Agnès Thurnauer
Agnès Thurnauer (geboren am 28. April 1962 in Paris) ist eine französische zeitgenössische Künstlerin.[1] Seit den 1990er Jahren analysiert sie mit ihren Werken die Darstellung und den Platz der Frau in den Medien und der Kunst. Sie arbeitet hauptsächlich mit der Malerei, aber auch mit Skulptur, Typografie, Zeichnung und Installation.
Leben
Agnès Thurnauer wuchs als Tochter einer Psychoanalytikerin und eines Architekten in Paris auf. Sie studierte an der École nationale supérieure des arts décoratifs und schloss das Studium 1985 mit Diplom im Fach Film- und Videokunst ab. Anschließend war sie als freiberufliche Redakteurin tätig. In dieser Zeit bekam sie zwei Kinder. 1993 nahm sie die künstlerische Arbeit wieder auf. Vereinzelt ab 1995, kontinuierlich seit Anfang 2000 werden ihre Werke in Galerien und Museen ausgestellt. Sie lebt in Paris und arbeitet in ihrem Atelier in Ivry-sur-Seine.[2]
Werk
Von den 1980er bis Mitte der 1990er Jahre malte Thurnauer nahezu abstrakt in klaren Farben und Formen. Parallel dazu befragte sie in ihren fotografischen Arbeiten die Rolle von Fotograf und Model. 1998 begann sie Schrift in ihre Kunst zu integrieren.[2] Malerei ist für Thurnauer ein Ort des Wortes, des Sprechens („Lieu de parole“), nicht in dem Sinne des gemalten oder gezeichneten Textes, sondern als Materialisierung des Gedankens. Ein Gemälde verkörpert für sie einen Gesprächspartner, mit dem man einen ununterbrochenen Dialog führen kann.[3]
International bekannt wurde sie mit einer Serie von großen farbigen, beschrifteten Buttons, den Portraits grandeur nature (Porträts in Lebensgröße), mit denen sie die Kunstgeschichte feminisierte. Sie verwandelte zum Beispiel die Namen von Marcel Duchamp in Marcelle Duchamp und Andy Warhol in Annie Warhol. Eine Ausnahme ist der Button für Louis Bourgeois. Es ist die maskulinisierte Version von Louise Bourgeois. So kommentierte sie mit Humor die Abwesenheit von Künstlerinnen in Museen und auf dem Kunstmarkt und verschaffte der Präsenz von Frauen Geltung. Die Serie entstand 2005 anlässlich der Biennale für zeitgenössische Kunst in Lyon und hängt seit 2008 als Bilderleiste in Museen, wie dem Centre Pompidou und dem Seattle Art Museum. Im folgenden Jahr reproduzierte sie das Gemälde Der Ursprung der Welt von Gustave Courbet und schrieb feminisierte Künstlernamen darüber.[4] Sie nannte es The Original World. Mit der Wiederaufnahme alter Motive bietet sie eine Re-Interpretation und Neubewertung von Geschichte aus heutiger Sicht an.[2] Reprise heißt auch die Reihe von Bild-Wort-Kompositionen, in denen sich Thurnauer mit Gemälden von Édouard Manet auseinandersetzte. 2013 wurde sie von der Yale School of Architecture eingeladen zu einer Ausstellung beizutragen, die zwei Gemälde von Manet aus dem Jahr 1863 feierte: Olympia und Das Frühstück im Grünen. Thurnauer reproduzierte das Gemälde der Olympia und überzog es mit in goldenen Buchstaben geschriebenen zärtlichen Worten an eine Frau während des Liebesaktes.
Zwischen 2007 und 2011 schuf Thurnauer eine Reihe von Werken, die sie Prédelle (Predella) nannte. Die Grande Prédelle sind Diptychen, die jeweils eine Vergrößerung des Blaurackenflügels (Aquarell von Albrecht Dürer, 1512) entlang einer Verformung des ikonischen Titels der Zeitschrift Elle darstellen. Der Titel und das Subjekt vermitteln ein multiples Wortspiel mit dem Homonym près d’elle (nah an ihr) und aile (Flügel).
Ein skulpturales Werk von Thurnauer ist Matrice (Matrix) in mehreren Versionen. Es besteht aus den 26 Buchstaben des Alphabets, die als Installation auf dem Boden ausgelegt werden. Jedes der dreidimensionalen Objekte ist gebrochen, so dass sich der Buchstabe nicht aus dem Volumen, sondern dem Hohlraum ergibt. Sprache ist so kein Werkzeug mehr, sondern wird zu einem offenen Raum, durch den man gehen kann. Matrice/assise ist aus 45 Zentimeter hohem, gebürsteten Aluminium gefertigt, Matrice/sol aus fünf bis zehn Zentimeter hohem, weißen Resin (Gießharz). Der portugiesische Philosoph und Kunstkritiker Paulo Pires do Vale schrieb anlässlich der Ausstellung Préfigurer 2016 über Matrice: „Mehr als definierte Worte oder Diskurse bringt uns das Werk von Thurnauer ins Freie. Es gibt uns einen Ort, an dem etwas Unbestimmtes entstehen kann. Leere, die einen Überschuss zulässt. Wir treten ein in das spielerische und plastische Reich der Kindheit.“[5] In manchen Ausstellungen installierte Thurnauer Matrice wie eine Sprachwelle, die auf eins ihrer Gemälde mit feminisierten Künstlernamen zuläuft.[6]
Ausstellungen (Auswahl)
Einzelausstellungen
- 2001: Pour en venir au monde,[7] Centre d’art contemporain d’Ivry – le Crédac, Ivry-sur-Seine
- 2003: Les circonstances ne sont pas atténuantes, Palais de Tokyo, Paris
- 2003: Maintenant avant après, Galerie Ghislaine Hussenot, Paris
- 2004: Don’t pretend you’ve never heard of it, Springhornhof, Neuenkirchen
- 2005: I will survive, Wim Reiff Gallery, Maastricht
- 2006: Around a round, Galerie Ghislaine Hussenot, Paris
- 2007: Bien faite, mal faite, pas faite,[8] S.M.A.K., Gent
- 2009: Thurnauer à Angers,[9] Musée des beaux-arts d’Angers, Angers
- 2011: Manifestement, Espace d’Art Contemporain André Malraux, Colmar
- 2011: Sujet, verbe et compléments[10] Immanence, Paris
- 2013: Drawing Now Paris,[11] Galerie de Roussan, Carrousel du Louvre, Paris
- 2014: Figure libre,[12] Le Radar, Centre d’art Contemporain, Bayeux
- 2014: Sleepwalking[13] Galerie de Roussan, Paris
- 2015: You, Jesus College, Cambridge University
- 2016: Agnes Thurnauer. Prèfigurer, Galerie Fernand Léger, Paris[14]
Gruppenausstellungen
- 2005: Biennale de Lyon,[15] Lyon
- 2006: Notre histoire, Palais de Tokyo, Paris
- 2006: ART FRANCE BERLIN: Peintures / Malerei, Martin-Gropius-Bau, Berlin
- 2009: elles@centrepompidou,[16] Centre Pompidou, Paris
- 2013: Lunch with Olympia,[17] Edgewood Gallery, Yale School of Art, USA
- 2013: Jardin de langage, Fondation Poppy et Pierre Salinger, Thor
- 2014: “G I R L”,[18] Galerie Emmanuel Perrotin, Paris
- 2014: Cet obscur objet du désir – Autour de l’Origine du monde,[19] Musée Gustave Courbet, Ornans
- 2016/2017: Supercalifragilisticexpialidocious[20], WhiteBox Gallery, New York
- 2017: HERstory – des archives à l’heure des postféminismes, Maison des Arts de Malakoff
Weblinks
Einzelnachweise
- Agnès Thurnauer, Centre Pompidou
- Floris Taton: Thurnauer Agnes, in: Christine Bard (Hrsg.): Dictionnaire des féministes. France – XVIIIe–XXIe siècle, Presses universitaires de France, Paris 2017, ISBN 978-2-13-078720-4 (verwendet wurde die Kindle-Ausgabe)
- Journal et autres écrits. Agnès Thurnauer, Beaux-Arts de Paris éditions (Collection Écrits d’artistes), Paris 2014, ISBN 978-2-84056-398-3
- Martina Zimmermann: Vagina-Monologe in der Kunst. „Das dunkle Objekt der Begierden“ im Courbet-Museum in Ornans, Deutschlandfunk Kultur, 8. Juni 2014
- Paulo Pires do Vale: Le lieu est la parole, la parole est le lieu, Katalog zur Ausstellung Agnès Thurnauer. Préfigurer, Galerie Fernand Lèger, 25. März – 21. Mai 2016 (Katalog als pdf zum Download)
- Matrice/sol (2013), Website der Künstlerin
- Gérard Wajcman, Christophe Domino: Agnès Thurnauer: Pour en venir au monde (fr). Le CREDAC, Ivry-sur-Seine 2001, ISBN 978-2-907643-94-8.
- Bien faite, mal faite, pas faite (well done, badly done, not done) Project XX Story for the S.M.A.K.. In: S.M.A.K..
- Les Femmes au Musée (fr) In: Angers. Archiviert vom Original am 2. April 2015.
- Sujet, verbe, et compléments (fr) In: immanence.
- Agnès Thurnauer, Drawing Now Paris, Galerie de Roussan, Carrousel du Louvre, du 11 au 14/04/13 (fr) In: ouvretesyeux. 9. April 2013.
- Agnès Thurnauer « Figure libre » (fr) In: Le Radar.
- Press release: Agnès Thurnauer Solo Show. In: Galerie de Roussan.
- Agnes Thurnauer. Prèfigurer, Galerie Fernand Léger (Katalog ist als pdf abrufbar)
- Agnès Thurnauer, Biennale de Lyon 2005 (fr) In: Biennale de Lyon 2005.
- Agnès Thurnauer, elles@centrepompidou. In: elles@centrepompidou.
- Amy Athey McDonald: Yale marks 150th anniversary of Manet’s landmark paintings. In: YaleNews, 10. September 2013.
- “G I R L” curated by Pharrell Williams. In: Galerie Perrotin.
- Cet obscur objet de désirs. L’Origine du monde (fr) In: maCommune. 25. August 2014. Archiviert vom Original am 2. April 2015.
- Supercalifragilisticexpialidocious. MutualArt