Wilhelm Heinrich Schüßler
Wilhelm Heinrich Schüßler (* 21. August 1821 in Bad Zwischenahn; † 30. März 1898 in Oldenburg) war ein homöopathischer Arzt und der Begründer der „Biochemischen Heilweise“, der Therapie mit den sogenannten Schüßler-Salzen.
Leben und Wirken
Schüßlers Eltern waren der Amtseinnehmer Heinrich Nicolaus Schüßler und Margarethe Catharina geb. Heddin. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, erwarb sich aber dennoch umfassende Kenntnisse auf den verschiedensten Gebieten, insbesondere auf dem Gebiet der Sprachen. Neben Latein und Griechisch beherrschte er Französisch, Italienisch, Spanisch und Englisch – größtenteils im Selbststudium erlernt – vollkommen und befasste sich zeitweise sogar mit Sanskrit.
Medizinische Qualifikation
Nach eigenen Angaben[1] studierte Schüßler seit 1852 in Paris, Berlin sowie in Gießen Medizin. Am 1. März 1855 wurde er von der Gießener Universität ohne Abgabe einer Dissertation, ohne Leistungsnachweise und in Abwesenheit zum Doktor der Medizin promoviert. Anschließend studierte er in Prag, wo er unter anderem Vorlesungen über die Homöopathie besuchte. Der Antrag auf die medizinische Staatsprüfung zur Erlangung der Berufserlaubnis als Arzt wurde 1855 abgelehnt, da Schüßler nicht nur keine ordentlichen Studienbelege, sondern auch kein Abitur besaß. Daher holte er bis 1857 die Reifeprüfung am Alten Gymnasium in Oldenburg nach und erlangte damit schließlich die Zulassung zur Staatsprüfung, die am 14. August 1857 als bestanden bescheinigt wurde.[2]
Schüßler bewarb sich anschließend um die Konzession zur Niederlassung in der Stadt Oldenburg und startete dazu eine an den Stadtrat gerichtete Unterschriftensammlung unter den Bürgern der Stadt. Er erhielt sie schließlich am 2. Januar 1858, auch deshalb, weil Schüßler versicherte, sich ausschließlich homöopathisch zu betätigen. Er vertrat als erster Arzt in Norddeutschland das homöopathische Heilverfahren praktisch und wissenschaftlich im Sinne Mélanie Hahnemanns. Im Jahr 1861 trat er dem Deutschen Zentralverein Homöopathischer Ärzte bei.
Therapeutisches Konzept
Nachdem er zunächst 15 Jahre lang als homöopathischer Arzt praktiziert hatte, entwickelte er eine Therapie, bei der Krankheiten mit verschiedenen „potenzierten“, also homöopathisch zubereiteten, Salzen behandelt werden, deren Mangel nach Schüßler die entsprechende Krankheit verursachen sollten. Im Jahr 1873 veröffentlichte er seine Theorien erstmals in der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung, dem Zentralorgan der deutschsprachigen Ärzteschaft homöopathischer Ausrichtung, und stieß damit auf viel Skepsis und Kritik unter den Homöopathen. 1876 verließ er den Homöopathischen Zentralverein wieder und begründete dies damit, dass die dort „tonangebenden Herren meine Therapie nicht als eine homöopathische anerkennen wollen.“
1878 schrieb er in seinem zentralen Werk Eine Abgekürzte Therapie: „Ich habe alles, durch Theorie und Praxis über die Molekularwirkung der genannten 12 Salze von mir ermittelte in ein System gebracht, und meiner Heilmethode den Namen ‚Biochemie‘ gegeben. Die Biochemie ist mit der Homöopathie nicht identisch.“ Und darin weiter: „Wer von kleinen Gaben hört, denkt gewöhnlich sofort an Homöopathie. Mein Heilverfahren ist aber kein homöopathisches, denn es gründet sich nicht auf das Ähnlichkeitsprinzip, sondern auf die physiologisch-biochemischen Vorgänge, welche sich im menschlichen Organismus vollziehen.“ Das Werk wurde in zahlreichen Auflagen, die seine Lehre in die ganze Welt trugen, veröffentlicht und in alle Kultursprachen übersetzt.
Naturwissenschaftliche Rezeption
Die von Schüßler erfundene Biochemie als Therapieverfahren ist nicht zu verwechseln mit der naturwissenschaftlichen Disziplin Biochemie. Die Thesen Schüßlers widersprechen allgemein als gültig angesehenen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Funktionsweise von Organismen und die Entstehung von Krankheiten (Pathologie). Sein einfaches und billiges Heilsystem brachte Schüßler eine immer größere Anhängerschaft, allerdings gerade aus den wissenschaftlichen Kreisen der Ärzteschaft auch viele Gegner, was zu Auseinandersetzungen bis hin zu Feindschaft und Verleumdung führten. Daher sah sich Schüßler immer wieder zur Herausgabe kleinerer Schriften veranlasst, die der „Richtigstellung irriger Auffassungen“ so wie der weiteren Vertiefung und Verbreitung seiner Biochemie dienen sollten. Die Nazis waren allerdings von der „Volksheilweise“ Schüßlers zunächst sehr angetan, ließen das Verfahren aber nach einigen Versuchsreihen seiner erwiesenen Wirkungslosigkeit wegen in der Versenkung verschwinden. Ernst Klee berichtet über Versuche im Konzentrationslager Dachau, in denen bei Gefangenen durch Injektion von Erregern eine Sepsis erzeugt wurde, die man mit Schüßlers Salzen zu behandeln suchte. Aber „sämtliche Sepsisfälle kamen ad exitum.“[3] In den 1980er Jahren erlebte Schüßlers Biochemie im Zuge des wachsenden Interesses an alternativen Heilmethoden eine Wiedergeburt[1] und ist insbesondere im deutschsprachigen Raum unter Alternativmedizin-Anhängern verbreitet.
Nachruhm
Schüßler blieb bis zu seinem Tod Junggeselle und lebte zurückgezogen. Sein Grab befindet sich auf dem Gertrudenfriedhof in Oldenburg.[4] Sein in seinem Leben erworbenes umfangreiches Vermögen stiftete er für konfessionsübergreifende, wohltätige Zwecke.
1932 wurde auf dem Gelände des damaligen Stammsitzes des Madaus-Werks auf der Radebeuler Gartenstraße aus Anlass des Bundeskongresses des Biochemischen Bundes Deutschlands ein Schüßler-Denkmal eingeweiht, das später einer Betriebserweiterung weichen musste und von der Familie daher im unterhalb gelegenen Park auf dem nach Emil Nackes Tod erworbenen Weingut Johannisberg in Zitzschewig wiederaufgestellt wurde. Nach der Enteignung des Firmengeländes 1945 war die Schüßler-Büste in dem Teich des damaligen Madaus-Parks versenkt worden. 2007 wurde sie wiederentdeckt und zu großen Teilen ausgegraben.[5]
Werke (Auswahl)
- Wie urteilt man in Oldenburg über die Homöopathie. Oldenburg, 1861.
- Populäre Darstellung des Wesens der Homöopathie. Oldenburg, 1863.
- Eine abgekürzte Therapie, gegründet auf Histologi und Cellular-Pathologie. Schulze, Oldenburg, 1874 (Digitalisat der 42. Auflage 1917, Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf; Digitalisat der 46. Auflage 1922).
- Eine abgekürzte Therapie: Anleitung zur biochemischen Behandlung der Krankheiten. Schulze, Oldenburg, 1924. (Digitalisat der 49. Auflage.)
- Specielle Anleitung zur homöopathischen Anwendung der physiologischen Functionsmittel. Oldenburg 1874.
- Dr. von Grauvogel’s Stellung zur „Abgekürzten Therapie“. Oldenburg, 1876.
- Die anorganischen Gewebebildner in ihrer therapeutischen Bedeutung. Oldenburg, 1876.
- Die Heilung der Diphteritis auf biochemischem Wege. Oldenburg, 1879.
- Die Cholera, vom biochemischen Standpunkte aus betrach tet. Oldenburg, 1892.
- Kneipp's Wasserkur. Gedanken darüber. Oldenburg, 1895.
- Allopathie, Biochemie und Homöopathie. Oldenburg, 1895.
- Irrige Auffassungen bezüglich der Biochemie. Richtigstellung derselben. Oldenburg, 1926.
Literatur
- Wolfgang Büsing: Schüßler, Wilhelm Heinrich. In: Hans Friedl u. a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Hrsg. im Auftrag der Oldenburgischen Landschaft. Isensee, Oldenburg 1992, ISBN 3-89442-135-5, S. 656 f. (online).
- Günther Lindemann: Dr. med. Wilhelm Heinrich Schüßler. Sein Leben und Werk. Isensee-Verlag, Oldenburg 1992 ISBN 3-89442-125-8
- M. Roth, P. Tornow: Aufsätze zur Medizingeschichte der Stadt Oldenburg. Isensee, Oldenburg 1999 ISBN 3-89598-539-2
Weblinks
- Literatur von und über Wilhelm Heinrich Schüßler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Colin Goldner: Die heilsamen Zwölf. Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 11. Mai 2010.
- Dr. med. Schüßler: „Kneipps Wasserkur – Gedanken darüber“, 4. Auflage (PDF-Datei; 562 kB)
Quellen
- Colin Goldner: Die heilsamen Zwölf. Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 11. Mai 2010.
- Dr. med. Wilhelm Heinrich Schüßler. Sein Leben und Werk. S. 23–24.
- Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt, 2001, S. 144–145.
- Aufsätze zur Medizingeschichte der Stadt Oldenburg. S. 390–396.
- Peter Redlich: SZ vom 20. November 2007, Seite 17.