Bakhshali-Manuskript
Das Bakhshali-Manuskript ist ein Manuskript mit einer Sammlung mathematischer Schriften, die auf Birkenrinde geschrieben wurden. Es wurde 1881 nahe dem namensgebenden Dorf Bakhshali (heute in Pakistan, 80 km nordöstlich von Peschawar) gefunden. Heute befindet es sich in der Bodleian Library in Oxford. Die Datierung des Manuskriptes wird kontrovers diskutiert. Sicher ist, dass es sich um das älteste erhaltene mathematische Manuskript Indiens handelt. Möglicherweise findet sich in dem Bakhshali-Manuskript auch der älteste materielle Beleg für die Verwendung der Null (hier durch einen Punkt dargestellt) im indischen Raum.
Es gibt wenig Hinweise auf den Hintergrund des Autors, doch deuten diese auf einen brahmanischen Ursprung.[1]
Beschreibung und Datierung
Das Manuskript ist unvollständig, besteht aus 70 bruchstückhaften Blättern aus Birkenrinde und ist in der Sharada-Schrift geschrieben, die bis ins 12. Jahrhundert in Kaschmir benutzt wurde. Die Sprache ist Sanskrit (mit beeinflusst von den regionalen Dialekten). Die ursprüngliche Ordnung der Blätter ist unsicher. Ausgaben erschienen 1887 von Rudolf Hoernlé und später von G. R. Kaye.
Das Bakhshali-Manuskript gilt als das älteste erhaltene mathematische Manuskript Indiens.[2] Die Datierung ist umstritten. Nach Hoernlé stammt es aus dem 3. bis 4. Jahrhundert nach Christus (und auch nach Bibhutibhushan Datta aus den ersten Jahrhunderten nach Christus), G. R. Kaye ordnet es im 12. Jahrhundert ein, David Pingree und Ayyangar im 8. bis 9. Jahrhundert. Da es in der Form der Probleme und in den verwendeten Begriffen Ähnlichkeiten mit dem Kommentar von Bhaskara I. zu Aryabhata hat[3] wird es von Takao Hayashi in die gleiche Zeit (7. Jahrhundert) eingeordnet, das Manuskript selbst ordnete er in die Zeit vom 8. bis 12. Jahrhundert[4].
Im Jahr 2017 wurde eine Radiokarbonuntersuchung dreier Blätter des Bakhshali-Manuskripts vorgenommen. Laut dem Ergebnis der Untersuchung stammen alle drei Blätter aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Das älteste wurde auf 224–383 n. Chr. datiert, eines auf 680–779 n. Chr. und eines auf 885–993 n. Chr. Demnach wäre das Bakhshali-Manuskript in seinen ältesten Teilen deutlich früher als bislang angenommen.[5] Kim Plofker, Takao Hayashi und Kollegen halten es in einer Erwiderung aber für wahrscheinlich, dass auch die ältesten Teile erst zum Zeitpunkt der späteren Datierungen beschrieben wurden. Wegen des einheitlichen Schrifttyps und der Einheit des Textes sei es höchst unwahrscheinlich, dass die Produktion der einzelnen Teile des Manuskriptes zeitlich so weit auseinander liege. Sofern die Ergebnisse der Radiokarbondatierung korrekt seien, müsse davon ausgegangen werden, dass das Datum des jüngsten Blattes den Zeitpunkt des Beschreibens bestimme.[6] Sie wiesen auch darauf hin, dass es auch zuvor schon ein Beispiel einer Radiokarbondatierung eines tibetischen Manuskripts gegeben hat, das die Teile 600 Jahre auseinanderfallen ließ, während die philologische, historische und kunstgeschichtliche Analyse für einheitlichen Ursprung sprach,[7] und kritisieren die öffentlichkeitswirksame Veröffentlichung der Radiokarbondatierungen durch die Bodleian Library ohne zuvor einen wissenschaftlichen Review-Prozess anzustreben.
Inhalt
Schwerpunktmäßig befasst sich das Werk mit Arithmetik und Algebra. Es hat wahrscheinlich verschiedene Autoren, einer wird Sohn des Chajaka genannt, der wiederum ein bekannter Mathematiker und Brahmane gewesen sein soll. Geschrieben wurde es möglicherweise im Land Martikavata in Nordwestindien (nach einer nur teilweise erhaltenen Stelle im Text).
Das Manuskript enthält eine Sammlung mathematischer Regeln und Probleme aus unterschiedlichsten Quellen. Die Form der Darstellung ist so, dass zunächst die Regel (Sutra) angegeben ist, dann ein Beispiel (udaharana) in der Form von: Problemstellung, Berechnung, Verifikationen. Die Regeln sind in Versform mit Erläuterung (nicht in Versform) an Beispielen. Es enthält neben Problemen, die auf lineare Gleichungen führen (unter anderem mit dem Problem der 100 Vögel, man soll 100 Vögel mit 100 Münzen unterschiedlichen Werts kaufen), wenigen geometrischen Problemen, Problemen verbunden mit Reisen, und ein Verfahren zur approximativen Berechnung der Quadratwurzel:
Notation
Für die Null wird ein Punkt verwendet, wobei die Null als Lückenzeichen im Stellenwertsystem diente. Sofern die Ergebnisse der 2017 veröffentlichten Radiokarbondatierungen zutreffen, liegt in dem Bakshali-Manuskript der älteste Nachweis der Null in Indien vor. Nimmt man eine einheitliche Entstehung des Manuskripts an, gibt es nach Plofker und Kollegen durchaus Hinweise auf die eigenständigen Verwendung der Null als Zahl, da Multiplikationen langer Zahlen in Dezimalnotation auftreten, die einen Algorithmus nahelegen, der Ziffer für Ziffer vorgeht und somit auch arithmetische Operationen für die Null vorsah. An einer anderen Stelle wurde explizit eine Eins zur Null addiert.[8] Negative Zahlen (Subtraktion) sind durch ein nachgestelltes „Plus“ gekennzeichnet (in späteren indischen mathematischen Werken wird dafür häufig ein Punkt über die Zahl gesetzt).
Literatur
- Rudolf Hoernlé: On the Bakshali manuscript, Wien: A. Hölder 1887 (Verhandlungen des VII internationalen Orientalisten-Kongresses, Wien 1886), Archive
- Rudolf Hoernlé: The Bakshali Manuscript, The Indian Antiquary, Band 17, 1888, S. 33–48, 275–279
- Takao Hayashi: "Bakhshālī Manuscript", in: Helaine Selin, Encyclopaedia of the History of Science, Technology, and Medicine in Non-Western Cultures, Springer 2008
- Takao Hayashi: The Bakshali Manuscript, an ancient indian mathematical treatise, Groningen: E. Forsten 1995
- Takao Hayashi: Indian Mathematics, in: Gavin Flood, The Blackwell Companion to Hinduism, Blackwell 2003, S. 360–375
- G. R. Kaye: The Bakshali Manuscript: a study in medieval mathematics, Archaeological Survey of India, Teil 1,2, Kalkutta 1927, Teil 3 Delhi 1933, Reprint New Delhi 1981, 1987
- G. R. Kaye: The Bakshali Manuscript, Journal of the Asiatic Society of Bengal, Band 8, 1912, S. 349–361
- A. A. K. Ayyangar: The Bakshali Manuscript, Mathematics Student, Band 7, 1939, S. 1–16
- B. Datta: The Bakshali Mathematics, Bulletin of the Calcutta Mathematical Society, Band 21, 1929, S. 1–60
- David Pingree: Census of Exact Sciences in Sanskrit, 5 Bände, Philadelphia 1970 bis 1994
- Svami Satya Prakash Sarasvati, Usha Jyotishmati: The Bakshali Manuscript. An Ancient Treatise on Indian Arithmetics, Allahabad 1979, pdf
- M. N. Channabasappa: On the square root formula in the Bakhshali manuscript, Indian J. History Sci., Band 2, 1976, S. 112–124
- Kim Plofker, Agathe Keller, Takao Hayashi, Clemency Montelle, Dominik Wujastyk: The Bakshali Manuscript: A response to the Bodleian Library's Carbon Dating, History of Science in South Asia, 5.1, 2017, S. 134–150
Weblinks
Einzelnachweise
- Plofker, Keller Hayashi u. a., The Bakshali Manuscript. A response to the Bodleian Library`s Radiocarbon Dating, History of Science in South Asia 2017, S. 144
- Takao Hayashi, Artikel Bakshali Manuscript, In: Helaine Selin, Encyclopaedia of the History of Science, Technology, and Medicine in Non-Western Cultures, Springer 2008
- Beispielsweise wird ya (Abkürzung von yavattavat für so viel wie) wie bei Bhaskara nicht systematisch, sondern nur vereinzelt für Unbekannte in algebraischen Gleichungen benutzt
- Plofker, Keller Hayashi u. a., The Bakshali Manuscript. A response to the Bodleian Library`s Radiocarbon Dating, History of Science in South Asia 2017, S. 135
- Hannah Devlin: Much ado about nothing: ancient Indian text contains earliest zero symbol. The Guardian, 14. September 2017, abgerufen am 14. September 2017 (englisch). Carbon dating finds Bakhshali manuscript contains oldest recorded origins of the symbol 'zero'. Bodleian Library, 14. September 2017, abgerufen am 14. September 2017 (englisch).
- Kim Plofker, Agathe Keller, Takao Hayashi, Clemency Montelle, Dominik Wujastyk: „The Bakhshālī Manuscript: A Response to the Bodleian Library’s Radiocarbon Dating“, in: History of Science in South Asia 5.1 (2017), S. 134–150. doi:10.18732/H2XT07.
- Plofker, Keller, Hayashi u. a., 2017, S. 139
- Plofker, Hayashi u. a., 2017, S. 140. Marcus du Sautoy hatte im Rahmen der Bekanntgabe der Radiokarbondatierung der Bodleian Library zuvor behauptet, es gäbe keinen Hinweis auf die Verwendung der Null als eigenständige Zahl, sondern nur in einer Platzhalterfunktion (eine solche Verwendung als Platzhalter gab es schon bei den Babyloniern und die Kenntnis einer ähnlichen Verwendung in Indien in den ersten Jahrhunderten nach Christus wäre nach Plofker und Kollegen keine Überraschung).