Dietrich Schulz-Köhn
Dietrich Schulz-Köhn (* 28. Dezember 1912 in Sonneberg, Deutschland; † 7. Dezember 1999 in Erftstadt, Deutschland) war einer der bekanntesten deutschen Jazz-Autoren, Jazz-Experten und Radiomoderator („Dr. Jazz“).
Leben
Schulz-Köhn lernte bereits als Kind Geige und Klavier und spielte ab 1929 als Gymnasiast in Magdeburg Schlagzeug und Posaune in einer Schüler-Band. Er studierte Musik, Volkswirtschaft und Sprachen an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Frankfurt am Main und Königsberg (1934–1939) und Exeter, wobei er in England Duke Ellington und Louis Armstrong erlebte. So hörte er 1932–1933 am Hoch'schen Konservatorium bei Mátyás Seiber die damals einzige deutsche Lehrveranstaltung über Jazz – die erste Jazzklasse überhaupt. 1936 schloss er seine Ausbildung zum Diplom-Volkswirt ab, 1939 promovierte er an der Universität Königsberg zum Dr. rer. pol. über Die Schallplatte auf dem Weltmarkt.
1934 gründete er den ersten deutschen Jazzclub Swing-Club in Königsberg. Ab 1935 war Schulz-Köhn bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft beschäftigt. Er gab auch die Platten der Brunswick Records heraus; ab 1939 arbeitete er bei Telefunken als Jazz-Redakteur. 1938 trat er in die NSDAP ein, nachdem er schon 1933 in Magdeburg der SA beigetreten war.[1] Außerdem war er Korrespondent von ausländischen Zeitschriften wie des Billboard und des schwedischen Orkester Journalen. Seit 1935 war er ebenfalls Mitglied von Charles Delaunays Hot Club de France, den er 1936 und 1937 in Frankreich besuchte. Auch an der 1936er Ausgabe von dessen Diskografie-Buch arbeitete er mit.
Schulz-Köhn hielt diese Kontakte in Paris auch während des Zweiten Weltkriegs aufrecht, obwohl er bis zum Oberleutnant der Luftwaffe aufstieg und obwohl Delaunay gleichzeitig in der Résistance wirkte. Er ließ sich sogar in Wehrmachtsuniform mit Django Reinhardt und der einzigen damals noch spielenden Band mit afro-amerikanischen Mitgliedern vor dem „Club Cygale“ in Paris fotografieren. Allerdings war er in Paris nur auf der Durchreise, stationiert war er an der französischen Küste, zunächst in Nordfrankreich, dann am Mittelmeer und am Ende in der Normandie.
Da er mit einem Teil seiner Plattensammlung reiste und als einziger in Frankreich – mit Hugues Panassié, wie er betonte – an neue Platten kam, machte er sich auch bei den französischen Jazzfans beliebt, indem er diese Platten in Clubs spielte. Die Kontakte zum befreundeten Delaunay rissen auch nach dem Krieg nicht ab, als er zunächst in Frankreich in Kriegsgefangenschaft war. Während des Krieges brachte er zusammen mit Hans Blüthner und Gerd Pick ab 1943 sogar eine geheime Fan-Zeitung über Jazz heraus, die Mitteilungen. Schulz-Köhn lieferte dank seiner Kontakte nach Frankreich, Holland, Belgien und Schweden viele Beiträge. Als Kriegsgefangener in Frankreich hielt er in einem im Gefangenenlager gegründeten Jazzclub Vorträge.
1947 aus der Gefangenschaft entlassen, war Schulz-Köhn Mitgründer des „Hot-Clubs Hannover“, des „Hot-Clubs Düsseldorf“ und der Deutschen Jazz-Föderation; hauptberuflich war er zunächst Sachbearbeiter der Musikabteilung bei der Britischen Militärregierung. Von 1949 bis 1953 war er Label-Manager bei Decca (und als solcher verantwortlich für den Matrizenaustausch zwischen der Konzernmutter und ihren deutschen Töchtern); auch produzierte er Schallplatten mit Hans Koller, Jutta Hipp und Albert Mangelsdorff.
Bekannt wurde er in den Nachkriegsjahren zunächst als Radiomoderator Dr. Jazz,[2] beginnend 1948 beim Nordwestdeutschen Rundfunk mit dem Jazz-Almanach,[3] einer Sendung, die „deutlich Hot Jazz orientiert“ war und bis 1952 Bestand hatte.[4] Auch beim späteren Westdeutschen Rundfunk (WDR) begründete er mehr als 20 Jazzsendungen. Dabei konnte er auf einen Grundstock von rund 4.000 Schellackplatten zurückgreifen, die er über den Krieg und 1947 über die Zonengrenze retten konnte. Von 1957 bis 1978 lief beim WDR die Sendung Jazz-Informationen. Ähnlich langlebig war Die rauhe Rille, die von 1974 bis 1992 ausgestrahlt (und von Werner Wunderlich fortgesetzt) wurde; daneben war er beim Deutschlandfunk aktiv.
Gemeinsam mit Joachim Ernst Berendt organisierte er 1957 im Auftrag der amerikanischen Botschaft die Wanderausstellung Jazz in USA. 1969 war er in Graz Mitbegründer der „Internationalen Gesellschaft für Jazzforschung“, sein Nachlass sowie seine Sammlungen befinden sich seit 1985 in der dortigen „Internationalen Dr. Dietrich Schulz-Köhn Stiftung“. Gemeinsam mit Bruno Tetzner und Glen Buschmann war er Gründer der jeweils mehrwöchigen Kurse für Jazzmusik in Remscheid, mit denen Amateurmusiker ausgebildet wurden.
Schulz-Köhn war zudem als Buchautor tätig und übersetzte Ken Williamsons This Is Jazz ins Deutsche. Er hatte in den Jahren 1958–1961 Lehraufträge für die Geschichte des Jazz an der Hochschule für Musik Köln und wurde 1990 verpflichtet, an der Hochschule der Künste Berlin als Honorarprofessor Vorlesungen zu halten.
Seit 1948 war Schulz-Köhn mit der Rundfunkmoderatorin und Jazz-Sängerin Inge Klaus (* 1922, † 1980) verheiratet. 1985 wurde er mit dem Verdienstorden 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland geehrt.
Sonstiges
Jens-Uwe Völmecke brachte mit seinem Kölner Label Jube eine Reihe unter dem Titel Dr. Jazz Collection heraus, u. a. mit Swing-Musik aus dem Paris der Besatzungszeit.
In dem französischen Spielfilm Django – Ein Leben für die Musik (2017) von Étienne Comar wurde Schulz-Köhn von Jan Henrik Stahlberg verkörpert.
Werke
- mit Heinz Protzer: I got Rhythm. 40 Jazz-Evergreens und ihre Geschichte. Heyne 1994. (Taschenbuchausgabe von Die Evergreen-Story: 40 x Jazz Quadriga, Weinheim, Berlin 1990, ISBN 3-88679-188-2)
- Interview in Klaus Wolbers (Hrsg.): Thats Jazz. Darmstadt 1988.[5]
- mit Dave Kamien: Lets swing – Jazz zum Mitmachen. Verlagsgesellschaft Schulfernsehen 1979.
- Vive la Chanson. Bertelsmann, 1969.
- Kleine Geschichte des Jazz. Bertelsmann, 1963.
- Das ist Jazz. Engelbert Verlag, 1963 (Hrsg. von Ken Williamson; Übersetzung und ein Beitrag)
- Stan Kenton. Jazz-Bücherei. Pegasus Verlag, Wetzlar 1961
- Django Reinhardt. Jazz-Bücherei, Pegasus Verlag, 1960.
- mit Walter Gieseler: Jazz in der Schule. Möseler Verlag, Wolfenbüttel 1959.
- Wesen und Gestalten der Jazz Musik. Kevelaer 1951.
- Die Schallplatte auf dem Weltmarkt. Reher, Berlin 1940 (= Dissertation Königsberg 1939)
Literatur
- Michael H. Kater: Gewagtes Spiel – Jazz im Nationalsozialismus. Kiepenheuer 1995, dtv 1998, ISBN 3-423-30666-1. (Leseprobe)
- Andreas Kolb: Angepaßt und widerständig. In: Jazz-Zeitung. 2002.
- Bernd Hoffmann: Die Mitteilungen. In: Wolfram Knauer (Hrsg.): Jazz in Deutschland. Jazz-Institut Darmstadt, Wolke-Verlag, 1996, ISBN 3-923997-70-1.
- Heinz Protzer: Eine Jazz-Institution: Dietrich Schulz-Köhn. In: Robert von Zahn (Hrsg.): Jazz in Nordrhein-Westfalen seit 1946. Emons-Verlag, Köln 1999, ISBN 3-89705-152-4, S. 329–347.
- Mike Zwerin: La Tristesse de Saint Louis – Swing unter den Nazis. Hannibal, Wien 1988, ISBN 3-85445-039-7.
Weblinks
- Literatur von und über Dietrich Schulz-Köhn im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- 100. Geburtstag von Dieter Schulz-Köhn: Medizin von Dr. Jazz (WDR) (Memento vom 10. März 2013 im Internet Archive)
- Andreas Kolb in der Jazz-Zeitung 2002
- Über die internationale Dr. Dietrich Schulz-Köhn Stiftung
- Nachruf
Einzelnachweise
- Vgl. Michael H. Kater: Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus. Köln 1995, S. 198. An die Motive konnte sich Schulz-Köhn in den Interviews mit Kater nicht mehr erinnern, teilweise waren sie wohl karrierebedingt. 1936 sah er sich allerdings auch Angriffen der SA-„Kollegen“ wegen seiner Jazz-Vorträge ausgesetzt.
- Der öffentliche Rundfunk schrieb ihm dieses Pseudonym vor, da er bei der Musikindustrie beschäftigt war.
- Nach einer Hörerbefragung wurde seine Sendung als informativ für Jazzhörer angesehen; allerdings wurde sie als zu selten kritisiert. Vgl. Horst Ansin, Marc Dröscher, Jürgen Foth, Gerhard Klußmeier: Anglo German Swing Club. Dokumente 1945–1952. Hamburg 2003, S. 396f.
- Bernd Hoffmann: Grenzkontrollen im Jazz. S. 95–112. In: Franz Kasper Krönig, Helmut Rösing, Ralf von Appen, André Doehring: No Time for Losers: Charts, Listen und andere Kanonisierungen in der populären Musik. 2008, S. 98.
- Er widerspricht einigen Behauptungen von Mike Zwerin: Swing unter den Nazis. 1988.