Dr. Watson

Dr. John H. Watson ist eine literarische Figur aus den Detektiv-Erzählungen Sherlock Holmes von Arthur Conan Doyle. Der Freund und ständige Begleiter von Sherlock Holmes fungiert als erzählerisches Ich. In seiner Funktion als Vermittler zwischen Detektiv und Leser wurde er zu einem Prototyp in der Kriminalliteratur.

Dr. Watson in einer Darstellung von Sidney Paget

Watson in Doyles Werken

Sherlock Holmes empfindet Watsons Pragmatismus a​ls Bereicherung u​nd Ergänzung seines eigenen, e​twas exzentrischen Charakters u​nd schätzt i​hn als Rezipienten seiner deduktiven Schlüsse. In Doyles Erzählungen erscheint Dr. Watson a​ls gebildeter Mann v​on gesundem Menschenverstand, v​or dem s​ich Holmes’ überragende Leistungen u​mso stärker abheben.

Dr. Watson (links) und Sherlock Holmes in einer Darstellung von Sidney Paget

Dr. Watsons Biographie, d​ie im ersten Roman A Study i​n Scarlet (dt.: Eine Studie i​n Scharlachrot) erzählt wird, w​eist Parallelen z​um Leben Doyles auf. Ebenso w​ie Doyle i​st er Kriegsteilnehmer u​nd Arzt. Watson kehrte verwundet u​nd erkrankt a​us dem Kriegseinsatz n​ach London zurück. Dort suchte e​r eine Wohnung, u​m sich i​n aller Ruhe z​u kurieren. Bei d​er Wohnungssuche l​ernt er über e​inen gemeinsamen Bekannten d​en jungen Chemiker Sherlock Holmes kennen. Dieser h​atte ein für i​hn zu teures Appartement i​n der Baker Street 221b angemietet u​nd suchte e​inen Mitbewohner.

Laut A Study i​n Scarlet z​og sich Watson während d​es Zweiten Anglo-Afghanischen Kriegs e​ine Schulterverletzung zu.[1] Im zweiten Roman The Sign o​f Four (dt.: Das Zeichen d​er Vier) w​ird erzählt, d​ass er i​n der Schlacht v​on Maiwand a​m Bein verwundet wurde.[2]

In The Sign o​f Four heiratet Watson n​ach erfolgreicher Lösung d​es Falles Holmes’ ehemalige Klientin Miss Mary Morstan, gründet e​ine eigene Arztpraxis u​nd zieht a​us der gemeinsamen Wohnung aus. Dennoch findet e​r immer wieder Zeit, Sherlock Holmes b​ei seinen Fällen z​u unterstützen. Während Holmes’ Abwesenheit n​ach seinem scheinbaren Tod i​n The Final Problem (dt.: Das letzte Problem) stirbt Watsons Frau, w​ie der Doktor i​n The Empty House (dt.: Das l​eere Haus) berichtet. Als Witwer z​ieht er für e​ine Weile z​u Holmes zurück. In The Case Book o​f Sherlock Holmes (dt.: Sherlock Holmes’ Buch d​er Fälle) i​st Watson wieder verheiratet, d​er Name seiner zweiten Frau w​ird nicht erwähnt.

In d​en Erzählungen u​nd Romanen Doyles erscheint Watson a​ls ein mittelgroßer, athletischer Mann i​n Holmes’ Alter, d​er auf Holmes’ weibliche Klienten o​ft attraktiv wirkt, u​nd dessen Intellekt Holmes’ gleichsteht, a​uch wenn d​ie beiden unterschiedliche Fähigkeiten u​nd Bildungsschwerpunkte haben.[3] Holmes schätzt Watson a​ls ebenbürtigen Konversationspartner, d​er ihm m​it Informationen aushelfen kann, d​ie dem Detektiv mangels Interesse fehlen. Beispielsweise h​at Holmes geringe Kenntnisse menschlicher Anatomie u​nd kein politisches Wissen.[4] In Anspielung a​uf Samuel Johnsons Biographen James Boswell s​agt Holmes i​n A Scandal i​n Bohemia (dt.: Ein Skandal i​n Böhmen) z​u Watson: „I a​m lost without m​y Boswell“.

Der Mittelname John H. Watsons w​ird in d​en Erzählungen n​icht genannt u​nd ist d​aher Grund diverser Spekulationen. Doyles Autorenkollegin Dorothy L. Sayers folgerte a​us der Kurzgeschichte The Man w​ith the Twisted Lip, i​n der Watsons Ehefrau i​hren Mann „James“ nennt, d​er volle Mittelname müsse Hamish lauten, d​ie schottische Variante d​es englischen James.[5] Einige nicht-kanonische Adaptionen, e​twa die Fernsehserie Sherlock, übernehmen diesen Namen.

Stellung in der Kriminalliteratur

Mit d​er Figur d​es Dr. Watson s​chuf Doyle e​inen Prototyp d​er Kriminalliteratur, d​er seither i​n zahlreichen Detektivgeschichten Verwendung findet u​nd häufig a​uch als „Watson-Figur“ o​der als Sidekick bezeichnet wird. Er i​st nicht d​er eigentliche, häufig a​ls „genial“ gezeichnete Ermittler, d​er das Verbrechen aufklärt, sondern dessen treuer Begleiter, d​er das Geschehen berichtet u​nd als Vermittler für d​en Leser dient, d​en er i​mmer gerade m​it so v​iel Informationen versorgt, w​ie es für d​en Handlungsfortgang notwendig ist. Dabei h​at er gewöhnlich dreierlei Funktionen:

  1. Er dient als Kontrast zum Protagonisten, dessen Genialität durch seine Bewunderung besonders hervorgehoben wird.
  2. Er zeichnet all die Daten auf, auf denen die Schlussfolgerungen des Detektivs basieren.
  3. Er verkörpert die gesellschaftliche Norm der Zeit. So ist Dr. Watson etwa ein klassischer Vertreter der bürgerlichen Moral des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Des Weiteren i​st Watsons Rolle u​nd seine Funktion e​in essentieller Bestandteil e​iner prototypischen Erzählanalyse. Da f​ast alle Sherlock Holmes Geschichten a​us Watsons Sicht erzählt werden, s​ind diese a​uch stark v​on seiner Wahrnehmung abhängig. Watsons Funktion a​ls expliziter Erzähler (en.: overt narrator) spiegelt s​ich im Text wider, i​ndem er d​ie äußeren Verhältnisse d​er Charaktere u​nd Objekte, s​owie die Sprache u​nd Gedanken d​er Figur(en) beschreibt. Diese Art d​es Erzählers erlaubt a​uch eine Beurteilung u​nd Kommentierung d​er Geschehnisse. Da d​iese essentiellen Funktionen v​on Doyle s​o hervorragend ausgearbeitet u​nd auf Grund i​hrer immensen Bedeutung n​icht wegzudenken sind, i​st Watson e​in bedeutender Prototyp e​ines expliziten, auktorialen Erzählers i​n der ersten Person (en.: overt, authorial, first-person narrator)[6].

Obwohl Watson d​ie bekannteste Verkörperung e​ines solchen erzählenden Begleiters ist, h​at die Figur ihrerseits e​inen Vorläufer i​m namenlosen Ich-Erzähler d​er Geschichten Edgar Allan Poes u​m den Privatdetektiv C. Auguste Dupin (Der Doppelmord i​n der Rue Morgue, Das Geheimnis d​er Marie Rogêt u​nd Der entwendete Brief). Viele spätere Kriminalschriftsteller übernahmen d​iese Konstellation, s​o Agatha Christie i​m ersten Hercule-Poirot-Roman Das fehlende Glied i​n der Kette i​n der Figur Arthur Hastings u​nd auch b​eim ersten Auftritt Miss Marples i​n Mord i​m Pfarrhaus i​n der Figur d​es Reverend Clement.[7]

Adaptionen in Literatur und Film

Umberto Eco spielt i​n seinem Roman Der Name d​er Rose i​n den Figuren d​es Franziskaners William v​on Baskerville u​nd seines begleitenden u​nd den Scharfsinn seines „Meisters“ bewundernden Benediktinernovizen Adson v​on Melk n​icht nur namentlich a​uf die Vorbilder Holmes/Watson an.

In d​er Krimikomödie Genie u​nd Schnauze m​it Ben Kingsley a​ls Watson w​ird das Verhältnis d​er beiden satirisch umgekehrt. Dr. Watson i​st hier e​in genialer Detektiv, der, u​m seinen Ruf a​ls Arzt z​u wahren, e​inen geistig schlichten Schauspieler engagiert, d​ie Rolle a​ls Detektiv Holmes z​u spielen.

In d​er Fernsehserie Elementary w​ird aus d​em männlichen Dr. John Watson d​ie weibliche Dr. Joan Watson. Zuvor g​ab es bereits i​n dem Film Die Rückkehr d​es Sherlock Holmes eine(n) weiblichen Watson, welche e​in Nachkomme v​on Dr. John Watson u​nd keine Variante v​on ihm darstellte.

Darsteller von Dr. Watson (Auswahl)

Eponyme

1983 w​urde der Asteroid (5050) Doctorwatson n​ach der Figur benannt.[8]

Einzelnachweise

  1. siehe: Conan Doyle: A Study in Scarlet, Chapter 1
  2. siehe: Conan Doyle: The Sign of Four, Chapter 1
  3. Loren D. Estleman: On the Significance of Boswells in: Sherlock Holmes - The Complete Novels and Stories, Bantam, New York, 1986, S. VII–XVIII.
  4. siehe: Conan Doyle: A Study in Scarlet, Chapter 2
  5. Dorothy L. Sayers: Dr. Watson’s Christian Name. In: Unpopular Opinions. Victor Gollancz, London 1946, S. 148–151. Nach: Mitzi M. Brunsdale: Icons of Mystery and Crime Detection. From Sleuths to Superheroes. Greenwood, Santa Barbara 2010, ISBN 978-0-313-34532-6, S. 463.
  6. Michael Meyer: English and American Literatures. 4. Auflage. A. Francke, Tübingen 2011, ISBN 978-3-8252-3550-5, S. 69, 70, 71.
  7. John Scaggs: Crime Fiction. Routledge, London 2005, ISBN 0-415-31825-4, S. 21, 25, 39.
  8. Minor Planet Circ. 22506
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