Cthulhus Ruf
Cthulhus Ruf (englischer Originaltitel: Call of Cthulhu) ist eine der bekanntesten Kurzgeschichten des amerikanischen Horrorautors H. P. Lovecraft. Die Geschichte wurde im Sommer des Jahres 1926 geschrieben, im Februar 1928 im Pulp-Magazin Weird Tales veröffentlicht[1] und 1939 in die Sammlung The Outsider and Others des Verlages Arkham House aufgenommen.
Obwohl auch andere Erzählungen Lovecrafts zum Cthulhu-Mythos gehören, ist diese die einzige, in der das außerirdische Wesen auftritt und die erste, die den Mythos ausformuliert.[2]
Aufbau der Erzählung
Als Rahmenhandlung dienen mehrere Dokumente, die der verstorbene Francis Wayland Thurston hinterlassen hat. Er war Nachlassverwalter seines verstorbenen Großonkels George Gamell Angell, eines emeritierten Professors für semitische Sprachen. Die drei zentralen Dokumente bilden jeweils ein Kapitel der Geschichte:
Der Schrecken im Lehm („The Horror in Clay“): Thurston sichtet den Nachlass seines Onkels und entdeckt, dass dieser Hinweise gesammelt hat, die auf die Existenz eines übernatürlichen Wesens namens Cthulhu hindeuten. Darunter findet sich ein auf Thurston abstoßend wirkendes Basrelief, das Cthulhu darstellen soll: Ein riesiges, entfernt menschenähnliches geflügeltes Wesen mit Klauen an Armen und Beinen und einem Kopf voller Tentakeln. Es ist von einem modernen Künstler namens Henry Anthony Wilcox geschaffen worden, der über mehrere Wochen verstörenden Träume von Cthulhu und dessen Stadt R'lyeh durchlebte. Professor Angell hat eine Abhandlung über Wilcox’ Traumvisionen geschrieben.
Der Bericht des Inspektors Legrasse („The Tale of Inspector Legrasse“): Ebenfalls in Angells Nachlass befindet sich ein Bericht über eine Archäologie-Konferenz, auf der Polizeiinspektor John Raymond Legrasse berichtet, wie er in Louisiana einen grausamen Kult aushob. Die Anhänger verehrten Cthulhu, welchen Legrasse kulturell nicht zuordnen kann. Zum Bericht des Inspektors gehört auch das Verhör eines der Angehörigen des Kults, eines greisen Seemanns namens Castro. Dieser ist auf seinen Reisen hochrangigen Mitgliedern des Kults begegnet und besitzt Kenntnisse über seinen Hintergrund. Ein weiterer Konferenz-Teilnehmer, Professor William Channing Webb, liefert einen Bericht über eine Expedition nach Grönland, bei der er ebenfalls auf den Cthulhu-Kult stieß.
Der Schrecken aus dem Meer („The Madness from the Sea“): Thurston stellt eigene Nachforschungen an, die über die Arbeit seines Onkels hinausgehen. Ein australischer Zeitungsartikel berichtet über eine mysteriöse Schiffsreise im Pazifik, etwa zur gleichen Zeit, als Wilcox von Träumen geplagt wird und das Cthulhu-Basrelief erschaffen hat. Das Tagebuch des einzigen Überlebenden dieser Schiffsreise, des Norwegers Gustaf Johansen, welcher mittlerweile verstorben ist, bringt Thurston an sich. Johansens Aufzeichnungen berichten erstens von einem Kampf zwischen seiner Mannschaft und einigen Anhängern des Kults; zweitens von der Entdeckung der Stadt R'lyeh, die nahe dem pazifischen Pol der Unzugänglichkeit auftauchte; drittens von Johansens Auseinandersetzung mit Cthulhu, welchen er während der Flucht zu Schiff hat rammen und damit für den Moment besiegen können.
Chronologische Abfolge der Ereignisse
Der komplexe Aufbau der Geschichte sorgt dafür, dass der Leser nur schrittweise Informationen über den Cthulhu-Mythos erhält, die nicht chronologisch geordnet sind. Der Leser befindet sich dadurch in einer Situation wie Thurston bei der Sichtung von Professor Angells Nachlass.
- Irgendwann im Verlauf des 19. Jahrhunderts begegnet der Mestize Castro in China den „todlosen Führern“ des Cthulhu-Kults. Von ihnen erfährt er, dass Cthulhu vor Äonen über die Erde geherrscht habe, seit Jahrtausenden aber in einem dem Tod ähnlichen Schlaf liege. Weltweit existiere ein Kult, der auf Cthulhus Auferstehung warte und dessen Ursprung sich in Arabien befinde. Auch im berüchtigten Buch des wahnsinnigen Arabers Abdul Alhazred, dem Necronomicon, bezögen sich vereinzelte Passagen auf die Existenz Cthulhus.
- 1860 stößt Professor Webb, ein Anthropologe, während einer Expedition nach Grönland auf eine Gruppe „degenerierter Eskimos“, die Cthulhu verehren und dem Professor Hinweise auf den Kult liefern.
- Im November 1907 dringt Inspektor Legrasse mit mehreren Polizisten in die Sümpfe um New Orleans (Louisiana) vor, um einige von Kultanhängern entführte Siedler zu retten. Die Kultanhänger werden getötet oder gefangen genommen. Unter den Überlebenden befindet sich der mittlerweile uralte Castro, der Legrasse über den Cthulhu-Mythos berichtet.
- 1908 nehmen Legrasse sowie die Professoren Webb und Angell an einer archäologischen Konferenz in St. Louis teil. Legrasse und Webb entdecken dabei, dass sich die Kulte in Grönland und Louisiana trotz der räumlichen Entfernung ähneln. Sowohl die bildliche Darstellung Cthulhus als auch die fremdartige Sprache der Ritus sind identisch: Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn, was übersetzt bedeutet: In seinem Haus zu R'lyeh wartet der tote Cthulhu träumend.
- Am 28. Februar 1925 oder am 1. März 1925 – je nach Datumsgrenze – wird die im Pazifischen Ozean versunkene Stadt R'lyeh durch ein schweres Erdbeben an die Oberfläche gehoben. Seitdem leidet der Künstler Wilcox aus Providence an nächtlichen Alpträumen, die Cthulhu zum Inhalt haben, woraufhin er ein Abbild des Wesens erschafft. Er zeigt es Angell und erzählt ihm von seinen Träumen. Der Professor hat damit einen dritten Hinweis auf den Cthulhu-Mythos und stellt weitere Nachforschungen an.
- Am 22. März kommt es zu einem Gefecht zwischen dem Schoner Emma aus Auckland, auf dem der Norweger Johansen als zweiter Maat dient, und der schwer bewaffneten Yacht Alert, deren Crew aus Cthulhu-Anhängern besteht, mehrheitlich „Kanaken und Mischlinge“. Die Emma wird versenkt, doch kann ihre Besatzung die Alert entern und deren Crew töten. Als ranghöchster Überlebender übernimmt Johansen das Kommando.
- Am 23. März landen Johansen und seine Crew auf der vom Erdboden angehobenen Insel. Sie betreten die Stadt R'lyeh, auf der die bekannten physikalischen Gesetze außer Kraft gesetzt sind. Unbeabsichtigt wecken die Männer Cthulhu aus seinem äonenlangen, todesähnlichen Schlaf. Johansens Männer werden von Cthulhu getötet oder sterben an panischer Angst. Nur Johansen und einer seiner Männer können sich auf die Alert retten und verlassen die Insel. Cthulhu verfolgt ihr Schiff, woraufhin Johansen kehrtmacht auf Kollisionskurs geht und die Yacht in den Kopf der Kreatur rammt, der mit „einer matschigen Ekelhaftigkeit wie ein zerfetzter Sonnenbarsch“ zerplatzt – nur um sich im gleichen Moment zu regenerieren.
- Zwischen dem 23. März und 2. April 1925 kommt es weltweit zu Aufständen und Massenpaniken, ohne dass sich die Menschen Cthulhus kurzzeitiger Auferstehung bewusst sind. Wilcox’ Träume verstärken sich, er fällt ins Delirium.
- Am 2. April versinkt die Stadt R'lyeh in einem schweren Sturm wieder im Pazifik. Cthulhu fällt wieder in Schlaf. Die Alert wird durch den Sturm seeuntüchtig und treibt ziellos dahin. Johansens Gefährte verfällt dem Wahnsinn und stirbt bald darauf. Der Künstler Wilcox erwacht aus seinem Delirium und kann sich nicht mehr an seine Visionen erinnern.
- Am 12. April wird die Alert vom Frachter Vigilant, der selbst im vorangegangenen Sturm seinen Kurs verloren hat, in Schlepptau genommen.
- Im weiteren Verlauf des Jahres 1925 wird Johansen von der Admiralität wegen der Vorgänge auf See befragt, schweigt sich aber aus und kehrt schließlich heim zu seiner Frau nach Oslo. Dort verfasst er ein Tagebuch über seine Erlebnisse im Pazifik und wird schon bald darauf von Agenten des Kults, zwei „Lascar-Matrosen“ (Seefahrer aus dem indischen Raum), getötet.
- Angell stellt 1925 und 1926 weitere Nachforschungen über den Cthulhu-Kult an. Er sammelt Zeitungsausschnitte, die darauf hindeuten, dass Cthulhus Wiederkehr weltweit Spuren hinterlassen hat. Im Winter 1926/27 wird er von einem „Neger-Matrosen“, einem weiteren Kult-Agenten, ermordet.
- 1927 übernimmt der Bostoner Anthropologe Thurston den Nachlass seines Großonkels Angell. Thurston untersucht nach anfänglicher Skepsis den Cthulhu-Mythos. Nachdem er in einer Zeitung einen Hinweis auf die Ereignisse um die Mannschaft der Emma erhalten hat, reist er nach Auckland und anschließend nach Oslo, wo er das Tagebuch Johansens von dessen Witwe erhält. Thurston wird das Ausmaß des Kultes bewusst. Er sieht seinen Tod durch die Hände der Kultanhänger voraus, welcher dann entweder noch 1927 oder 1928 (dem Erscheinungsjahr von Lovecrafts Erzählung) eintritt.
Literatur
- H. P. Lovecraft: Cthulhu’s Ruf (The Call of Cthulhu). Übersetzt von Heiko Postma. jmb, Hannover 2013, ISBN 978-3-944342-20-7
Weblinks
Einzelnachweise
- Cover der Ausgabe auf collectorshowcase.fr
- Rein A. Zondergeld: Lexikon der phantastischen Literatur. Suhrkamp, Frankfurt 1983, S. 271