Berlin SO 36
Berlin SO 36 (kurz SO 36 oder nur 36, auch Kreuzberg 36) ist die alte Bezeichnung des Berliner Postzustellbezirks Südost 36, der neben dem Kreuzberger Teil noch einen Teil von Mitte und Alt-Treptow umfasste. Nach Einführung der bis zu vierstelligen Postleitzahlen in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin im Jahr 1962 und bis zur Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen im wiedervereinigten Deutschland 1993 hatte SO 36 die Anschrift „1 Berlin 36“ bzw. ab den 1970er Jahren „1000 Berlin 36“. Der andere Teil von Kreuzberg wurde mit „1000 Berlin 61“ nummeriert. Seit 1993 führt das ehemalige Berlin 36 die Postleitzahlen 10997 und 10999, während das ehemalige Kreuzberg 61 an den Zahlen 10961 bis 10969 zu erkennen ist.
Hintergründe und Geschichte
SO 36 bezeichnet auch heute noch im Sprachgebrauch diesen kleineren Teil Kreuzbergs, der als Ortslage im Westen vom inzwischen zugeschütteten Luisenstädtischen Kanal und im Süden vom Landwehrkanal begrenzt wird.
Beide Teile Kreuzbergs untergliedern sich traditionsgemäß in mehrere Kieze. SO 36 gilt als ärmer, und man kann von einem kulturellen Unterschied zu SW 61 sprechen, das insgesamt bürgerlicher ist („36 brennt, 61 pennt“). Entsprechend war seit Ende der 1980er Jahre bei den jährlichen Ausschreitungen am 1. Mai hauptsächlich SO 36 Schauplatz von Straßenschlachten.
Von 1961 bis 1990 wurde SO 36 durch die Berliner Mauer von den damaligen Stadtbezirken Mitte, Friedrichshain und Treptow getrennt. An der Oberbaumbrücke befand sich eine Grenzübergangsstelle. Durch die Mauer entwickelte sich hier eine gewisse Idylle – die Mauer begrenzte SO 36 im Norden, im Osten floss die Spree, im Süden lag der Landwehrkanal. In der Zeit von 1966 bis 1977 war es offizielle Berliner Stadtplanung, SO 36 großflächig abzureißen, um Platz für eine neue Autobahntrasse zu schaffen. Infolgedessen wurden viele Häuser entmietet und dem Verfall preisgegeben; zugleich wurde gerne an Gastarbeiter vermietet, von denen man annahm, dass sie sich nur vorübergehend im Land aufhalten, es also bis zum Beginn des Autobahnbaus wieder verlassen haben würden.
Der Niedergang des Viertels zog allgemein einkommensschwache Bevölkerungsgruppen an – Erwerbslose, Studenten und Künstler. Dies ließ eine soziale Mischung entstehen, die bis heute prägend für den Stadtteil ist. Nach den Studentenprotesten 1968 wurde SO 36 – auch aufgrund seiner grenznahen Randlage – zunehmend das Zentrum der Alternativszene und Schauplatz von Hausbesetzungen. So kam es hier am 12. Dezember 1980 in der „Schlacht am Fraenkelufer“ zu den ersten schweren Straßenschlachten zwischen Hausbesetzern und der Polizei. Der Zustellbezirk gab dem Club SO36 seinen Namen.
Die Zuwanderung aus dem In- und Ausland hat den Ortsteil seit Beginn der 1960er Jahre stark verändert. Für Leute aus den alten Bundesländern mit unbürgerlichen Lebensvorstellungen und alternativen politischen Positionen war Kreuzberg in der Zeit der Teilung ein beliebter Zufluchtsort. Die Alternativszene prägte und prägt bis heute die Kultur des Quartiers ebenso wie die Migranten, überwiegend türkischer Herkunft. Viele alteingesessene Kreuzberger mussten im Zuge von Gentrifizierung durch ausländische Investoren aus Kreuzberg wegziehen.
Heute gilt SO 36 als sozialer Brennpunkt. Die Kriminalität steigt.[1] Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Am Kottbusser Tor hat sich seit Jahrzehnten eine größere Drogenszene etabliert. Auch der Görlitzer Park ist geprägt vom Drogenhandel.
Zugleich zählt das Viertel inzwischen zu den Berliner Ausgehbezirken und beheimatet viele Studenten. Zu den wichtigsten Adressen im Nachtleben von Kreuzberg 36 zählen die Oranienstraße und die Wiener Straße sowie die Gegend um das Schlesische Tor (der sogenannte „Wrangelkiez“). Lange Abschnitte der Oranienstraße sind von Lokalen für junge Touristen dominiert.
Das ursprüngliche Postamt für den damaligen Ortsteil stand 1907 am Görlitzer Bahnhof in der Wiener Straße 33a. 1927 wurde das aus Backstein erbaute größere Postamt an der Hochbahn an der Skalitzer Straße zwischen den U-Bahnhöfen Görlitzer Bahnhof und Schlesisches Tor erbaut. Wie alle noch bestehenden früheren Postämter firmierte es lange Zeit als „Finanzcenter“ der Postbank,[2] mittlerweile ist es geschlossen.
Literatur
- Martin Düspohl: Kleine Kreuzberggeschichte. Kreuzberg Museum (Hrsg.) / Berlin Story Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86855-000-9.
- Peter Frischmuth: Berlin Kreuzberg SO 36. Berlin Story Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-929829-68-6.
- Raimund Thörnig, Renate Freyer: … außer man tut es! Kreuzberg abgeschrieben – aufgestanden. Verein SO 36 e. V. (Hrsg.), Berlin 1989, ISBN 3-9800074-0-5.
- Raimund Thörnig: … außer man tut es! Kreuzberg im Umbruch. Band 2. Verein SO 36 e. V. (Hrsg.), Verlag Grenzenlos, Berlin 1992, ISBN 3-9800074-1-3.
- Kreuzbergs Retter: Erneuerung statt Totalabriss – ein Berliner Stadtviertel wurde zum weltweiten Vorbild. In: Berliner Zeitung, 27. Oktober 2007
- SOS für SO 36. In: Der Spiegel. Nr. 13, 1977 (online).
Weblinks
- Baudenkmal Postamt SO 36, 1925–1927
- Kreuzberg SO 36. berlin.de
- Historische Presseerklärung der BI SO 36 zu den Instandbesetzungen in Kreuzberg
Einzelnachweise
- Boris Herrmann, Verena Mayer, Thorsten Schmitz, Jens Scheider: Notruf. In: Süddeutsche Zeitung, 7. April 2016, S. 3.
- Steffen Buhr: Berliner Postämter.