Vaginismus
Unter Vaginismus (oder auch Scheidenkrampf) versteht man eine unwillkürliche Verkrampfung oder Verspannung des Beckenbodens und des äußeren Drittels der Vaginalmuskulatur, wodurch der Scheideneingang eng oder wie verschlossen erscheint. Vaginalverkehr, eine gynäkologische Untersuchung und das Einführen von Tampons oder anderen Objekten können dadurch sehr schmerzhaft oder – bei Vaginismus in seiner schwersten Ausprägung – unmöglich sein.[1][2]
Klassifikation nach ICD-10 | |
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N94.2 | Vaginismus |
F52.5 | Nichtorganischer Vaginismus |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Eine neuere Definition von Basson et al. lässt den Aspekt der Verkrampfung beiseite, weil er niemals nachgewiesen wurde, und bezeichnet Vaginismus als „andauernde oder wiederkehrende Schwierigkeiten des Körpers, das Einführen eines Penis, Fingers oder eines anderen Objektes in die Vagina zuzulassen, trotz des eigenen, ausdrücklich geäußerten Wunsches, etwas einzuführen.“[3]
Vaginismus gehört zu den sexuellen Funktionsstörungen, genauer zu den Schmerzstörungen (der Sexualorgane), und ist häufig zumindest organisch mitbedingt, kann aber auch rein psychisch bedingt sein.
Formen
Es werden üblicherweise zwei Arten von Vaginismus unterschieden:
Primärer Vaginismus besteht, wenn es niemals möglich war, etwas schmerzfrei in die Vagina einzuführen. Er wird meistens erst in der Pubertät oder Adoleszenz entdeckt, weil vorher kein diesbezüglicher Versuch unternommen wurde.
Unter sekundärem Vaginismus wird die Form des Vaginismus verstanden, die durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst wurde. Auslöser können schwere traumatische Erlebnisse wie eine Vergewaltigung oder ein Geburtstrauma sein, aber auch vergleichsweise harmlose Erlebnisse wie eine unsanfte gynäkologische Untersuchung oder wiederholte Schmerzerlebnisse beim Geschlechtsverkehr.
Crowley et al. unterscheiden neben primärem und sekundärem Vaginismus noch weitere Formen:[4]
- „Konsistenter Vaginismus“ tritt jedes Mal auf, wenn versucht wird, etwas in die Vagina einzuführen.
- „Globaler Vaginismus“ ist unabhängig von Umständen oder Partnern.
- „Situationsbedingter Vaginismus“ tritt nur unter bestimmten Umständen auf oder mit bestimmten Partnern, beispielsweise nur bei gynäkologischen Untersuchungen, während vaginaler Geschlechtsverkehr ohne Probleme möglich ist, oder andersherum.
Behandlung
Mögliche Therapien sind das Training mit Vaginaldilatatoren, Biofeedback und Beckenbodentraining.
Vaginaldilatatoren sind glatte, konisch geformte Stäbe (Hegarstifte, meistens in Sets mit mehreren Stäben unterschiedlicher Durchmesser erhältlich). Mit diesen wird die Vagina an das Einführen gewöhnt und desensibilisiert sowie das verspannte Gewebe gelockert.[5]
Auch Beckenbodentraining, bisweilen gemeinsam mit vaginaler Selbstuntersuchung eingesetzt, kann einen wesentlichen Beitrag zur Heilung von Vaginismus leisten.[6] Durch das Training der quergestreiften Beckenbodenmuskulatur kann die Kontrolle über die Muskulatur (zurück)gewonnen werden, da die Betroffenen lernen, sie bewusst anzuspannen oder zu entspannen.
Psychotherapien können unterstützend sinnvoll sein, aber der hauptsächliche Behandlungserfolg wird in den meisten Fällen durch die körperliche Therapie erreicht.[7]
Diagnose im DSM-5
Seit der Vorstellung des DSM-5 im Jahre 2013 werden die Diagnosen des nichtorganischen Vaginismus und Dyspareunie zusammen als Genito-Pelvine Schmerz-Penetrationsstörung geführt.[8] Diese Entscheidung resultierte aus den wissenschaftlichen Befunden, dass sich beide Störungsbilder nicht reliabel differenzieren lassen. Gegenüber der Hervorhebung von vaginalen Muskelspasmen in den DSM-IV-Diagnosekriterien für Vaginismus liegt der Schwerpunkt der Diagnose nun auf Penetrationsproblemen, da ein empirischer Nachweis des Muskelspasmus bei Vaginismus nicht erbracht werden konnte.[9][10]
Zudem ist die Angst vor Schmerzen bei vaginaler Penetration charakteristisch für Vaginismus, was ebenfalls für eine starke Verwandtschaft der Diagnose mit Dyspareunie spricht.[9][11][12] Auch berichten Betroffene häufig von einem beeinträchtigten Selbstwertgefühl sowie Gefühlen der Minderwertigkeit und Wertlosigkeit in Bezug auf Sexualität.[12][13]
Literatur
- J. W. Dudenhausen, H. P. G. Schneider, Gunther Bastert: Frauenheilkunde und Geburtshilfe. 2. Auflage. Walter de Gruyter, 2003.
- Stephan Dressler, Christoph Zink: Pschyrembel, Wörterbuch Sexualität. Walter de Gruyter, 2003.
- Claudia Amherd: Wenn die Liebe schmerzt: Ein Selbsthilfebuch für Frauen, die unter Schmerzen beim Sex leiden. 2. Auflage. Books on Demand, 2009.
Einzelnachweise
- WHO: Manual of The International Statistical Classification of Diseases, Injuries, and Causes of Death. 10. Ausgabe. Genf 1992.
- W. Weijmar Schultz, R. Basson, Y. Binik, D. Eschenbach, U. Wesselmann, J. van Lankveld: Women’s sexual pain and its management. In: J Sex Med. 2, S. 301–316 (2005).
- R. Basson, S. Althof, S. Davis et al.: Summary of the Recommendations on Sexual Dysfunctions in Women. In: J Sex Med. 2004.
- Tessa Crowley, Daniel Richardson and David Goldmeier on behalf of the BASHH Special Interest Group for Sexual Dysfunction: Recommendations for the management of vaginismus. In: International Journal of STD & AIDS 2006.
- Ulrich Schnyder, Christine Schnyder-Lüthi, Pietro Ballinari, Andreas Blaser: Therapy for Vaginismus. In: Can J Psychiatry 1998.
- Walter Dmoch: Sexuelle Funktionsstörungen. (PDF; 192 kB) In: Gynäkologe. 34 (2001), S. 278–290, doi:10.1007/s001290050713, Auszug zur Behandlung des Vaginismus (Memento vom 1. Dezember 2017 im Internet Archive)
- T. Rosenbaum: Physiotherapy treatment of sexual pain disorders. J. Sex Marital Ther. 31, 329–340 (2005).
- American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5®). 5th ed. American Psychiatric Publishing, Washington 2013, ISBN 978-0-89042-555-8 (englisch).
- Yitzchak M. Binik: The DSM diagnostic criteria for vaginismus. In: Archives of sexual behavior. Band 39, Nr. 2, 2010, S. 278–291, doi:10.1007/s10508-009-9560-0.
- J. van der Velde, E. Laan, W. Everaerd: Vaginismus, a component of a general defensive reaction. an investigation of pelvic floor muscle activity during exposure to emotion-inducing film excerpts in women with and without vaginismus. In: International urogynecology journal and pelvic floor dysfunction. Band 12, Nr. 5, 2001, S. 328–331.
- Joana Carvalho, Armando Luis Vieira, Pedro Nobre: Latent structures of female sexual functioning. In: Archives of sexual behavior. Band 41, Nr. 4, 2012, S. 907–917, doi:10.1007/s10508-011-9865-7.
- H. S. Kaplan: The classification of the female sexual dysfunctions. In: Journal of sex & marital therapy. Band 1, Nr. 2, 1974, S. 124–138, doi:10.1080/00926237408405280.
- Barbro Wijma, Klaas Wijma: A cognitive behavioural treatment model of vaginismus. In: Scandinavian Journal of Behaviour Therapy. Band 26, Nr. 4, 1997, S. 147–156, doi:10.1080/16506079708412484.