chhapra, Indien (derzeit längste Extradosed-B.)
- 2017 St. Croix Crossing, Minnesota[15]
- 2019 Amurbrücke Blagoweschtschensk – Heihe, Russland – China
Literatur
- Thomas Vogel, Peter Marti (Hrsg.): Christian Menn – Brückenbauer 2., ergänzte Auflage, vdf Hochschulverlag, Zürich 2009, ISBN 978-3-7281-3137-9 (= Gesellschaft für Ingenieurbaukunst. Band 3).
Weblinks
- Brückenlexikon: extradosed bridge
- Extradosed Brücke auf der Website von Karl Gotsch
- Extradosed bridge – Tdv’s Consulting Services in Structural Engineering (Memento vom 10. Oktober 2008 im Internet Archive) (PDF-Datei; 881 kB)
- Anwendung von Strukturoptimierungsmethoden auf den Entwurf mehrfeldriger Schrägseilbrücken und Extradosed Bridges
- Extradosed-Brücken auf Structurae
Einzelnachweise
- Karsten Geißler: Handbuch Brückenbau. Ernst & Sohn, Berlin 2014, ISBN 978-3-433-02903-9, S. 323.
- Christian Menn, Hans Rigendinger: Ganterbrücke. In: Schweizer Ingenieur und Architekt, Band 97, Heft 38, 1979, S. 733 (http://doi.org/10.5169/seals-85537)
- Grażyna Łagoda, Marek Łagoda: Nowe typy konstrukcji – w mostownictwie XXI wieku auf nbi.com.pl
- Jacques Mathivat: Évolution récente des ponts en béton précontraint. In: IABSE reports = Rapports AIPC = IVBH Berichte, Band 55, 1987, S. 318–329, 328 (http://doi.org/10.5169/seals-42743)
- Jacques Mathivat, W. F. Crozier: Recent developments in prestressed concrete bridges. In: FIP Notes, Nr. 2, 1988, S. 15–21
- José Benjumea, Gustavo Chio, Esperanza Maldonado: Structural behavior and design criteria of extradosed bridges: general insight and state of the art auf scielo.conicyt.cl
- Ponte dos Socorridos. In: Structurae
- Odawara-Brücke. In: Structurae
- Natorigawa-Brücke. In: Structurae
- Shin-Karato-Brücke. In: Structurae
- Tsukuharabrücke. In: Structurae
- Marcelo-Fernan-Brücke. In: Structurae
- Extradosed-Eisenbahnbrücke Sapporo. In: Structurae
- Waschmühltalbrücke. In: Structurae
- St. Croix Crossing