CO2-Tag
Der CO2-Tag ist ein von der Erdgaslobbyinitiative Zukunft Gas geschaffener Kunstbegriff für den Tag, an dem Deutschland das ihm laut Zukunft Gas zustehende CO2-Budget vollständig erschöpft haben soll. Er soll auf die Brisanz des Themas Klimaschutz aufmerksam machen, Berechnungsgrundlage für den Tag soll das Pariser Klimaabkommen sein. Basierend auf dem für Deutschland geltenden absoluten CO2-Budget gibt die Initiative durchschnittliche zulässige Jahresbudgets für den Zeitraum bis 2050 an. Diese beruhen auf der Annahme, dass jedes Jahr gleich viel Kohlendioxid ausgestoßen würde. Seit seiner Begründung im Jahr 2017 ist der CO2-Tag um sechs Tage nach vorne gerückt. Das bedeutet, dass Deutschland zuletzt in steigendem Maß klimatisch über seine Verhältnisse gelebt hat.
Die Angabe von konkreten Jahresbudgets statt des limitierten Kohlenstoffdioxid-Gesamtbudgets durch die Initiative steht in einem gewissen Widerspruch zum Stand der Forschung. Forschungsstand ist, dass es für das Aufhalten der globalen Erwärmung nötig ist, die Kohlendioxidemissionen netto praktisch auf Null zu senken. Ursache hierfür ist die lange Verweilzeit von Kohlenstoffdioxid in der Erdatmosphäre. Deshalb reicht es für eine wirksame Klimaschutzpolitik nicht aus, Emissionen nur auf ein gewisses Maß zu reduzieren oder gar nur auf dem heutigen Niveau zu stabilisieren, vielmehr muss die Klimapolitik auf eine vollständige Vermeidung von neuen Treibhausgasemissionen abzielen.[1] Insgesamt steht der Menschheit mit Stand 2017 noch ein Restbudget von ca. 600 Mrd. Tonnen Kohlendioxid zur Verfügung, um das 2-Grad-Ziel einzuhalten. Bei den gegenwärtigen Emissionen von ca. 40 Mrd. Tonnen pro Jahr wäre dieses in 15 Jahren vollends erschöpft. Anschließend dürfte kein CO2 mehr freigesetzt werden.[2]
Entstehung des CO2-Tages
Der CO2-Tag wurde erstmals 2017 durch „Zukunft ERDGAS“, die Initiative der deutschen Gaswirtschaft, ins Leben gerufen.[3] Die Berechnung nationaler CO2-Budgets, auf die sich die Initiative beruft, ist seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 völkerrechtlich verankert.[4] Der erste in Deutschland verkündete CO2-Tag war der 3. April 2017.[5] Im Jahr 2018 wurde der Tag am 28. März begangen. Er wurde unter Berücksichtigung aktueller Daten nachträglich auf den 31. März zurückdatiert. Der CO2-Tag 2019 war am 27. März und rückt damit um drei weitere Tage nach vorne.[6] Der Budgetgedanke soll die Dringlichkeit sofortigen Handelns beim Klimaschutz unterstreichen.[7] So strapaziert jede heute gesparte Tonne CO2 nicht das begrenzte Budget. Jede Tonne, die später reduziert wird, erfordert dafür umso stärkere Anstrengungen.[8]
Datum und Berechnung des CO2-Tages
Laut Initiative Erdgas legt das Pariser Abkommen den Klimazielen ein abschließendes, globales CO2-Budget zu Grunde. Nach einer Studie der Nymoen Strategieberatung, die von der Initiative ERDGAS bestellt wurde und ihre Daten wiederum von der Umweltorganisation WWF[9] beziehen soll, darf Deutschland demnach zwischen 2015 und 2050 insgesamt nur noch eine Menge von maximal 9,9 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausstoßen.[10]
Im Klimaschutzbericht steckt sich die Bundesregierung außerdem das Ziel, im Jahr 2035 nur noch 592 Mio. t CO2-Äquivalent zu emittieren.[11] Daraus berechnete die Initiative ERDGAS jährliche gemittelte Emissionsbudgets über den Zeitraum bis 2050. Der CO2-Tag selbst wird berechnet, indem die realen Emissionen aus dem Vorjahr auf das jährliche Emissionsbudget angerechnet werden: Rechenbeispiel für 2019: (365 Tage/841 Mio. t) × 198 Mio. t = 86 Tage.
Jahr | Tatsächliche Emissionen (in Mio. t CO2-Äq. p. a.) | Jahresbudget Emissionen (in Mio. t CO2-Äq.) | Verbleibendes Gesamtemissionbudget (in Mio. t CO2-Äq.) | CO2-Tag |
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2016 | 906 | 257 | 8092 | 15. April |
2017 | 908 | 238 | 7182 | 3. April |
2018 | 853* | 217,5 | 6272 | 31. März*** |
2019 | 841** | 198 | 5490 | 27. März |
*Schätzung,**Prognose,[12] ***Der CO2-Tag 2018 wurde am 28. März begangen und unter Berücksichtigung aktueller Daten nachträglich auf den 31. März geändert.[13]
Ziele des CO2-Tages
Ziel des CO2-Tages in Deutschland ist es, über den Klimawandel und sein Ausmaß aufzuklären und die Öffentlichkeit zu mobilisieren, die CO2-Emissionen schnell und effizient zu senken und damit das 2-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen zu realisieren. Gleichzeitig ist der Tag ein Messinstrument für die Effektivität der deutschen Klimapolitik, gemessen an der Leitgröße der CO2-Emissionen.
Kritik am CO2-Tag
Es herrscht keine Einigkeit über die genaue Berechnung nationaler CO2-Budgets. Ungeklärt ist die Frage, wie historische Emissionen gewertet werden sollen, die Entwicklungsländer von industrialisierten Staaten unterscheiden.[14] Das Bundesumweltministerium kritisierte die Berechnungsmethode der Initiative als „wackelig“. Die Initiative bezöge sich zwar auf das Pariser Klimaschutzabkommen, dieses gebe anders als von der Initiative Erdgas behauptet keine festen Budgets für einzelne Staaten vor. Wie groß die verbleibenden Budgets sind, ist stattdessen von Wissenschaftlern ausgerechnet worden.[15]
Kritiker bemängeln außerdem, dass der CO2-Tag durch die Erdgasindustrie ins Leben gerufen wurde. Erdgas sei wie alle anderen fossilen Energieträger mit für die Erderwärmung verantwortlich. Der Verein Zukunft ERDGAS e.V. hält dagegen, dass Erdgas der klimafreundlichste fossile Energieträger und darüber hinaus auch biogen herstellbar sei. So ließe sich aus dem verbleibenden Budget noch zwei- bis dreimal so viel Strom aus Gaskraftwerken wie aus Braunkohlekraftwerken erzeugen.[16]
Kritisiert werden ebenfalls die Methanemissionen bei der Erdgasförderung und -verteilung, da Methan ein deutlich stärkeres Treibhausgas ist als Kohlenstoffdioxid, sowie die Gefahr von sog. Lock-in-Effekten. So könnte ein Setzen auf die Brückenenergie Erdgas dazu führen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien verzögert wird. Längerfristig betrachtet dürfen laut Umweltbundesamt überhaupt keine fossilen Energieträger mehr eingesetzt werden, da auch Erdgas zum Klimawandel beiträgt.[17] Ähnliche Aussagen kamen auch vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: Zwar könne die Nutzung von Erdgas die Kohlendioxidemissionen um ca. 30 % senken, dies reiche aber nicht aus, um das vereinbarte 2-Grad-Ziel einzuhalten. Dafür müsse das Energiesystem bis 2050 praktisch vollständig CO2-frei sein.[18]
Weblinks
Einzelnachweise
- H. Damon Matthews, Ken Caldeira: Stabilizing climate requires near-zero emissions. In: Geophysical Research Letters. Band 35, 2008, doi:10.1029/2007GL032388.; auch Kai Niebert: Der Klimawandel lässt nicht mit sich verhandeln. In: Jörg Sommer, Michael Müller (Hrsg.): Unter 2 Grad? Was der Weltklimavertrag wirklich bringt. Stuttgart 2016, 255–265, S. 260f.
- Christiana Figueres u. a.: Three years to safeguard our climate. In: Nature. Band 546, 2017, S. 593–595, doi:10.1038/546593a.
- Erdgasbranche stößt Debatte um CO2-Budget an Energate Messenger, 10. April 2017. Abgerufen am 27. März 2018.
- Paris Agreement (pdf), UNFCCC 2015. Abgerufen am 27. März 2018.
- Deutschlands CO2-Budget für 2017 ist schon aufgebraucht WAZ vom 8. April 2017. Abgerufen am 27. März 2018.
- Faktenblatt: Die Berechnung des CO2-Tages Zukunft ERDGAS 2019. Abgerufen am 27. März 2019.
- Deutschland hat sein C=2-Limit am 3. April erreicht Zukunft ERDGAS 2017. Abgerufen am 27. März 2018.
- How long do greenhouse gases stay in the air? The Guardian vom 16. Januar 2012. Abgerufen am 27. März 2018.
- Zukunft Stromsystem – Kohleausstieg 2035 WWF 2017. Abgerufen am 27. März 2018.
- CO2-Bilanz: Ab jetzt in den Miesen. In: Deutsche Welle, 28. März 2018. Abgerufen am 29. März 2018.
- Klimaschutzbericht (S. 18), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit 2016. Abgerufen am 27. März 2018.
- Zukunft Stromsystem – Kohleausstieg 2035, Studie von Öko-Institut und Prognos AG im Auftrag des WWF, Januar 2017.
- CO2-Tag 2019: Deutschland am Limit Zukunft ERDGAS 2019. Abgerufen am 27. März 2019.
- How to divide up carbon budgets fairly CarbonBrief vom 22. September 2014. Abgerufen am 27. März 2018.
- Deutschlands CO2-Budget für 2018 bereits aufgebraucht. In: Frankfurter Neue Presse, 28. März 2018. Abgerufen am 29. März 2018.
- Vorkettenemissionen von ERDGAS Zukunft ERDGAS 2016. Abgerufen am 27. März 2018.
- Pipelinegas so schädlich wie Kohle. In: klimaretter.info, 3. Februar 2018. Abgerufen am 29. März 2018.
- Deutschlands CO2-Budget für 2017 ist schon aufgebraucht. In: Neue Ruhr Zeitung, 8. April 2017. Abgerufen am 29. März 2018.