Alexandreis
Die Alexandreis (oder auch Das Lied von Alexander dem Großen) ist ein episches Poem in lateinischer Sprache, das die Geschichte Alexanders des Großen thematisiert. Es stammt aus der Feder des Dichters Walter von Châtillon, der es um 1180 aufschrieb. Das in Hexametern verfasste Epos ist in zehn Bücher gegliedert und Wilhelm, dem Erzbischof von Reims, gewidmet.
Bedeutung
Die Taten Alexanders des Großen waren an mittelalterlichen Fürstenhöfen ein sehr beliebter Erzählstoff. Der Grund dafür lag in der großen Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten, denn dem Stoff konnte sowohl eine heilsgeschichtliche als auch eine unterhaltende oder gar herrschaftsideelle Dimension – in der Art eines Fürstenspiegels – zugesprochen werden.
Obwohl mit dem frankoprovenzalischen L’Alexandréïde des Albéric de Pisançon und dem mittelhochdeutschen Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht bereits volkssprachliche Alexanderromane vorlagen, nahm Walter von Châtillon ein Epos in lateinischer Sprache in Angriff. Es fußt auf der ältesten lateinischen Quelle, auf den Historiae Alexandri Magni Macedonis des Quintus Curtius Rufus, statt auf dem griechischen Alexanderroman des Pseudo-Kallisthenes. Damit setzte Walter auf die Geschichtsschreibung, was sein Werk von der volkssprachlichen Konkurrenz unterscheidet. Dennoch ließ auch er seiner Fantasie freien Lauf, was zu einigen Anachronismen führte.
Walters lateinische Leser mussten allerdings auf die fantastischen Elemente des Alexanderromans verzichten, wie die Reise mittels einer Taucherglocke auf den Meeresgrund oder Alexanders Himmelfahrt mit einem Adlergestell. Ebenso verzichten mussten sie auf Bilder, denn die Alexandreis kam ohne prächtige Illuminationen daher.[1]
Inhalt
Die Alexandreis beginnt mit den Worten der Ilias: „Singe, o Muse, die Taten...“[2]
- Buch: Erziehung des Alexander durch Aristoteles; Versöhnung mit Athen und Zerstörung Thebens; Eroberungszug mit Schiffen nach Asien; Besuch von Troja
- Buch: Alexander löst mit dem Schwert den Gordischen Knoten am Jochholz; Truppen rüsten zum Kampf gegen den Perserkönig Darius
- Buch: das Heer der Perser wird besiegt, König Darius flüchtet; Alexander stürmt Sidon, verheert Tyrus von Grund auf und erobert Gaza; Besuch des Ammon-Heiligtums in der libyschen Wüste; eine Mondfinsternis sorgt für Aufruhr im griechischen Lager
- Buch: Alexander und Darius rüsten erneut zum Kampf gegeneinander
- Buch: die Schlacht von Arbela; Alexander ist siegreich und betritt Babylon
- Buch: Alexander erobert Susa und brennt Persepolis nieder
- Buch: Darius flüchtet und wird gemeuchelt; Alexander beweint dessen Tod und errichtet ihnen ein Grab
- Buch: Alexander erobert Hyrkanien und Skythien; die Verschwörung des Philotas
- Buch: Zug nach Indien; König Porus unterwirft sich mit allen Tyrannen des Ostens
- Buch: Alexanders Plan, nach dem Osten nun auch den Westen und somit Rom zu erobern; die Vergiftung und der Tod des Alexander; die Seele entweicht in himmlische Gefilde.
Das Lied von Alexander dem Großen schließt mit den mahnenden Worten: „O, du Menschengeschlecht, wie glücklich wärst du hienieden,/ Dächtest du stets an dein ewiges Heil, voll Furcht vor dem Ende,/ welches Edlen so plötzlich wie Niedriggeborenen zustößt!“[3]
Rezeption
Zwischen 1178 und 1250 entstand in Spanien das epische Poem El libro de Alexandre, das zu großen Teilen auf der Alexandreis des Walter von Châtillon basiert. Das Libro de Alexandre enthält aber auch fantastische Elemente des Li romans d’Alixandre aus der Feder von Lambert de Tort (altfranz.: Lamberz li Tors) bzw. Alexandre de Bernay sowie der Historia de preliis Alexandri Magni des Erzpriesters Leo von Neapel. Das Buch ist in lediglich zwei Manuskripten überliefert.[4]
Die Alexandreis begründete schon zu Lebzeiten den Ruhm des Dichters und Klerikers Walter von Châtillon. Was die Aeneis des Vergil den Römern, war Walters Alexandreis den Lesern des 13. und 14. Jahrhunderts. Zeitweise verdrängte die Alexandreis sogar die Aeneis als Lehrbuch im mittelalterlichen Lateinunterricht.[5]
Der deutsch-böhmische Hofdichter Ulrich von Etzenbach ließ sich um 1270 von Walters Alexandreis zu dem mittelhochdeutschen Versepos Alexandreis (auch Alexander betitelt) inspirieren. Darauf aufbauend entstand ein weiterer böhmischer Alexanderroman. Die alttschechische Alexandreis von 1300 gilt als erstes bedeutendes Werk tschechischer Sprache.[6]
Siehe auch
Ausgaben
- Alexandreidos Libri decem, Nunc primùm In Gallia Gallicisque characteribus editi. Granjon, Lugdunum [Lyon] 1558 (Digitalisat ).
- Alexandris, sive gesta Alexandri Magni. Herausgegeben von Athanasius Gugger von Berneck. Klosterdruckerei, St. Gallen 1659 (Digitalisat ). Jacob Müller, St. Gallen 1693 (Digitalisat).
- Gualterus de Castellione/Walter von Châtillon: Alexandreis. Das Lied von Alexander dem Großen. Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Gerhard Streckenbach unter Mitwirkung von Otto Klingner. Mit einer neuen Einführung von Walter Berschin. 2., verbesserte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-534-24975-6.
Literatur
- Hartmut Wulfram: Explizite Selbstkonstituierung in der Alexandreis Walters von Châtillon. In: Jan Cölln, Susanne Friede, Hartmut Wulfram (Hrsg.): Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Sonderforschungsbereich „Internationalität Nationaler Literaturen“. Wallstein Verlag, Göttingen 2000, ISBN 978-3-89244-199-1, S. 270–298.
- Andreas Glock: Alexander Gallicus? Die Alexandreis Walters von Châtillon als Fall impliziter antik-mittelalterlicher Dependenz und Selbstkonstituierung. In: Jan Cölln, Susanne Friede, Hartmut Wulfram (Hrsg.): Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Sonderforschungsbereich „Internationalität Nationaler Literaturen“. Wallstein Verlag, Göttingen 2000, ISBN 978-3-89244-199-1, S. 222–269.
- Corinna Killermann: Die mittelalterliche Kommentierung der Alexandreis Walters von Châtillon als Fall von Interdependenz und Selbstkonstituierung. In: Jan Cölln, Susanne Friede, Hartmut Wulfram (Hrsg.): Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Sonderforschungsbereich „Internationalität Nationaler Literaturen“. Wallstein Verlag, Göttingen 2000, ISBN 978-3-89244-199-1, S. 299–331.
- Martin Lehmann (Hrsg.): Alexander Ethicus? Zur moralischen Dimension des Alexanderbildes in der Alexandreis des Walter von Châtillon. Rombach Verlag, Freiburg 2018, ISBN 978-3-7930-9930-7.
Weblinks
- Die Alexandreis im lateinischen Originaltext, Transkript der Bibliotheca Augustana
- Gualterus de Castellione: Alexandreis, Manuskript der Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1720.
Einzelnachweise
- Walter Berschin: Einführung, in: Walter von Châtillon: Alexandreis, Heidelberg 1990, S. 18f.
- Walter Berschin: Einführung, in: Walter von Châtillon: Alexandreis, Heidelberg 1990, S. 29.
- Walter von Châtillon: Alexandreis, Heidelberg 1990, S. 185.
- Dizionario Bompiani delle opere e dei personaggi : di tutti i tempi e di tutte le letterature. Volume Primo A-CAM, Milano 2006, ISBN 8845232468, S. 144–145.
- Walter von Châtillon: Alexandreis, Heidelberg 1990, S. 193.
- Ruth Finckh: Ulrichs von Etzenbach Alexander: ein böhmisches Lehr-Stück, S. 365