Blasiussche Formeln
Die 1. und 2. Blasiussche Formel geben den dynamischen Auftrieb und das Drehmoment an, die ein langgestreckter Körper (z. B. Tragflügel) in einem strömenden Medium erfährt, wenn bestimmte Voraussetzungen an den Strömungstyp erfüllt sind. Die Formeln sind benannt nach dem Ingenieur und Hochschullehrer Heinrich Blasius, der von 1912 bis zu seinem Tod im Jahre 1970 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (damals Ingenieurschule Hamburg) lehrte.
Übersicht
Die Kräfte und Drehmomente an einem Körper in einem strömenden Medium sind im Allgemeinen kompliziert zusammengesetzt und lassen sich nur mit Hilfe von Computern berechnen. Unter Bedingungen, die bei Flugzeugen näherungsweise realisiert sein können, gibt es jedoch analytische Formeln, die noch aus der Pionierzeit (um 1900) stammen. Für den dynamischen Auftrieb sind das die Kutta-Joukowski-Formel und die 1. Blasiussche Formel, für das Nickmoment ist es die 2. Blasiussche Formel.[1] Die 1. Blasiussche Formel gestattet eine exakte Herleitung der in Physik-Lehrbüchern[2] häufiger benutzten Kutta-Joukowski-Formel.[3]
Physikalische Grundlage der Formeln ist die Druckverteilung in einem strömenden Medium nach der Bernoulli-Gleichung.[4] Die Druckkräfte wirken auf die Oberflächenelemente des Körpers und werden aufsummiert, wodurch sich Integrale über die Profilkurve des Körpers ergeben. Nur in Spezialfällen, etwa beim Joukowski-Profil, sind diese Integrale leicht auszuwerten.
Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Blasiusschen Formeln sind folgende: Der umströmte Körper muss (wie ein Tragflügel) langgestreckt sein und ein einheitliches Profil haben; genaugenommen muss es sich um einen verallgemeinerten Zylinder mit dem Profil als Grundfläche und unendlicher Ausdehnung in der dritten Dimension handeln. Die Formeln geben deswegen Kräfte und Drehmomente pro Längeneinheit in der dritten Dimension an. Der Körper muss genau in Querrichtung angeströmt werden, und die Strömung muss stationär, inkompressibel, reibungslos, wirbelfrei und im Wesentlichen zweidimensional (2D) sein. Die 2D-Voraussetzung bedeutet, dass in Richtung der dritten Dimension die Komponente der Geschwindigkeit und alle Variationen von Größen klein und vernachlässigbar sind.
Reelle Formeln
Die Massendichte des strömenden Mediums sei (konstant weil inkompressibel), die Profilkurve ("contour") des Körpers sei . Dann gilt für die reellen Komponenten und der Kraft pro Längeneinheit auf den Körper, ausgedrückt durch die reellen Komponenten und der lokalen Strömungsgeschwindigkeit[4]:
1. Blasiussche Formel
Für das Drehmoment um die Längsrichtung, wiederum pro Längeneinheit, gilt die
2. Blasiussche Formel
Der Index 0 steht für den Koordinatenursprung als Bezugspunkt des Drehmoments.
Komplexe Formulierung
Die komplexe Schreibweise ist dem Problem besonders angemessen.
Ein Punkt in der Ebene des Profils wird als komplexe Zahl
dargestellt; analog eine Geschwindigkeit und eine Kraft (jeweils am Punkt ) durch
In den Blasiusschen Formeln erscheint das komplex Konjugierte der Geschwindigkeit und analog der Kraft. Unter den genannten Voraussetzungen ist eine holomorphe Funktion ( selbst ist es nicht).
Für die Kraft pro Längeneinheit gilt die
1. Blasiussche Formel
Dabei ist die Massendichte des strömenden Mediums und die Profilkurve des Körpers.
Für das Drehmoment um die Längsrichtung, wiederum pro Längeneinheit, gilt die
2. Blasiussche Formel
Der Index 0 steht für den Koordinatenursprung als Bezugspunkt des Drehmoments.
Die Integrationskurve lässt sich wegen der Holomorphie von im Bereich des Strömungsfeldes nach Belieben deformieren (Cauchyscher Integralsatz).
Herleitung im Komplexen
Die Argumentation[4] ist hier durchgehend komplex formuliert. Da die Reibung vernachlässigt wird, gibt es keine Scherkräfte. An einem Element der Profilkurve erzeugt der Druck eine Kraft senkrecht zu und betragsmäßig gleich . Umfährt man das Profil entgegen dem Uhrzeigersinn, so erhält man die Richtung der Kraft in der komplexen Ebene durch Multiplikation mit der imaginären Einheit (entsprechend einer 90°-Drehung). Daher gilt an einem Linienelement:
Nach der Bernoulli-Gleichung ist der lokale Druck durch das Betragsquadrat der Geschwindigkeit gegeben. Entlang einer Stromlinie, die vom Unendlichen vor dem Körper bis ins Unendliche hinter dem Körper verläuft, gilt
Für die Physik des Fliegens ist der Fall interessant, dass das Medium in großem Abstand vom Körper mit konstanter Geschwindigkeit strömt (aus dem Flugzeug betrachtet) und der (Luft-)Druck im Unendlichen ebenfalls konstant ist. Dann sind und für alle Stromlinien gleich, und es gilt für den lokalen Druck:
Aufsummieren aller an dem Profil angreifenden Druckkräfte ergibt somit zunächst
wobei berücksichtigt wurde, dass die Konstante keinen Beitrag leistet, weil die Summe aller entlang einer geschlossenen Linie null ergibt.
Nun muss die Geschwindigkeit auf der Profilkurve überall parallel zu verlaufen, d. h., es haben und dasselbe Argument und es ist das folgende Produkt reell:
Substituiert man im Integral dementsprechend und bildet man auf beiden Seiten das komplex Konjugierte, so erhält man die 1. Blasiussche Formel.
Für das Drehmoment mit Bezugspunkt 0 gilt an einem Linienelement des Profils:
Für den Druck lässt sich wieder der Ausdruck aus der Bernoulli-Gleichung einsetzen und im Integral über die Profilkurve die Substitution wie oben ausführen. Auch hier verschwindet der Beitrag der Konstanten, weil er auf ein Integral über ein vollständiges Differential führt:
Indem man unter dem Realteil alle Faktoren komplex konjugiert, erhält man die 2. Blasiussche Formel.
Literatur
- Hermann Schlichting, Erich Truckenbrodt: Aerodynamik des Flugzeuges, Band 1. Springer 1967
Einzelnachweise
- H. Blasius, Funktionentheoretische Methoden in der Hydrodynamik, Zeitschrift für Mathematik und Physik 58 (1910) 90-110.
- Dieter Meschede: Gerthsen Physik, 21. Auflage, Springer 2002, Abschnitt 3.3.9
- Schlichting/Truckenbrodt Abschnitt 6.212
- Schlichting/Truckenbrodt Abschnitt 6.211