Camarón de la Isla
Camarón de la Isla, kurz auch Camerón (eigentlich José Monje Cruz[1]; * 5. Dezember 1950 in San Fernando, Provinz Cádiz, Spanien; † 2. Juli 1992 in Badalona, Provinz Barcelona, Spanien) war ein spanischer Flamenco-Sänger.
Leben
José Monje Cruz (auch Monge Cruz), später bekannt als (El) Camarón de la Isla, wurde am 5. Dezember 1950 auf der Halbinsel San Fernando (Provinz Cádiz) in Spanien geboren.
Seine Mutter, Juana Cruz Castro (genannt La Canastera) wurde 1913 in San Fernando geboren und war in der Region als Flamenco-Sängerin bekannt. Sie starb 1986. Der Vater, Juan Luis Monje Nuñez, wurde 1911 in der Nähe von Conil de la Frontera geboren und starb in den 1960er Jahren an chronischem Bronchialasthma in San Fernando. Er arbeitete als Schmied in der eigenen Schmiede und war ebenfalls als Flamenco-Sänger im Heimatort angesehen. Camarón kam als eines[2] von acht Kindern zur Welt. Sein ältester Bruder Manuel wurde 1932 geboren. Es folgten Juan (El Metepata), Luis (El Nano), Remedios, Francisco, Curro, Jesus (El Pijóte de la Isla), José (El Camarón de la Isla) und Isabel. Die Gitano-Familie führte ein Leben in einfachen Verhältnissen.
Den Künstlernamen Camarón („Sandgarnele“) erhielt er in seiner Kindheit von seinem Onkel Joseíco. Dieser wurde ihm aufgrund seiner schlanken Figur, seiner hellen Haut und blonden Haare gegeben. Der Zusatz de la Isla („von der Insel“) bezieht sich auf seinen Geburtsort San Fernando, der auf der „La Isla“ genannten Halbinsel vor Cádiz liegt.[3]
Camarón brach die Schule ab, als er zehn Jahre alt war, und begann seinem Vater in der Schmiede zu helfen. Mit 16 Jahren holte er einen einfachen Schulabschluss nach. Ursprünglich wollte Camarón Torero werden. Da aber die Menschen in San Fernando ihn immer häufiger darum baten zu singen, ihn dafür entlohnten und zu essen gaben, verwarf er diesen Zukunftsplan. Er empfand das Singen als „einfacher“.[4]
1976 heiratete Camarón die 16-jährige Gitana Dolores Montoya, später bekannt als La Chispa, mit der er bis zu seinem Tod zusammenlebte.[5] Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor: Luis, Gemma, Rocio und José. Camaróns erste Tochter Juana entstand aus einer Affäre mit Marie Paz bereits vor seiner Ehe.
Camarón, der nach seiner Ankunft in der Hauptstadt Madrid sehr viel Alkohol getrunken haben soll, war starker Raucher (soll fünf Päckchen Windsor pro Tag geraucht haben) und konsumierte weitere Drogen wie Haschisch, Kokain und Heroin, welches er rauchte.[6][7] Trotz mehrerer Entziehungskuren wurde er wiederholt rückfällig. Teilweise beeinträchtigte dies auch seine Auftritte und Aufnahmen. Sein letztes, mit Paco de Lucía eingespieltes Album Potro de rabia y miel (spanisch für „Fohlen aus Wut und Honig“) wird als Eingeständnis seiner Ohnmacht gegenüber der Droge Heroin (umgangsspr. span. caballo, das Pferd/ Folterbank) gesehen. 1986 verursachte Camarón einen Autounfall, bei dem zwei Menschen starben. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt, die er jedoch nicht antreten musste.[8]
1992 begab sich Camarón aufgrund schwerer gesundheitlicher Probleme in eine Klinik in den USA, wo eine Lungenkrebserkrankung festgestellt wurde. Die letzten Monate wurde er in der Universitätsklinik Germans Trias i Pujol in Badalona vergeblich behandelt. Am 2. Juli 1992 um 7:10 Uhr starb der ausgezehrte Camarón an den Folgen seiner Erkrankung. Das Begräbnis fand auf seinen Wunsch hin in der Heimatstadt San Fernando statt. Etwa 50.000 bis 100.000 Menschen nahmen an der Beerdigung teil.[9] Die Verehrung seitens der Fans und die nationale sowie internationale Bekanntheit Camaróns glichen der eines Popstars. Dies war im traditionellen Flamenco bis dahin nicht üblich. Seinen Stellenwert als politische und kulturelle Identifikationsfigur für die spanischen Gitanos zeigt sich etwa darin, dass Camarón mit der über den Sarg gebreiteten blau-grünen Flagge der Gitanos zu Grabe getragen wurde.[10]
Musikalischer Werdegang
Anfänge und Prägung
In Camaróns Elternhaus gehörte der Flamenco zum Alltag. Er erinnert sich: „Wann immer Künstler in der Stadt waren, um in San Fernando aufzutreten, endete das Fest bei uns zu Hause. Die Schmiede wurde zum Treffpunkt und dort waren sie bis zum Morgengrauen beieinander. Ich hörte das alles und die Dinge blieben hängen. Alles, was ich von den Alten lernte.“[3] Er eignete sich bereits in der Kindheit ein breites Song-Repertoire an. Laut Camarón hatte besonders die Mutter einen starken Einfluss auf seine musikalische Entwicklung. Durch sie lernte er die traditionellen Flamencogesänge wie die Bulerías und Siguiriyas.
Bereits mit sieben Jahren begann Camarón auf der Straße und in den Bars seines Heimatortes zu singen. Ab 1959 trat er auch in der Gaststätte La Venta de Vargas auf, in der er wichtige Kontakte zu anderen Flamencosängern knüpfte.[11]
1962 gewann er den ersten Preis beim Concurso Flamenco del Festival de Montilla (Provinz Córdoba, Spanien). Ein Jahr später folgte ein Auftritt auf dem renommierten Frühlingsfest in Sevilla (Provinz Sevilla, Spanien). Dies wird als Schlüsselereignis auf dem Weg in die professionelle Gesangskarriere gewertet, da viele bekannte Flamencokünstler Camarón hier öffentlich auftreten sahen und von seinem Talent begeistert waren.[12]
Durchbruch und Erfolg
Ab 1964 war Camarón mit dem Ballet de Arte Español und Miguel Quesada Falcón (besser bekannt als Miguel de los Reyes) auf Tour. 1966 erhielt er einen festen Vertrag mit dem Torres Bermejas de la plaza del Callao, einem bekannten Flamenco-Lokal (Tablao) Madrids. Anschließend ging er gemeinsam mit Dolores Vargas (La Terremoto) und Juanito Valderrama auf Tournee.[13] Seine ersten Studioaufnahmen machte Camarón 1968 als Sänger für den Gitarristen Antonio López Arenas und 1969 für Sabicas.
In Madrid lernte Camarón den Gitarristen Francisco Sánchez Gómez, besser bekannt als Paco de Lucía, kennen. Aus der Zusammenarbeit entstanden neun Alben. Die erste Schallplatte erschien 1969. Wie die folgenden zwei Alben trug sie den Titel El Camarón de la Isla con la colaboración especial de Paco de Lucía.[14] Dieses, wie die folgenden Alben, wurde von Paco de Lucías Vater, Antonio Sánchez Pecino, produziert. Es beinhaltete sowohl den typischen Gitano-Gesang Camaróns als auch Paco de Lucías neuartiges Gitarrenspiel. Die Kombination von traditionellen und kommerziellen Elementen schuf eine Verbindung zwischen Flamenco und populärer Musik.[15] Das erste Album verkaufte sich jedoch nicht den Erwartungen entsprechend. In den Jahren 1970 und 1971 nahmen Camarón und Paco de Lucía zwei weitere wichtige Alben auf: Cada vez que nos miramos und Son tus ojos dos estrellas. Für den Titelsong Canastera ihres gleichnamigen vierten Albums aus dem Jahr 1972 erhielten sie die Silver Plate beim Flamenco Song Wettbewerb Antonio Mairena.[16] Um der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass das Werk Camaróns und Paco de Lucías bereits jetzt als wegweisend für den Flamenco zu betrachten war, brachte die Plattenfirma 1973 eine Compilation der ersten vier Alben heraus.
Ab 1974 begleitete der 16-jährige, bis dahin nahezu unbekannte Gitano-Gitarrist José Fernandez Torres (Tomatito, spanisch für „kleine Tomate“), Camarón bei Live-Auftritten. Gleichzeitig wurde die Zusammenarbeit mit Paco de Lucía auf dem Album Soy caminante fortgesetzt. 1975 erhielt Camarón den Premio Nacional del Cante por la Cátedra de Flamencología de Jerez.[16]
Nach seiner Hochzeit mit La Chispa 1976 und dem Erscheinen des Albums Castillo de arena begann eine ruhigere Phase in Camaróns Karriere. Mit der Veröffentlichung des Albums La leyenda del tiempo im Jahr 1979 änderte sich dies. Es war das erste Album, das Camarón nicht mit Paco de Lucía, sondern mit Tomatito aufnahm. Einflussnehmender Produzent war Ricardo Pachón. La leyenda del tiempo wurde als Konzeptalbum angelegt und bediente sich neben der zeitgenössischen Studiotechnik im Flamenco neuer Instrumente wie Schlagzeug, elektrische Gitarre, E-Bass, Sitar (gespielt von Gualberto García Pérez; * 1945), Keyboard und Synthesizer. Dies wird als Beginn des Flamenco nuevo bzw. Flamenco Fusion gewertet. Kommerziell war La leyenda del tiempo zunächst jedoch nicht erfolgreich und wurde scharf kritisiert. 1981 kam in Zusammenarbeit mit Paco de Lucía, dessen Bruder Pepe de Lucía und Tomatito das Album Como el agua heraus, ein weniger experimentelles Album, das als Reaktion auf die starke Kritik an La leyenda del tiempo verstanden wird. Nach zwei weiteren gemeinsamen Alben, unter ihnen das kommerziell erfolgreiche Viviré mit Paco de Lucías Sextett, trennten sich die Wege von Camarón und Paco de Lucía 1985.[17]
Im Mai 1987 gab Camarón ein vielbeachtetes Konzert an drei Tagen im Cirque d’Hiver in Paris. 1989 spielte er das Album Soy gitano gemeinsam mit dem Royal Philharmonic Orchestra ein, das als meistverkauftes Album in die Geschichte des Flamenco einging.[18]
Gemeinsam mit Paco de Lucía und Tomatito entstand 1992 kurz vor seinem Tod das letzte Album, Potro de rabia y miel. „Al verte las floras lloran“ wurde in die legendäre Wire-Liste The Wire’s „100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)“ aufgenommen.
Diskographie (Auswahl)
- Flamenco. Grupo flamenco de Antonio Arenas (1968)
- Sabicas. La historia del flamenco (1969)
- El Camarón de la Isla con la colaboración especial de Paco de Lucía – Al verte las flores lloran (1969)
- El Camarón de la Isla con la colaboración especial de Paco de Lucía – Cada vez que nos miramos (1970)
- El Camarón de la Isla con la colaboración especial de Paco de Lucía – Son tus ojos dos estrellas (1971)
- Canastera (1972)
- El Camarón de la Isla con la colaboración especial de Paco de Lucía – Caminito de Totana (1973)
- Soy caminante (1974)
- Arte y majestad (1975)
- Rosa María (1976)
- Castillo de arena (1977)
- La leyenda del tiempo (1979, mit Tomatito, Kiko Veneno, Rafael und Raimundo Amador)
- Gran Festival Flamenco (1981)
- Como el agua (1981)
- Calle Real (1983)
- Viviré (1984)
- Te lo dice Camarón (1986)
- Flamenco vivo (1987)
- Soy gitano (1989)
- Potro de rabia y miel (1992)
- Sevillanas (1992)
- Camarón nuestro (1993)
- París 1987 (1999)
- Antología inédita (2000)
- Alma Y Corazón Flamencos (2004; ES: Gold[19])
- Camarón en la venta de Vargas (2005)
Filme
- 2002 Dokumentation Digital Duende – Die Erben des Camarón de la Isla – Eine kritische Begegnung mit der Flamencoavantgarde
- 2003 Konzertmitschnitt Camarón de la Isla – Paris 87/88
- 2005 Spielfilm Camarón, Regie Jaime Chávarri
- 2006 Spielfilm La Leyenda del Tiempo, Regie Isaki Lacuesta
Literatur
- José Manuel Gamboa, Faustino Nuñez (2003): Camarón. Vida y Obra. Iberautor Promociones Culturales, Madrid, ISBN 84-8048-475-6 (spanisch).
- Marcos (2007): Flamenco Legend. In Search of Camarón de la Isla. Tempus Publishing Limited, Stroud, UK, ISBN 0-7524-3992-8 (englisch).
- Mercedes García Plata: Camarón de la Isla, 1969–1992. Entre tradición y evolución. Cádiz 2002.
- Kersten Knipp (2006): Flamenco. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-45824-8, S. 212–215, 223 f. und 228 f.
Zeitschriftenartikel
- Oliver Farke (1997): Camarón de la Isla. Zum 5. Todestag. Sein Werk und sein Leben. In: Anda. Zeitschrift für Flamenco. Band 14, Nr. 6, S. 20–31.
- Carmen López (1994a): Camarón de la Isla. Teil 1. Seine Familie und Kindheit. In: Anda. Zeitschrift für Flamenco. Band 1. Nr. 4, S. 14–17.
- Carmen López (1994b): Camarón de la Isla. Teil 2. Vom Stierkämpfer zum Sänger. In: Anda. Zeitschrift für Flamenco Band 2, Nr. 6, S. 14–16.
- Carmen López (1994c): Camarón de la Isla. Teil 3. Tage der Liebe und des Ruhms. In: Anda. Zeitschrift für Flamenco. Band 3, Nr. 9, S. 18–21.
- Carmen López (1994d): Camarón de la Isla. Teil 4. Krankheit und Tod des José Monje. In: Anda. Zeitschrift für Flamenco. Band 5, Nr. 3, S. 14–20.
Weblinks
Websites auf Spanisch:
- http://www.camarondelaisla.com/ – Offizielle Website
- http://www.biografiasyvidas.com/reportaje/camaron/ – Biographie
- http://www.radiole.com/especiales/camaron – Biographie
- http://www.camarondelaisla.org/ – Biographie, Videos, Bilder
Website auf Deutsch:
- http://www.digitalduende.de – digital duende – Die Erben des Camarón de la Isla
Einzelnachweise
- Oliver Farke (1997): Camarón de la Isla. Zum 5. Todestag. Sein Werk und sein Leben. S. 20.
- Widersprüchliche Angaben. Einige Quellen geben an, er sei als sechstes Kind geboren worden (siehe López, Carmen (1994a): Camarón de la Isla. Teil 1. Seine Familie und Kindheit. S. 14). Andere Quellen geben an, er sei das siebte von acht Kindern gewesen. (es:Camarón de la Isla).
- José Manuel Gamboa, Faustino Nuñez (2003): Camarón. Vida y Obra. S. 24.
- Marcos (2007): Flamenco Legend. In Search of Camarón de la Isla. S. 59.
- Farke, Oliver (1997): Camarón de la Isla. Zum 5. Todestag. Sein Werk und sein Leben. S. 26.
- Juan José Téllez: Paco de Lucía. En vivo. Madrid 2003, S. 176 und 183 (Camaróns Biographen Gamboa zitierend).
- Kersten Knipp: Flamenco. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-45824-8, S. 223 f.
- Farke, Oliver (1997): Camarón de la Isla. Zum 5. Todestag. Sein Werk und sein Leben. S. 27.
- Die Zahlen schwanken stark, es ist von 50.000 Menschen die Rede, etwa bei Carmen López (1994d): Camarón de la Isla. Teil 4. Krankheit und Tod des José Monje. S. 18. Andere Quellen gehen von einer deutlich höheren Zahl aus, so Marcos (2007): Flamenco Legend. In Search of Camarón de la Isla. S. 14.
- Siehe z. B.: Camarón: una bala de plata, Letras Libres im Juli 2002.
- Gamboa, José Manuel/ Nuñez, Faustino (2003): Camarón. Vida y Obra. S. 32.
- López, Carmen (1994b): Camarón de la Isla. Teil 2. Vom Stierkämpfer zum Sänger. S. 15.
- López, Carmen (1994c): Camarón de la Isla. Teil 3. Tage der Liebe und des Ruhms., S. 18f.
- Zur Unterscheidung wird daher häufig der Titel des jeweiligen ersten Songs mit angeführt, in diesem Fall Al Verte las Flores Lloran.
- Marcos (2007): Flamenco Legend. In Search of Camarón de la Isla. S. 67.
- Farke, Oliver (1997): Camarón de la Isla. Zum 5. Todestag. Sein Werk und sein Leben. S. 27.
- Marcos (2007): Flamenco Legend. In Search of Camarón de la Isla. S. 61–104.
- López, Carmen (1994c): Camarón de la Isla. Teil 3. Tage der Liebe und des Ruhms. S. 20.
- Auszeichnungen für Musikverkäufe: ES