Alle Kinder lernen lesen
Alle Kinder lernen lesen ist ein deutsches Kinderlied. Es wird auf die Melodie des Liedes John Brown’s Body gesungen. Der Text stammt von Wilhelm Topsch. Das Lied handelt vom Lesenlernen und wird traditionell bei Einschulungsfeiern gesungen.
Melodie
Die Melodie entstammt dem Marschlied John Brown’s Body (auch bekannt als Glory, glory, hallelujah), das auch als Grundlage für weitere bekannte Lieder diente, darunter die abolitionistische Hymne The Battle Hymn of the Republic und das Gewerkschafts-Lied Solidarity Forever. Die Urheberschaft der Melodie ist ungeklärt.[1]
Text
Im bekannten Refrain des Liedes wird der Spaß am Lesenlernen besungen:
Alle Kinder lernen lesen,
Indianer und Chinesen,
Selbst am Nordpol lesen alle Eskimos,
Hallo Kinder, jetzt geht’s los!
Im Strophentext werden jedem Vokal und Diphthong jeweils mit diesem Laut beginnende Tiere oder Gegenstände zugeordnet (Affe, Elefant, Igel, Osterhase und Ochse, Uhu, Eisbär, Auto, Eule).
Bedeutung in der Grundschulpädagogik
Alle Kinder lernen Lesen soll nicht nur die Freude am Lesen heraufbeschwören, sondern auch Kindern helfen, sich die Buchstaben einzuprägen und mit Lauten zu verbinden, und so das Lesen- und Schreibenlernen unterstützen.[2]
In vielen Grundschulen im deutschsprachigen Raum wird Alle Kinder lernen Lesen am Tag der Einschulung von den älteren Kindern als Begrüßung für die Kinder der ersten Klasse gesungen. Auch in Kinderbüchern, die vom ersten Schultag handeln, kommt das Lied vor.[3]
Inhaltliche Kritik
Alle Kinder lernen lesen wird sowohl aus erziehungswissenschaftlicher Sicht als auch von Antirassismus-Initiativen kritisiert, da es postkoloniale Stereotype verfestige und dadurch Alltagsrassismus fördere. Beanstandet werden nicht nur die überholten Bezeichnungen „Indianer“ und „Eskimos“, sondern auch die Präsentation dreier ehemals kolonisierter Bevölkerungsgruppen – „Indianer“, „Chinesen“ und „Eskimos“ – als Gegensatz zu den Kindern in Deutschland. Die Zeile „Selbst am Nordpol lesen alle Eskimos“ werte diese Gruppen ab, indem sie betont, dass sogar sie das Lesen erlernen können. Dass für diesen Text die Melodie des in antirassistischer Tradition stehenden „John Browns Body“ („Glory glory hallelujah“) verwendet wird, wiege besonders schwer.[4][5][6]
Um dem ersten Kritikpunkt zu begegnen, wird gelegentlich die Zeile „Selbst am Nordpol lesen alle Eskimos“ in „Selbst am Nordpol ist der Spaß am Lesen groß“ geändert,[7] was die übrigen Kritikpunkte jedoch bestehen lässt.
Weitere Verwendung
Eine Coverversion der Sängerin Ina Colada erreichte im Jahr 2010 den 57. Platz der deutschen Singlecharts.[8]
Weblinks
Einzelnachweise
- John Stauffer, Benjamin Soskis: The Battle Hymn of the Republic. A Biography of the Song That Marches On. Oxford University Press, Oxford 2010, ISBN 978-0-19-983743-4, S. 44–46.
- Ursula Bredel, Astrid Müller, Gabriele Hinney (Hrsg.): Schriftsystem und Schrifterwerb. Linguistisch – didaktisch – empirisch. De Gruyter, Berlin/New York 2010, ISBN 978-3-11-023224-0, S. 141.
- Beispiele: Conni kommt in die Schule von Liane Schneider, ISBN 978-3-551-04068-8, oder Pfeffer, Minze und die Schule von Irmgard Kramer, ISBN 978-3-7855-8258-9.
- Sandra Rademacher: Der erste Schultag. Pädagogische Berufskulturen im deutsch-amerikanischen Vergleich. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16855-5, S. 37.
- Tupoka Ogette: Warum ich für meinen Sohn Weihnachtsfiguren mit dunkelbrauner Hautfarbe bestelle. In: MiGAZIN. 11. Dezember 2014, abgerufen am 17. Juli 2016.
- Offener Brief mit offener Aufforderung zum offenen Umgang mit versteckten Rassismen in Kinderliedern, Spielen, Faschingskostümen usw. Abgerufen am 15. April 2021.
- http://www.skg-forum.de/liederdruck/lied018druck.htm, abgerufen am 17. Juli 2016.
- Ina Colada in den deutschen Charts (Memento vom 17. Juli 2016 im Internet Archive), abgerufen am 17. Juli 2016.