Anleitung zum Unglücklichsein
Anleitung zum Unglücklichsein ist ein Sachbuch, das der österreichische Psychologe Paul Watzlawick im Jahr 1983 veröffentlichte.
Hintergrund
Watzlawick entwarf mit diesem Buch ein radikales Gegenstück zu der – vor allem in den USA – weit verbreiteten Ratgeberliteratur und zeigt auf, wie man sein Leben unerträglich gestalten kann. Hintergrund des Buchs sind die Erkenntnisse der Palo-Alto-Schule, zu deren Mitbegründern Watzlawick gehörte.
Der Piper-Verlag schreibt in seiner Vorbemerkung zu diesem Buch:
„Jeder Leser dürfte etwas von sich selbst in diesem Buch wiederfinden — nämlich seine eigene Art und Weise, den Alltag unerträglich und das Triviale enorm zu machen.“
Inhalt
Einleitung
An den Anfang seines Buchs stellt Watzlawick ein Zitat aus den Aufzeichnungen aus dem Kellerloch von Fjodor Michailowitsch Dostojewski, das aufzeigt, worum es ihm geht:
„Was kann man nun von einem Menschen […] erwarten? Überschütten Sie ihn mit allen Erdengütern, versenken Sie ihn in Glück bis über die Ohren, bis über den Kopf, so daß an die Oberfläche des Glücks wie zum Wasserspiegel nur noch Bläschen aufsteigen, geben Sie ihm ein pekuniäres Auskommen, daß ihm nichts anderes zu tun übrigbleibt, als zu schlafen, Lebkuchen zu vertilgen und für den Fortbestand der Menschheit zu sorgen – so wird er doch, dieser selbe Mensch, Ihnen auf der Stelle aus purer Undankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen Streich spielen. Er wird sogar die Lebkuchen aufs Spiel setzen und sich vielleicht den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischsten Blödsinn, einzig um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes unheilbringendes phantastisches Element beizumischen. Gerade seine phantastischen Einfälle, seine banale Dummheit wird er behalten wollen …“
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Volksweisheit, wenn sie behauptet, nichts sei schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Doch die Frage, was Glück eigentlich ist, bleibt unbeantwortet. Terentius Varro zählte nicht weniger als 289 Ansichten darüber, was Glück sei. Die großen Schöpfungen der Weltliteratur bestehen aus Unglück und Tragödien. In Dantes Göttlicher Komödie sei das Inferno genialer als sein Paradiso; „Faust I rührt zu Tränen, Faust II zum Gähnen“.
Aber auch den Tieren geht es nicht besser: Im Zoo sind sie vor Hunger, Gefahr und Krankheit geschützt und werden zu Neurotikern.
Vor allem eins: Dir selbst sei treu …
Dieses goldene Wort stammt von Polonius, dem Kämmerer des Hamlet.
Vier Spiele mit der Vergangenheit
Die Verherrlichung der Vergangenheit („früher war alles besser“): Eine einfache Methode, sich das Leben selbst zu vergällen, ist es, zurückliegende Ereignisse zu idealisieren und sich über die Gegenwart zu ärgern. Dies belegt der Autor mit Anekdoten und erbaulichen Geschichten.
Frau Lot
Die Geschichte um Frau Lot steht im Alten Testament: „Der Engel sagt zu Lot und seinen Angehörigen: Rette dich, es gilt dein Leben. Schaue nicht hinter dich, bleibe nirgends stehen. […] Seine Frau aber schaute zurück und wurde zu einer Salzsäule.“
Ein „Vorteil“ des Festhaltens an der Vergangenheit ist, dass man weniger Zeit bzw. Aufmerksamkeit für die Gegenwart und das Mit-ihr-Auseinandersetzen hat. Auch gibt es in der Vergangenheit keine Spannung durch Ungewissheit – man weiß, wie „es“ ausgegangen ist (siehe auch Realitätsflucht).
Das schicksalhafte Glas Bier
In seinem Film The Fatal Glass of Beer (Das verhängnisvolle Glas Bier) zeigt W. C. Fields den unaufhaltsamen Niedergang eines jungen Mannes, der der Versuchung nicht widerstehen kann, sein erstes Glas Bier zu trinken.
Der verlorene Schlüssel oder „mehr desselben“
Ein Betrunkener sucht unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel. Ein Polizist hilft ihm bei der Suche. Als der Polizist nach langem Suchen wissen will, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel hier verloren zu haben, antwortet jener: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“
Russen und Amerikaner
Von der Anthropologin Margaret Mead stammt die Scherzfrage, was der Unterschied zwischen einem Russen und einem Amerikaner sei. Der Amerikaner neige dazu, Kopfweh vorzutäuschen, um sich einer gesellschaftlichen Verpflichtung zu entziehen; der Russe hingegen muss tatsächlich Kopfweh haben.
Die Geschichte mit dem Hammer
Eines der bekanntesten Beispiele aus dem Buch ist Die Geschichte mit dem Hammer. Es läuft folgendermaßen ab:
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar ihm den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen ihn. Und was? Er hat ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s ihm aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Morgen“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
Die Bohnen in der Hand
Ein Mann wird vom Geist seiner verstorbenen Frau gequält, die vorgibt, alles zu wissen. Als er auf den Rat eines Zen-Meisters Bohnen in die Hand nimmt und sie nach der Anzahl der Bohnen fragt, hört der Spuk auf.
Die verscheuchten Elefanten
Ein Mann klatscht alle zehn Sekunden in die Hände. Nach dem Grund für dieses Verhalten befragt, erklärt er: „Um die Elefanten zu verscheuchen.“ Auf die Bemerkung, dass es hier gar keine Elefanten gebe, antwortet er: „Na, also! Sehen Sie?“ Watzlawick wollte damit auf zwei Dinge verweisen: Einerseits auf die Sinnlosigkeit, mit großem Aufwand ein Problem zu bekämpfen, das gar nicht existiert. Andererseits aber auch um die Hybris mancher Menschen bloßzustellen, eine problemfreie Situation eigenen Aktivitäten zuzuschreiben.
Selbsterfüllende Prophezeiungen
Die Annahme, dass andere sich heimlich über einen lustig machen, führt durch verstärktes Augenmerk auf verdächtige Anzeichen mit der Zeit dazu, dass die Prophezeiung sich erfüllt („self-fulfilling prophecy“).
Vor Ankommen wird gewarnt
Von George Bernard Shaw stammt der berühmte Aphorismus: „Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung.“
Mit dem Ankommen am Ziel ist auch die Gefahr des Katzenjammers verbunden.
Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gern Knoblauch essen
Eine weitere gute Quelle für persönliches Unglück sind Missverständnisse in der Partnerschaft.
Angenommen eine Frau fragt ihren Mann, ob ihm die nach neuem Rezept gekochte Suppe schmecke, dieser aber die Suppe scheußlich findet, aber seine Frau nicht kränken will. Wenn er nun sagt: „Schmeckt interessant“, sind die Chancen minimal, dass seine Frau ihn richtig versteht.
Oder eine Mutter schenkt ihrem Sohn zwei Sporthemden. Wenn er eines der beiden anzieht, blickt sie ihn traurig an und sagt: „Das andere gefällt dir nicht?“
„Sei spontan!“
Die so genannte „Sei spontan!“-Paradoxie ist eine allen formallogischen Anforderungen entsprechende Paradoxie, denn es ist unmöglich, auf Befehl etwas spontan zu tun oder vorsätzlich etwas zu vergessen (siehe Doppelbindungstheorie bei Gregory Bateson).
Wer mich liebt, mit dem stimmt etwas nicht
Groucho Marx sagte einmal: „Es würde mir nicht im Traum einfallen, einem Klub beizutreten, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen.“
Das Dilemma sieht folgendermaßen aus: „Ich achte mich selbst nicht, ich kann niemanden achten, der mich achtet. Ich kann nur jemanden achten, der mich nicht achtet.“
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut
Um Zweifel an der Selbstlosigkeit (= Altruismus) der eigenen Hilfsbereitschaft zu entwickeln, braucht man sich nur zu fragen, welche Hintergedanken man dabei habe. Das könnte Imponiergehabe gewesen sein oder um den Anderen zur Dankbarkeit zu zwingen.
Diese verrückten Ausländer
Eine der Grundregeln männlichen Flirts in Italien lautet: Wenn ich mit einer Frau mehr als fünf Minuten allein bin und sie nicht anfasse, glaubt sie, ich sei ein Homosexueller. Nun sind allerdings die Frauen wesentlich aufgeschlossener, und sich männlich-leidenschaftlich zu benehmen, ist nur dann ungefährlich, solange die Partnerin die richtige Komplementärhaltung einnimmt und mütterlich-gütig ablehnt.
Das Leben als Spiel
Vom amerikanischen Religionsphilosophen Alan Watts stammt der Aphorismus, das Leben sei ein Spiel, dessen Spielregel Nr. 1 lautet: „Das ist kein Spiel, das ist todernst.“
Watzlawick erklärt an dieser Stelle den Unterschied zwischen Nullsummen- und Nichtnullsummenspielen. Bei Nullsummenspielen ist der Verlust des einen Spielers der Gewinn des anderen. Bei Nichtnullsummenspielen hingegen können daneben auch beide (beziehungsweise alle) Spieler gewinnen (Win-Win) oder verlieren. Bei einem Streik verlieren meist beide „Spieler“, die Betriebsführung und die Belegschaft.
Wirkung
Watzlawicks Buch, dessen Titel wie eine Parodie auf die Ratgeberliteratur wirkte, entwickelte sich zum Kultbuch, allein in Deutschland wurden mehr als eine Million Exemplare verkauft. Das Buch erschien 1983 auf Englisch.[1] Es erschien auch auf Italienisch,[2] auf Französisch[3] und Spanisch.[4]
Paradoxerweise kann sich der „Anti-Ratgeber“ auch als echter Ratgeber erweisen: Denn wenn ein Leser sich ernsthaft bemüht, die im Buch aufgeführten Fehler zu vermeiden, kann es ihm durchaus gelingen, ein weniger unglückliches Leben zu führen.
Literatur
- Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein. 15. Auflage, Piper-TB 4938, München 2009 (Erstausgabe 1983), ISBN 978-3-492-24938-6; als Hörbuch: gelesen von Ernst Konarek, Regie: Uwe Kossack, Südwestrundfunk, Stuttgart / Audio Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-89813-184-X, 2 CDs, 116 Minuten.
Rezeption
- Ben-Alexander Bohnke: Machen wir uns selbst unglücklich? Warum Unglücklichsein keine Schuld ist – eine Alternative zu Watzlawick. Fachbuchhandlung für Psychologie, Eschborn bei Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-88074-167-0.
Einzelnachweise
- The situation is hopeless, but not serious: (the pursuit of unhappiness). WW Norton, New York 1983, ISBN 0-393-31021-3.
- Istruzioni per rendersi infelici Feltrinelli, Milano 1998, ISBN 88-07-81452-8.
- Faites vous-même votre malheur. Éd. du Seuil, Paris 2009, ISBN 978-2-7578-1574-8.
- El Arte de amargarse la vida. Herder, Barcelona 2003, ISBN 84-254-2330-9.