Xavier de Maistre (Schriftsteller)
Xavier de Maistre (* 10. Oktober 1763[1] in Chambéry; † 12. Juni 1852 in St. Petersburg) war Offizier und als französischer Schriftsteller bekannt.
Xavier de Maistre war der jüngere Bruder des Philosophen und Staatsmannes Joseph de Maistre. Er wurde in eine aristokratische Familie in Chambéry geboren.
Als junger Mann diente er in der Armee des Königreichs Piemont-Sardinien, später in der russischen Zarenarmee.
1790 schrieb er seinen Roman Voyage autour de ma chambre („Reise um mein Zimmer“, 1795 anonym in Lausanne veröffentlicht) während eines Arrestaufenthalts von 42 Tagen in der Stadt Turin infolge eines unerlaubten Duells.
Leben
Xavier teilte die politischen und konter-revolutionären Ansichten seines Bruders Joseph, und nachdem 1792 die französische Revolutionsarmee Savoyen annektiert hatte, quittierte er den Militärdienst. Als 1796 Savoyen an die französische Republik angeschlossen und die Armee Savoyens aufgelöst wurde, suchte de Maistre Zuflucht im oberitalienischen Fürstentum Piemont, um in Turin zu leben. Als die Franzosen auch Turin besetzten, verließ er Piemont, um ab 1800 in der russischen Armee unter Alexander Wassiljewitsch Suworow bei dessen Schlachten gegen die französischen Truppen zu dienen. Im Jahre 1812 heiratete er eine russische Aristokratin, Frau Zagriatsky, die mit der Familie der Zarin verwandt war. In der Folgezeit wurde er auf verschiedenen Posten eingesetzt, so als Bibliotheksdirektor und als Direktor des Museums der Admiralität in St. Petersburg. Zeitweise in militärischen Diensten wurde er im Kaukasus verwundet.
Als Suworows Gönnerin Zarin Katharina II. von Russland 1796 starb, fiel der militär-strategisch hochbegabte und erfolgreiche General Suworow 1800 in Ungnade beim nachfolgenden Zar Paul I. und wurde demissioniert. Als Grund gilt ein Massaker an 20.000 Polen, als der General Warschau besetzte und während des Feldzuges administrative Dienstvorschriften nicht eingehalten worden waren. Die Existenz eines Stabes zur Kriegsführung war vom Kaiser bei Regierungsantritt abgeschafft worden. Offiziere sollten nicht am Schreibtisch sitzen, sondern kämpfen. Obwohl Zar Paul I. Suworow vollständig freie Hand gewährt hatte und den Kriegsrat angewiesen hatte, dass Suworow keine Befehle, sondern nur noch Empfehlungen und Informationen bekommen solle, revanchierte sich der Monarch auf diese Weise, nachdem Suworow nicht mehr benötigt wurde.
1805 wurde er zum ersten Direktor des Zentralen Marinemuseums bestellt. Xavier de Maistre verließ 1817 den Militärdienst im Range eines Generalmajors, um danach in St. Petersburg und Paris als Schriftsteller, Portrait-, Miniatur- und Landschaftsmaler zu arbeiten.
Literarisches Werk
Sein Roman Voyage autour de ma chambre (Reise um mein Zimmer) (1794),[1][2] ist eine Parodie auf geografische Reiseberichte, eine Hommage. Dem Trend der großen Welt- und Entdeckungsreisen jener Epoche setzte de Maistre den literarischen Typus der Miniaturreise als „Gedankenspaziergang“ entgegen. Den Roman könnte man Tour d’horizon bezeichnen, während der Reisende vom Bett, zum Lehnstuhl und weiter zum Schreibtisch „reist“, Bilder betrachtet, Reflexionen verfasst oder Dialoge griechischer Mediziner und Philosophen inszeniert. Die Gegenstände in seinem Arrestzimmer werden beschrieben, erkundet und entwickeln sich zu Objekten der Phantasie. Zentral sind Dialoge zwischen Körper und Seele des Autors, bei denen divergierende Anschauungen diskutiert werden. Die Ausführungen von de Maistre wurden als Reaktionen auf die Begrenzungen, Trivialitäten und Zumutungen des Alltags gedeutet. Der Roman kann als Prototyp der so genannten „Zimmerreisen“ gesehen werden, die sich insbesondere in der französischen Literatur seit dem Ende des 18. Jahrhunderts finden und die statt der weiten Welt das Zimmer, den Garten, den Schreibtisch oder die Schublade, das Zelt oder eine Bibliothek als Miniaturen oder Kleinode „bereisen“[3].
De Maistres Aufenthalt in Turin wurde zum Ausgangspunkt eines zweiten Romans im gleichen Stil, Expédition nocturne autour de ma chambre („Nächtliche Entdeckungsreise um mein Zimmer“), der erst im Jahre 1825 veröffentlicht wurde.
Zu seinen weiteren literarischen Werken gehören:
- Le Lépreux de la Cité d’Aoste („Der Aussätzige von Aosta“), 1811[4]
- Les Prisonniers du Caucase („Die Gefangenen des Kaukasus“), 1825[5]
- La jeune Sibérienne („Die junge Sibirierin“), 1825[6]
1839, nach Veröffentlichung der französischen Ausgabe von „Die junge Sibirierin“, unternahm Maistre lange Reisen nach Paris und Savoyen. Dabei war er über den Grad seiner Bekanntheit in literarischen Kreisen höchst erstaunt. Alphonse de Lamartine widmete ihm ein Gedicht mit dem Titel Retour (1826), um sein Genie zu preisen. Er traf auch auf Charles Augustin Sainte-Beuve, von dem einige unterhaltsame Reminiszenzen an de Maistre überliefert sind.
De Maistre soll auch einige Zeit in Neapel gelebt haben, ehe er nach St. Petersburg zurückkehrte, wo er 1852 starb.
Verwendungen in anderen Werken
- Der Titel des Romans Reise um mein Zimmer wird in Versen von Carlos Argentino Daneri zitiert, einer literarischen Figur in Jorge Luis Borges’ Kurzgeschichte The Aleph.
- Elena Quiroga[7] zitiert aus dem Roman Reise um mein Zimmer.
- Reise um mein Zimmer wird im Buch Die Kunst des Reisens des britischen Schriftstellers Alain de Botton angesprochen (2002, ISBN 0-375-42082-7).
- Das Poem Hai luli aus Die Gefangenen des Kaukasus wurden durch die französische Komponistin Pauline Viardot in ein Musikstück übertragen.
- Alphonse de Lamartine schrieb das Poem Le Retour als de Maistre nach Paris kam.
- Reise um mein Zimmer inspirierte den portugiesischen Schriftsteller Almeida Garrett zu den Arbeiten Viagens na Minha Terra (Travels in my Homeland).
- Xavier de Maistre und die Reise um mein Zimmer werden von der Figur Brás Cubas, als seine wichtigsten Impulse erwähnt, seine Memoiren zu schreiben (in der Novelle Memórias Póstumas de Brás Cubas des brasilianischen Schriftstellers Machado de Assis).
- Reise um mein Zimmer wird in D. H. Lawrences Werk Söhne und Liebhaber zitiert: „...She wanted to learn, thinking that if she could read, as Paul said he could read, ‚Colomba‘, or the ‚Voyage autour de ma Chambre‘, the world would have a different face for her and a deepened respect.“ (Teil 2, Kapitel 7)
Literatur
- Charles M. Lombard: Xavier de Maistre. Reihe: World Authors. Twayne (G. K. Hall), Boston 1977, ISBN 0-8057-6284-1.
Theater
- 2013 wurde Reise um mein Zimmer in der Schweiz (Zürich) im Theater Keller 62 uraufgeführt.[8]
Weblinks
- Literatur von und über Xavier de Maistre im SUDOC-Katalog (Verbund französischer Universitätsbibliotheken)
- Unter Wilden, von Dieter Wenk, 2006, Rezension zu den Gefangenen im Kaukasus
- X. d. M. in Französisch (seine Originaltexte); darunter auch physikalische Beobachtungen zu Ballon-Experimenten (Linke Seite: Sitemap). Dort auch: Sainte-Beuve über de M., 1839 (neu gesetzt); Scan des Originals siehe google books, Oeuvres complètes du comte Xavier de Maistre , das Vorwort
- Jean-Louis Darcel: Joseph et Xavier de Maistre. Archives départementales de la Savoie. 2002. Abgerufen am 8. Juli 2002.
Quellen
Dieser Artikel stützt sich unter anderem auf den Artikel Xavier de Maistre der Encyclopædia Britannica von 1911, archiviert in: Project Gutenberg
- Neville Williams, Waller, Philip: Chronology of the Modern World 1763–1992, 2nd. Auflage, Helicon, Oxford 1994, ISBN 0-09-178274-0, S. 3, 69.
- Xavier de Maistre: Die Reise um mein Zimmer. Reclam, Leipzig 1875 (Digitalisat), Aufbau, Berlin 2011, ISBN 978-3-351-03347-7.
- Monografie zum Genre der 'Zimmerreisen': Bernd Stiegler:; Reisender Stillstand. Eine kleine Geschichte der Reisen im und um das Zimmer herum. S. Fischer: Frankfurt am Main 2010
- versch. deutsche Ausgaben; als E-Book bei google books nach der 2. Aufl. 1825; hier ohne Angabe des Übers. und des Verlags. Print: Hg. Wilhelm Ungewitter, Meyers Volksbücher, 724. Bibliographisches Institut, Leipzig ca. 1896. Zweisprachig: Aegis-Verlag, Ulm 1948
- E-Book bei google books nach der Ausg. im Verlag Ph. Bauer, Wien 1827, Übers. Kreisrath (d. i. Franz Xaver) Schnetzler (siehe folgende Anm.); der Autor ist betitelt mit „Graf“; der Titel lautet „... auf dem Caucasus“. Reihe: Bilder des Herzens und der Welt, 7.; zusätzlich enthalten ist der folgende Titel. – „Kaukasus“ ebenfalls in der Anthologie Französische Erzählungen von Chateaubriand bis France. Hrsg. Victor Klemperer, Übers. Günther Steinig. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1951. Sammlung Dieterich 124, S. 38–74. Im Vorwort geht Klemperer auf den Autor ein.
- als E-Book siehe Anm. zu vorigem Titel. Zuerst als „Das Mädchen aus Siberien“ (sic!) bei Friedrich Wagner, Freiburg im Breisgau 1826, zus. in 1 Band mit Caucasus und Aosta. Übersetzer F. X. Schnetzler. Dieser war Herausgeber der Freyburger (sic!) Zeitung und gehörte zum engeren Umfeld des Johann Georg Jacobi online (PDF; 10,3 MB)
- Quiroga, Elena: Escribo tu nombre. Madrid: Espasa-Calpe, 1993, S. 297.
- http://www.keller62.ch/spielplan/index.html