Eisenbahnunfall von Braz 2010
Beim Eisenbahnunfall von Braz entgleiste am 16. Juni 2010 um 03:07 Uhr auf der Arlbergbahn zwischen Hintergasse und Braz wegen Bremsversagens ein talwärts fahrender Güterzug. Der Lokführer wurde schwer verletzt, es entstand ein hoher Sachschaden.
Ausgangslage
Der mit 208 Dacia-Neuwagen beladene Ganzgüterzug 46676 kam aus dem rumänischen Pitești und sollte nach Valenton in Frankreich verkehren. Er hatte ein Gesamtgewicht von 863 Tonnen und eine Gesamtzuglänge von 548 Metern. Die 16 Doppelstock-Autotransportwagen der Type Laaeks des französischen Fahrzeughalters "Societe de Transport de Vehicules Automobiles" (STVA) bestanden aus zwei 2-achsigen Wageneinheiten mit jeweils vier Einzelradsätzen. Sie waren ab dem Bahnhof St. Anton, in welchem die Vorspannlok abgekuppelt wurde, allein mit der ÖBB 1116 173 bespannt. Eine in St. Anton vorgenommene Bremsprobe verlief problemlos. Der Zug hatte 80 % Bremshundertstel, erforderlich waren nur 69 %.
Unfallhergang
Auf der Westrampe zwischen Langen am Arlberg und Bludenz reichte die elektrische Bremse der Lokomotive nicht aus. Der Triebfahrzeugführer bremste zusätzlich mit der Druckluftbremse, wobei er zur Vermeidung von Bremsüberhitzungen wie üblich die Sägezahnmethode verwendete. Am km 122,722 (kurz hinter der Schmiedtobelbrücke) schlug eine zu tief hängende Bremskupplung gegen vorschriftsmäßig im Gleis gelagerte Schienen. Dadurch wurde die Hauptluftleitung durchtrennt und eine Zwangsbremsung ausgelöst, was der Lokomotivführer laut Vorschrift als Zugtrennung behandelte und eine Schnellbremsung einleitete. Trotzdem beschleunigte der Zug auf der teils über 30 ‰ geneigten Strecke. Darüber hinaus betätigte der Triebfahrzeugführer vorschriftsgemäß den Not-Aus-Taster, wodurch der Hauptschalter ausgeschaltet, der Stromabnehmer gesenkt wurde und der Zug infolge des nunmehrigen Ausfalls der elektrischen Nutzbremse noch mehr in Fahrt geriet.
Im Brazer Bogen mit einem Radius von 250 m erreichte der Zug eine Geschwindigkeit von 125 km/h statt der laut Buchfahrplan erlaubten 60 km/h. Die letzten fünf Wagen sprangen aus den Schienen, rissen etwa im Scheitel des Bogens die an der Außenseite stehenden Oberleitungsmasten weg und stürzten über die Böschung hinunter. Zwischen den Wagen 11 und 12 kam es dabei zur Zugtrennung, Wagen 12 bis 16 kamen bis zu etwa 15 m nahe vor einem Bauernhaus zum Liegen. Wenige Sekunden später, kurz vor der Einfahrtsweiche des Bahnhofs Braz, entgleisten die Lokomotive und die ersten acht Wagen. Sie stürzten großteils von der Bahntrasse und kamen zum Teil in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern und Campingwagen eines bis nahe an den Bahndamm heranreichenden Campingplatzes zu liegen. Viele der fabrikneuen Pkw wurden weit in der Umgebung verstreut und total oder schwer beschädigt, 33 verblieben unbeschädigt auf den nicht entgleisten Wagen 9 und 10 sowie der ebenfalls nicht entgleisten vorderen Hälfte von Wagen 11. Die hintere Hälfte des Wagens 11 entgleiste, blieb aber mit starker Seitenneigung auf dem Gleisbett stehen.
Folgen
Der Lokomotivführer erlitt Prellungen am ganzen Körper und einen Schock. Er konnte mit Hilfe von aufgeschreckten Anwohnern aus der den Bahndamm hinuntergestürzten und auf der Seite liegenden Lokomotive steigen. Er war später wieder im Dienst und erhielt 2014, im Alter von 45 Jahren, im Rahmen eines Vergleichs von der ÖBB Rail Cargo Austria ein Schmerzengeld in der Höhe von 50.000 Euro.[1]
Die Sachschäden am Zug, an den Bahnanlagen und der Ladung wurden auf 6,5 Millionen Euro geschätzt. Hinzu kamen große Beschädigungen am Eigentum der Anwohner, sowie an der Gemeindeinfrastruktur. 2780 Liter Trafoöl aus der Lok liefen ins Erdreich. Allein der Schaden an der ÖBB-Infrastruktur wurde mit etwa 1,5 Millionen Euro angegeben, weshalb die ÖBB eine Schadenersatzklage über 937 000 Euro gegen den französischen Eigner der Autotransportwagen ankündigten und sich weitere Klagen vorbehielten.[2] Im Frankreich waren wegen der Entgleisung insgesamt 17 Schadensersatzverfahren anhängig.[1]
Die Lokomotive, bei der beide Drehgestelle vom Rahmen abgerissen wurden, wurde durch eine Zweitbesetzung der ÖBB 1116 173 (Reservekasten) ersetzt.
Der Zugverkehr zwischen Landeck-Zams und Bludenz war bis zum Abend des 22. Juni 2010 unterbrochen.
Unfallursache
Unfallursache war eine nur locker angezogene Seilklemme eines Sicherungsseiles der Bremskupplung zwischen den beiden Wagenteilen des ersten Wagens. Infolge der Vibrationen während der Fahrt rutschte das Seil, das die Kupplung normalerweise mindestens 140 mm über der Schienenoberkante halten soll, allmählich durch die Klemme, so dass die Bremskupplung immer tiefer durchhing. Diese hatte bereits bei der Einfahrt in den Blisadonatunnel erstmals Kontakt zu Gleisanlagen, obwohl die nur etwa 11,5 km zuvor im Bahnhof St. Anton erfolgte Bremsprobe unauffällig ablief. Schließlich rutschte das Seil aus der Klemme und fiel kurz vor dem Betriebsbahnhof Dalaas, wo es am darauffolgenden Tag gefunden wurde, ganz ab.
Im weiteren Verlauf wurde die Kupplung beim Anschlagen gegen die im Gleis gelagerten Schienen vom Schlauch der vorderen Wagenhälfte abgezogen. Der Luftschlauch der hinteren Wagenhälfte mitsamt der Kupplung wurde durch die Wucht des Anpralls nach hinten geschlagen, um mehr als 150° umgeknickt und in dieser Stellung fixiert, da die Kupplung sich im Rahmen der hinteren Wagenhälfte verklemmte. Durch das Abknicken konnte aus der dahinterliegenden Hauptluftleitung keine Luft mehr austreten, die Bremsen der hinteren Hälfte des ersten Wagens und der dahinter befindlichen 15 Wagen waren ab sofort nicht mehr zu beeinflussen. Im Zugteil vor der abgerissenen Bremskupplung fiel der Druck in der Hauptluftleitung schlagartig zusammen, was der Lokomotivführer vorschriftsgemäß als Zugtrennung interpretierte.
Aufgrund der großen ungebremsten Masse und des starken Gefälles (bis zu 35 ‰ zwischen Hintergasse und Braz[3]) erfolgte trotz der Zwangsbremsung keine Geschwindigkeitsreduzierung des Zuges. Durch die Betätigung des Notbrems-Taster fiel zudem auch die elektrische Bremse des Triebfahrzeuges aus. Die nach dem Zerreißen der Hauptluftleitung noch vorhandene Bremsleistung hätte nur für ein Halten der zulässigen Geschwindigkeit bei einem durchschnittlichem Gefälle von 14 ‰ ausgereicht.
Dass an der verunfallten Lokomotive nur drei der vier Fahrmotoren funktionierten, war für den Unfall belanglos, da die maximal zulässige Bremskraft von 150 kN durch eine entsprechende Steuerung auch von den übrigen drei Motoren aufgebracht werden kann.
Weblinks
Literatur
- Alfred Horn, Walter von Andrian: Spektakuläre Entgleisung am Arlberg. In: Eisenbahn Österreich. Nr. 8/2010. Minirex, ISSN 1421-2900, S. 428–431.
- Entgleisung des Zuges 46676 am 16. Juni 2010. Arlbergstrecke zwischen Bf Hintergasse und Bf Braz. Untersuchungsbericht der Bundesanstalt für Verkehr, Unfalluntersuchung Fachbereich Schiene. Wien, 8. August 2011.
Siehe auch
Beim Eisenbahnunfall von Braz 1971 entgleiste ein Spirituszug in Innerbraz[4], 1995 gab es einen weiteren Eisenbahnunfall in Innerbraz, als ein Intercity entgleiste.
Einzelnachweise
- Zug in Braz entgleist: 50.000 Euro Schmerzensgeld für Lokführer. Abgerufen am 26. April 2021.
- https://vbgv1.orf.at/stories/535358
- ÖBB Infrastruktur: VzG - ab 15.12.2019. Hrsg.: ÖBB Infrastruktur. 15. Dezember 2019.
- Arlbergbahn - Kesselzug. Abgerufen am 26. November 2021.