Urkundenunterdrückung
Die Urkundenunterdrückung ist ein strafbewehrter Tatbestand nach dem deutschen Strafrecht. Er ist in § 274 StGB geregelt. Systematisch liegt er in den Urkundendelikten. Die Vorschrift dient dem Bestandsschutz von Urkunden. Im österreichischen Strafrecht ist dies im § 229 StGB geregelt.
Tatobjekte
Damit eine Urkunde im Sinne der Urkundsdelikte und somit auch im Sinne des § 274 StGB vorliegt, muss ein Dokument drei Funktionen erfüllen:
- Perpetuierungsfunktion: Das Dokument muss den Erklärungsinhalt dauerhaft verkörpern.
- Beweisfunktion im Rechtssinne: Die Urkunde muss einen Beitrag zur Überzeugungsbildung über rechtlich erhebliche Tatsachen leisten können und zumindest auch dazu bestimmt sein.
- Garantiefunktion: Hinter jeder Urkunde muss ein Garant stehen, d. h. die Person, der die verkörperte Erklärung zugerechnet werden kann, die also der „geistige Urheber“ der Erklärung ist.
Anhand dieser drei notwendigen Funktionen ergibt sich die allgemein anerkannte Definition einer Urkunde im Sinne der §§ 267 ff. StGB: „Eine Urkunde ist jede schriftlich verkörperte menschliche Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt.“
Der Tatbestand der Urkundenunterdrückung umfasst neben der Urkunde als Tatobjekt auch technische Aufzeichnungen. Vergleiche dazu den Parallelstraftatbestand der Urkundenfälschung, die Fälschung technischer Aufzeichnungen gem. § 268 StGB.
Das Tatbestandsmerkmal gehört im Satz 1 des Gesetzestextes bedeutet nicht die zivilrechtliche Eigentumslage, sondern das Beweisführungsrecht, das nicht allein nur dem Täter zustehen darf.
Tathandlungen
Strafbar ist neben der Urkundenfälschung sowohl das Vernichten, also die komplette Aufhebung der Urkundseigenschaft, als auch das Beschädigen, welches die Beeinträchtigung als Beweismittel umfasst. Die Tathandlung des Unterdrückens dagegen ist ohne Substanzeinwirkung möglich, und bedeutet das Entziehen oder Vorenthalten der Urkunde.
Subjektiver Tatbestand
Neben Vorsatz bezüglich der Tathandlung muss der Täter Nachteilszufügungsabsicht aufweisen. Jedoch ist hierbei nicht Absicht im Sinne des dolus directus ersten Grades zu verstehen, sondern es kommt nur darauf an, ob dem Täter bewusst ist, dass er ein fremdes Recht schädigt. Begründet wird dies damit, dass die Absicht nicht die Gesinnung des Täters oder seine Motivation zur Tat charakterisiert, sondern den Unrechtsgehalt der Tat selbst.
Nachteil ist hierbei jede Beeinträchtigung fremder Beweisführungsrechte. Allerdings soll die Vereitelung eines staatlichen Bußgeldanspruchs kein Nachteil im Sinne des § 274 StGB sein. Dies wird damit begründet, dass das Bußgeld lediglich Strafcharakter hat und keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgt.
Rechtswidrigkeit
Umstritten ist, ob eine Einwilligung die Rechtswidrigkeit entfallen lässt. Dies hängt davon ab, ob man als Rechtsgut des § 274 StGB den allgemeinen Bestandsschutz von Urkunden ansieht, also den Rechtsverkehr an sich, oder nur den individuellen Bestandsschutz.
Konkurrenzverhältnisse gegenüber anderen Delikten
Verhältnis zum Diebstahl gem. § 242 StGB
Nimmt der Täter eine fremde Urkunde weg, so ist es vorwiegend Tatfrage, ob er (allein oder auch) in der Absicht handelt, sie sich rechtswidrig zuzueignen. Zueignungswille im Rahmen des Diebstahls und Unterdrückungswille schließen einander nicht notwendig aus, sodass Tateinheit gem. § 52 StGB möglich ist.
Verhältnis zur Urkundenfälschung gem. § 267 StGB
Wenn die Beschädigung einer Urkunde gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 2. Fall StGB von vornherein nur der Verfälschung der Urkunde gem. § 267 Abs. 1 2. Fall StGB diente, verdrängt die Urkundenfälschung gem. § 267 StGB auf Konkurrenzebene den tatbestandlich verwirklichten § 274 StGB. Beispiel: Jemand reißt das Preisschild von einer Ware ab (Beschädigung der zusammengesetzten Urkunde aus Preisschild und Ware – § 274 StGB) und klebt es auf eine teurere Ware (Verfälschen der ursprünglichen zusammengesetzten Urkunde – § 267 Abs. 1 2. Fall StGB). Strafbar ist der Täter nur aus § 267 Abs. 1 2. Fall StGB.