Eulerkraft
In der klassischen Mechanik ist die Eulerkraft (benannt nach Leonhard Euler) die auf einen Körper wirkende Scheinkraft, die in einem rotierenden Bezugssystem auftritt, wenn die Rotationsachse oder die Rotationsgeschwindigkeit sich zeitlich ändern.[1]
Der Name wurde 1949 von Cornelius Lanczos in seinem Buch The Variational Principles of Mechanics eingeführt, wobei er gleichzeitig darauf hinwies, dass zu dieser Zeit kein allgemein gebräuchlicher Name für diese Trägheitskraft existierte.[2]
Allgemeines
Die Eulerkraft ist gegeben durch:
mit
- der Winkelgeschwindigkeit des Bezugssystems,
- der Winkelbeschleunigung des Bezugssystems,
- dem Ortsvektor des Punktes im Bezugssystem.
Die Eulerbeschleunigung[3] (auch Azimutalbeschleunigung[4] oder Transversalbeschleunigung[5]; in der Physik ist der Begriff Eulerbeschleunigung kaum gebräuchlich[6]) wird durch die Winkelbeschleunigung des Bezugssystems hervorgerufen:
Die Eulerbeschleunigung gibt in der Technischen Mechanik (daher der Index TM) den von abhängigen Teil der Führungsbeschleunigung, die ein Punkt erfahren würde, der fest mit dem Bezugssystem verbunden ist. Er kommt durch die ungleichförmige Drehbewegung des Bezugssystems zustande.[7]
Die oben definierte Eulerkraft ist der zugehörige Trägheitswiderstand:
Beispiele
Anfahrendes Karussell
Dies ist ein Beispiel für eine zeitliche Änderung der Rotationsgeschwindigkeit.
Eine Person, die in einem Kinderkarussell auf einem Pferd sitzt, spürt beim Anfahren die Eulerkraft. Es handelt sich um diejenige Trägheitskraft, die die Person beim Anfahren nach hinten vom Pferd zieht (und sie beim Anhalten nach vorne drückt). Die Richtung der Eulerkraft liegt hier in der Rotationsebene senkrecht zur Zentrifugalkraft. In diesem Beispiel mit fester Richtung der Drehachse ist die Eulerkraft nichts anderes als die Trägheitskraft , die ein Körper jeder Beschleunigung seiner Bewegung entgegensetzt ( ist die Masse des Körpers und die Beschleunigung ihrer Bahngeschwindigkeit).
Falls sich die Person beim ruckartigen Anfahren nicht fest hält, spürt sie in ihrem eigenen Bezugssystem keine Trägheitskraft, rutscht aber nach hinten vom Pferd herunter. Von außen betrachtet bleibt ihre Position unverändert, und das Pferd unter ihr fährt davon. Von einem Standpunkt in dem beschleunigt rotierenden Bezugsystem aus erscheint die Person aber nach hinten beschleunigt, was als Folge der in dem beschleunigt rotierenden Bezugsystem wirksamen Eulerkraft interpretiert wird.
Kippen der Drehachse
Neigt sich bei gleich bleibender Drehgeschwindigkeit eines Karussells die Drehachse zunehmend nach einer Seite, so erfährt die mitfahrende Person die Eulerkraft immer dann am stärksten, wenn ihr Ortsvektor senkrecht auf der Ebene steht, in der die Neigung sich vollzieht. Ihre Bahnkurve zeigt in diesen Punkten zusätzlich zur Krümmung aufgrund der Drehbewegung eine maximale Krümmung weg von der augenblicklichen Bahnebene.
Dagegen ist die Eulerkraft Null, wenn die Bahnkurve der Person durch die Ebene geht, in der sich die Drehachse neigt. Dann entspricht der zunehmenden Neigung der Achse nur eine gleichförmige Geschwindigkeit senkrecht zur Bahnebene.
Belege
- Jerrold E. Marsden, Tudor S. Ratiu: Introduction to Mechanics and Symmetry: A Basic Exposition of Classical Mechanical Systems. Springer, 1999, ISBN 038798643X, S. 251.
- Lanczos: The variational principles of mechanics. University of Toronto Press 1949, S. 103: “This third apparent force has no universally accepted name. The author likes to call it the ‘Euler force’ in view of the outstanding investigations of Euler in this subject.”
- Ralf Greve: Kontinuumsmechanik. Gabler Wissenschaftsverlage, 2003, ISBN 978-3-540-00760-9, S. 36 (Abgerufen am 11. Mai 2012).
- David Morin: Introduction to Classical Mechanics. With Problems and Solutions. Cambridge University Press, 2008, ISBN 0521876222, S. 469.
- Grant R. Fowles, George L. Cassiday: Analytical Mechanics. 6. Auflage. Harcourt College Publishers, 1999, S. 178.
- Anmerkung: Man beachte, dass die analog gebildete Coriolisbeschleunigung in Physik und Technischer Mechanik mit entgegengesetzten Vorzeichen definiert wird.
- Richard H. Battin: An Introduction to the Mathematics and Methods of Astrodynamics. American Institute of Aeronautics and Astronautics, Reston, VA 1999, ISBN 1563473429, S. 102.