Vergilius Romanus
Der Vergilius Romanus ist eine in Capitalis rustica geschriebene, illuminierte Handschrift des 5./6. Jahrhunderts mit Texten des Dichters Vergil. Der Schreiber verwendet mehrfach Kontraktionskürzungen nach Art der christlichen Nomina sacra. Einem Besitzeintrag (fol. 4r: Iste lib[er] est b[eat]i dyon[ysii]) aus dem 13. Jahrhundert zufolge gehörte sie einst zur Bibliothek der Abtei St-Denis. Der Pergamentcodex gelangte auf unbekanntem Wege aus dem Besitz des Humanisten Gianpietro Valeriano (gen. Pierius) in die Biblioteca Apostolica Vaticana, wo er heute unter der Signatur Vatikanstadt, BAV, Vaticanus latinus 3867 aufbewahrt wird. Der auf 309 von ursprünglich ca. 385 Blättern erhaltene Text umfasst die Aeneis, die Georgica und einige der Eclogae des Vergil: Fol. 1r-18v: Eclogae seu Bucolica (fragmentarisch). Fol. 18v-73v: Georgica cum argumentis. Fol. 75r-309v: Aeneis cum argumentis.
Von besonderer Bedeutung ist die Handschrift jedoch durch die 19 erhaltenen Miniaturen, die als Hauptwerke der spätantiken Buchmalerei gelten und zur Untersuchung der Verbindung der Kunst der Antike und der mittelalterlichen Buchmalerei herangezogen werden. Die Illustrationen des Vergilius Romanus weisen zwar noch Stilmerkmale der antiken Maltradition auf, wie man sie z. B. bereits zuvor in dem um 400 entstandenen illustrierten Manuskript des Vergilius Vaticanus erkennen kann; jedoch deutet der Vergilius Romanus die Abwendung von diesem klassischen Formenkanon an. Die beiden Werke mit Illustrationen zu Vergil können im Vergleich die Weiterentwicklung einer durch den Vergilius Vaticanus vertretenen Buchillustration der Antike zur mittelalterlichen Buchmalerei zeigen.
Das Seitenlayout mit einer Seitenhöhe von ca. 33, 2 cm und einer Breite von ca. 32, 3 cm, nahezu quadratischem Schriftspiegel mit nur 18 Versen pro Seite, breiten Seitenrändern korrespondiert der monumentalen Wirkung der sorgfältig ausgeführten Capitalis rustica.
Der Entstehungsort der Handschrift ist umstritten, vermutlich liegt dieser im Osten des römischen Imperiums.
Es gibt noch eine Reihe weiterer berühmter Vergilhandschriften der Spätantike.
Faksimile
- Vergilius Romanus. Codice vaticano latino 3867, conservato nella Biblioteca Apostolica Vaticana (= Codices e Vaticanis selecti. Band 66) Jaca Book, Mailand / Belser, Zürich 1985–86 (Faksimile und Kommentarband).
Literatur
- Johannes Götte (Ed.): Vergil. Aeneis. Heimeran, München 1958, S. 609–613.
- Rezensionen: Christoph Eggenberger, In: Byzantinische Zeitschrift 69, 1976, S. 123–128; Henri Stern: In: The Art Bulletin 56, 1974, S. 596–598.
- Christoff Eggenberger: Die Miniaturen des Vergilius Romanus, Codex Vat. Lat. 3867. In: Byzantinische Zeitschrift 70, 1977, S. 58–90.
- Erwin Rosenthal: The Illuminations of the Vergilius Romanus (Cod. Vat. Lat. 3867). A Stylistic and Iconographic Analysis. Zürich 1972.
- Florentine Mütherich: Die illustrierten Vergil-Handschriften der Spätantike. In: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. N. F. 8, 1982, S. 205–221 + 6 Tafeln.
- Richard Seider: Beiträge zur Geschichte und Paläographie der antiken Vergilhandschriften. In: Herwig Görgemanns, Ernst A. Schmidt (Ed.): Studien zum antiken Epos (= Beiträge zur klassischen Philologie. 72). Hain, Meisenheim am Glan 1976, S. 129–172.
- Kurt Weitzmann: Spätantike und frühchristliche Buchmalerei. Prestel, München 1977, S. 52–59.
- Antonie Wlosok: Illustrated Vergil Manuscripts. In: Classical Journal 93 (1998) 355–382.
- David H. Wright: Codicological notes on the Vergilius Romanus (Vat. lat. 3867). Città del Vaticano 1992.
- David H. Wright: Der Vergilius Romanus und die Entstehung der mittelalterlichen Buchmalerei. Belser, Stuttgart 2000.