Burgenrenaissance
Der Begriff Burgenrenaissance, auch Burgenromantik, bezeichnet eine europäische Bewegung in der Epoche des Historismus, die Burgen und Burgruinen des Mittelalters wiederentdeckte und damit begann, sie als Nationalmonument und Geschichtsdenkmal zu deuten, zu idealisieren, zu untersuchen, zu rekonstruieren, auszubauen, neu zu erbauen, zu entwickeln, zu restaurieren und zu schützen. Sie führte auch zu der Modeerscheinung in der Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, völlige Neubauten in Gestalt einer „Burg“ zu errichten.
Geschichte
Die Burgenrenaissance wurzelt in der landschaftsmalerisch und literarisch geprägten Ruinen- und Mittelalterbegeisterung der Romantik. Diese Begeisterung, auch Burgenromantik genannt, war eng verflochten mit der neuzeitlichen Entstehung und Ausprägung eines Geschichtsbewusstseins sowie dem Aufkommen und der Verbreitung der Neogotik, hatte kulturgeschichtliche, insbesondere gartentheoretische Ursprünge im Großbritannien des 18. Jahrhunderts (Strawberry Hill, Staffagen im Painshill Park, William Gilpins Konzept des Picturesque) und schlug sich etwa auch in Parkruinen, Gartenburgen (Löwenburg Kassel) und Ritterspielen nieder.[1] Angetrieben wurde die romantische Begeisterung und das geschichtliche Interesse insbesondere durch literarische Schöpfungen, etwa Dichtungen wie Götz von Berlichingen (1773) von Johann Wolfgang von Goethe und The Abbot (1820) von Walter Scott. In diesem kulturellen und geschichtlichen Zusammenhang kam es zu bauhistorischen Untersuchungen und zu Neubauplänen für historische Burganlagen. In der Folge entstanden außer neogotischen auch neoromanische und eklektizistische Bauten. Unter Berücksichtigung örtlicher Baumaterialien und -traditionen entstanden regionale Varianten dieser Strömung, etwa das Scottish Baronial.
Ein prominentes Beispiel für die Burgenrenaissance ist die Wartburg, die 1817 durch das Wartburgfest zu einem deutschen Nationalsymbol erhoben worden war und deren Bausubstanz ab 1838 durch den Baurat Wilhelm Sältzer untersucht wurde. Seine Befunde stießen eine Diskussion zur umfassenden Wiederherstellung der Burg an, die 1853 nach Plänen von Hugo von Ritgen in Angriff genommen wurde.
Bekannte Burgen bzw. Burgruinen, die in dem Zeitraum vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert rekonstruiert und überformt oder als Neubauten auf Resten historischer Vorgängerbauten errichtet wurden, sind etwa das Schloss Eberstein, die Burg Gutenfels, das Schloss Stolzenfels, die Burg Rheinstein, das Schloss Neuschwanstein, das Schloss Hohenschwangau, die Burg Hohenzollern, das Schloss Frauenberg, die Veste Heldburg, die Burg Kreuzenstein, die Reichsburg Cochem, das Schloss Moyland, das Schloss Burg, die Burg Altena, das Schloss Vaduz, die Burg Gutenberg, das Kasteel de Haar, das Schloss Chillon, die Hohkönigsburg, die Burg Branzoll, die Burg Stolberg und das Schloss Landsberg.
Im Rahmen der Burgenrenaissance entstanden auch Neubauten von „Burgen“ ohne historischen Vorgängerbau, etwa das Schloss Kamenz, die Fahnenburg, das Schloss Babelsberg, das Schloss Miramare, das Schloss Marienburg, das Schloss Drachenburg und das Schloss Crap da Sass. Nicht bloß Adelige manifestierten so sozialen Status, Lebensstil und Lebensgefühl, sondern zunehmend auch Großbürger.
Die europäische Burgenrenaissance griff schließlich auch auf andere Kontinente über. Zeugnisse dafür in Nordamerika sind etwa das Smithsonian Institution Building, Fonthill Castle (New York), Biltmore Estate, Boldt Castle, Gould Guggenheim Estate und Bannerman’s Castle.
Literatur
- Wartburg-Gesellschaft (Hrsg.): Burgenrenaissance im Historismus (= Forschungen zu Burgen und Schlössern, Band 10). Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2007 (Inhaltsverzeichnis).
Weblinks
- Stefanie Lieb: Burgenromantik im 19. und 20. Jahrhundert: Im echten Styl der alten deutschen Ritterburgen, Artikel vom 17. Juni 2010 im Portal damals.de
Einzelnachweise
- Horst Wolfgang Böhme: Burgen in Mitteleuropa. Bauformen und Entwicklung. K. Theiss, 1999, ISBN 978-3-80621-355-3, S. 165