Eine Meerfahrt
Eine Meerfahrt ist eine Novelle von Joseph von Eichendorff, die – um 1836[1] entstanden – 1864 posthum erschien. Hermann von Eichendorff hatte sie im dritten Band der „Sämmtlichen Werke“ aus dem Nachlass seines Vaters herausgegeben.[2]
Inhalt
Don Antonio, „ein armer Student aus Salamanka“, schließt sich anno 1540 einer Fahrt nach Amerika an. Die Besatzung der „Fortuna“ wird von der Gier nach Gold westwärts getrieben. Antonio hingegen, im Fahrwasser des Columbus, will Kunde von dem „fabelhaften Wunderreiche“ an den fernen Ufern des Atlantischen Ozeans. Zudem hofft der junge Mann den seit dreißig Jahren verschollenen Onkel Don Diego zu finden.
Am Ende ihrer langen, entbehrungsreichen Fahrt entdecken die weit gereisten Europäer Land. Auf jener Insel schreiten die Ankömmlinge „unter Kokospalmen“ durch „ein weites gesegnetes Tal wie in einen unermeßlichen Frühling hinein“. Die Mannschaft ruft ihren Schiffshauptmann jubelnd als Vizekönig aus. Während des Empfangs durch die Insulaner versteht der sprachgelehrte „Dolmetscher“ Antonio kein Wort des Inselkönigs im Federmantel. Das Oberhaupt der Einheimischen lässt Klumpen Goldes auf seine erstaunten Gäste ausschütten. Das königlich spöttische Lächeln aber verheißt nichts Gutes.
Als die Europäer die Insel durchstreifen, verlieren sie Antonio. Er hat Glück. Die Eingeborene Alma, eine schlanke Frauengestalt, findet ihn und redet ihn in gebrochenem Spanisch an. Antonio nennt das Mädchen „die Frau Venus“. Als die Eingeborenen mit einer erdrückenden Übermacht das Häuflein Spanier angreifen, wird Antonio von Alma auf das spanische Schiff gerettet. Das schöne Mädchen will dem Geliebten dienen. Als Alma von den fliehenden Spaniern kurz vor dem Lichten des Ankers auf der Insel ausgesetzt werden soll, begehrt Antonio auf. Alma begleitet die Flüchtlinge auf der Fahrt zu einer zweiten, kleineren Insel. Dort bewirtet ein Einsiedler die vom Kampf Ermüdeten mit Weinflaschen und köstlichem Obst. Der da auf den Ruhm Altspaniens trinkt, ist kein anderer als Antonios Onkel Don Diego. Nachdem der würdige Greis den Landsmännern seine Lebensgeschichte erzählt hat, sticht das spanische Schiff – mit Alma und Antonio an Bord – wieder in See. Don Diego bleibt auf seinem Eilande zurück. Er meint, sein Leben spiegele sich wunderbar noch einmal im Leben des Neffen Antonio wider. Don Diego hatte mit seiner Geliebten, einst Königin der benachbarten, größeren Insel, kein Glück. Wie benommen von ihrem Geständnis
- „Bin ein Feuer hell, das lodert
- Von dem grünen Felsenkranz,
- Seewind ist mein Buhl' und fodert
- Mich zum lust'gen Wirbeltanz,
- Kommt und wechselt unbeständig.
- Steigend wild,
- Neigend mild,
- Meine schlanken Lohen wend ich,
- Komm nicht nah mir, ich verbrenn dich!“[3]
wollte Don Diego vor Jahrzehnten die Untertanen des „schönen Weibes“ christianisieren und alsdann zusammen mit ihr über das Inselvolk regieren. Den Angriff der Insulaner auf die Spanier hatten damals nur Don Diego und sein „Lieutenant“ überlebt. Die Königin hatte sich während der bewaffneten Auseinandersetzungen zusammen mit dem spanischen Schiff in die Luft gesprengt.
Jenes oben zitierte Lied der Königin hatte Antonio nachdenklich gemacht. Offenbar hatte es ihm Alma bereits dargeboten. Es hatte sich ergeben, Alma war die Nichte der Königin und wurde von den Eingeborenen auch wegen ihrer Ähnlichkeit mit der verstorbenen tapferen Herrscherin scheu verehrt.[4]
Lyrik
- „O Trost der Welt, du stille Nacht,
- Der Tag hat mich so müd' gemacht,
- Das weite Meer schon dunkelt,
- Laß' ausruhn mich von Lust und Not,
- Bis daß das ew'ge Morgenrot
- Den stillen Wald durchfunkelt.“[5]
Rezeption
- Ulmer[6] hebt die Auseinandersetzung der Christen mit den Heiden hervor.
- Seidlin[7] analysiert die erzählerische Überlagerung der beiden dreißig Jahre auseinander liegenden Zeiten der geschilderten zwei Meerfahrten, die den Blick auf eine „Über-Zeit“[8] gestatte.
- Auch Gillespie[9] betrachtet ein gestalterisches Element. Er geht auf den Vorgang des gegenseitigen Erkennens der beiden Verwandten unter dem Gesichtspunkt der Duplizität der Ereignisse gegen Ende der Novelle ein.
- Nach Schulz[10] könne die Allegorie, hier in Form einer „Lebensreise“[11] präsentiert, kaum überzeugen. Schulz lobt aber die „tiefe Stille“ in der ersten Strophe des Eingangsliedes:
- „Ich seh' von des Schiffes Rande
- Tief in die Flut hinein:
- Gebirge und grüne Lande,
- Der alte Garten mein,
- Die Heimat im Meeresgrunde,
- Wie ich's oft im Traum mir gedacht,
- Das dämmert alles da drunten
- Als wie eine prächtige Nacht.“[12]
- Schiwy[13] bespricht die in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts vorverlegte Zeitkritik.
Weblinks
Literatur
- Oskar Seidlin: Versuche über Eichendorff. 303 Seiten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1965
- Ansgar Hillach, Klaus-Dieter Krabiel: Eichendorff-Kommentar. Band I. Zu den Dichtungen. 230 Seiten. Winkler, München 1971
- Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Teil 2. Das Zeitalter der Napoleonischen Kriege und der Restauration: 1806–1830. 912 Seiten. München 1989, ISBN 3-406-09399-X
- Günther Schiwy: Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie. 734 Seiten. 54 Abbildungen. C. H. Beck, München 2000, ISBN 3-406-46673-7
- Detlev Kremer: Romantik. Lehrbuch Germanistik. 342 Seiten. Metzler Stuttgart 2007 (3. Aufl.), ISBN 978-3-476-02176-2
- Otto Eberhardt: Eine Meerfahrt. Das Ende der neueren romantischen Dichtung in der Rückbesinnung auf das Ende der romantischen Dichtung des Mittelalters. In: Otto Eberhardt: Figurae. Rollen und Namen der Personen in Eichendorffs Erzählwerk. Königshausen & Neumann, Würzburg 2011, ISBN 978-3-8260-4439-7, S. 319–367.
Erstausgabe
- „Eine Meerfahrt“ im dritten Band „Novellen und erzählende Gedichte“. In: Joseph Freiherrn von Eichendorffs sämmtliche Werke. Zweite Auflage. 6 Bände. Mit des Verfassers Portrait und Facsimile. Herausgegeben und eingeleitet von H (Hermann von Eichendorff). Voigt & Günther, Leipzig 1864.
Ausgaben
- Friedo Lampe (Hrsg.): Joseph Freiherr von Eichendorff: Eine Meerfahrt. 77 Seiten. Deutsche Reihe, Band 126. Eugen Diederichs Verlag, Jena 1943. Oktav
- Joseph Freiherr von Eichendorff: Eine Meerfahrt. Mit Illustrationen von Hans Achenbach. 135 Seiten. Halbleinen (1. Aufl.). Jung Stilling Verlag, Kreuztal 1948.
- Joachim Lindner (Hrsg.): Joseph von Eichendorff: Eine Meerfahrt. Novelle. Mit Illustrationen von Brigitte Ullmann. 104 Seiten. Verlag der Nation, Berlin 1988, ISBN 3-373-00241-9
Zitierte Textausgabe
- Eine Meerfahrt. S. 355–419 in Brigitte Schillbach (Hrsg.), Hartwig Schultz (Hrsg.): Dichter und ihre Gesellen. Erzählungen II. in Wolfgang Frühwald (Hrsg.), Brigitte Schillbach (Hrsg.), Hartwig Schultz (Hrsg.): Joseph von Eichendorff. Werke in fünf Bänden. Band 3. 904 Seiten. Leinen. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1993 (1. Aufl.), ISBN 3-618-60130-1
Einzelnachweise
Quelle meint die zitierte Textausgabe
- Hillach und Krabiel, S. 157 oben
- Hillach und Krabiel, S. 156, 2. Z.v.u. und S. 43, 6. Z.v.u.
- Quelle, S. 408, 34. Z.v.o.
- Alma hatte den Spaniern erklärt: „Auch die Meinigen hielten mich damals, als wir fortfuhren, für die verstorbene Königin, sonst hätten sie euch sicherlich erschlagen.“ (Quelle, S. 416, 5. Z.v.o.)
- Der Einsiedler an die Nacht: Quelle, S. 395, 22. Z.v.o.
- Bernhard Ulmer (anno 1950) zitiert bei Hillach und Krabiel, S. 157, 8. Z.v.o. (in englischer Sprache: siehe auch)
- Seidlin, S. 99
- Hillach und Krabiel, S. 157, 21. Z.v.o.
- Gerald Gillespie (anno 1965) zitiert bei Hillach und Krabiel, S. 157, 25. Z.v.o. (siehe auch)
- Schulz, S. 498
- Kremer, S. 187, 3. Z.v.o.
- Quelle, S. 358, 24. Z.v.o.
- Schiwy, S. 544, 3. Z.v.u. - S. 545, 18. Z.v.o.