Unterhaltungsliteratur
Unterhaltungsliteratur ist für den schnellen und leichten Konsum bestimmte Literatur und im Wesentlichen im 19. Jahrhundert entstanden.
Dreischichtenmodell
Das Zweischichtenmodell Hochliteratur – Trivialliteratur wurde nach und nach durch neue Erkenntnisse zur Trivial- und Unterhaltungsliteratur abgelöst und durch das Dreischichtenmodell Dichtung/Hochliteratur – Unterhaltungsliteratur – Trivialliteratur ersetzt. In diesem Dreischichtenmodell nach Foltin (1965) steht der Begriff Unterhaltungsliteratur für die mittlere Qualitätsebene, während Dichtung und Hochliteratur die obere bilden, Trivialliteratur dagegen stellt die untere Ebene dar. Obwohl es logisch und einleuchtend erscheint, die Bewertungsdichotomie von „guter“ und „schlechter“ Literatur des Zweischichtenmodells zu durchbrechen, ist es nun ebenso problematisch, eine klare Grenze literarischer Qualität sowohl zwischen Hoch- und Unterhaltungs- wie auch zwischen Unterhaltungs- und Trivialliteratur zu ziehen, da die Übergänge fließend und wechselseitige Beziehungen offensichtlich sind. Zwar fällt die Unterscheidung zur Dichtung nicht ganz so schwer, da diese oft neue Erkenntnismöglichkeiten der Realität behandelt, wohingegen Unterhaltungsliteratur die von der Gesellschaft adaptierten Normen übernimmt und bestätigt. Dafür ist die Bestimmung einer Trennungslinie zwischen Unterhaltungs- und Trivialliteratur umso unzureichender. Argumentationen wie bessere Verarbeitung psychischer und sozialer Probleme und Konflikte oder höheres sprachliches Niveau der Unterhaltungsliteratur scheinen sehr zweifelhaft. Am plausibelsten wirkt das Argument der kommunikativen Wirkung beider Gattungen: Während die Trivialliteratur dem Leser nichts Neues vorsetzt, sondern die bestehende Welt bestätigt und beschönigt und ihn mit Vorurteilen überwirft, nutzt die Unterhaltungsliteratur gezielt Kritik, um den Leser zum Nachdenken über die bestehenden Systeme anzuregen, wenn auch sie über stark affirmative Züge verfügt. Im Unterschied zur Trivialliteratur zeichnet sie sich außerdem durch eine Tendenz weg von Endlos-Heft-Serien zu einer vom reinen Schematismus abweichenden Komplexität aus.
Dennoch wird eine klare Einordnung auch weiterhin nur schwer möglich sein. Hält man allerdings am Dreischichtenmodell fest, so ist es als unabdingbar anzusehen, sich über die fließenden Übergange literarischer Qualität bewusst zu bleiben.
Geschichte
Unterhaltungsliteratur hat es in den führenden Bildungs- und Gesellschaftsschichten in allen literaturfähigen Epochen gegeben. Ein Wechsel vom intensiven zum extensiven Leseverhalten lässt sich eindrücklich an der Entwicklung der weit verbreiteten Erbauungsliteratur verfolgen. Neben den durch die Bibelanstalten weitverbreiteten Hausbibeln bildeten immer wieder neu aufgelegte Erbauungsschriften bekannter Autoren wie Thomas a Kempis oder Johann Arndt den ursprünglichen Lesestoff der lesekundigen Bevölkerung.
Im Zuge der Aufklärung trat die Unterhaltungsliteratur aus den gehobenen Gesellschaftsschichten heraus ins Bürgertum und weitete den Umfang dieser Literatur sowohl in Auflagenhöhe, Verbreitung als auch in Themenvielfalt aus. Mit der zunehmend eingeführten Schulpflicht und dem damit einhergehenden ansteigenden Lesevermögen wuchs auch die Lust der Menschen zu lesen. Auf dieses neue Lesebedürfnis stellten sich Verleger und Autoren ein und so begann gleichzeitig mit dem Aufklärungszeitalter ein Zeitalter des expandierenden Buchmarktes. Die Industrialisierung brachte sowohl für den Buchdruck als auch für Buchhandel und Vertrieb neue Impulse, die ungeheure Marktauflagen für das neu entstandene Lesepublikum ermöglichten. Dieses sah in der Lektüre eine Erfüllung seines Wunsches nach neuer Innerlichkeit und Emotionalität, die nun somit nicht mehr ausschließlich von Familie, Freundeskreis oder religiösen Verbänden befriedigt wurde.
Die Aufklärer wollten mit ihren Traktaten die Gemütsbewegungen und Affekte ihres Publikums in Richtung auf einen tugendhaften Umgang lenken (Gottsched „Der Biedermann“, Bertuch „Journal des Luxus und der Moden“), in dem die Informationen durch Klatsch, Gesellschaftsnachrichten und Illustrationen ergänzt wurden. Dass literarische Texte dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums entgegenkamen, zeigte sich besonders in Goethes erfolgreichem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“, welches einen heftigen emotionalen Widerhall nach sich zog. Im Zeitraum zwischen 1740 und 1800 rückten theologische Literatur und Erbauungsschriften zunehmend in den Hintergrund, wohingegen die „Schönen Künste und Wissenschaften“ einschließlich der Romane immer mehr an Popularität gewinnen konnten. Vor allem der unkünstlerische Roman spielte dabei eine entscheidende Rolle. Somit wird die Unterhaltungsliteratur auch trotz ihrer Trivialität zu einem bedeutenden Faktor des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens und darf keineswegs als von der Dichtung isoliertes Phänomen angesehen werden.
Damit waren die Bedingungen für eine hohe Auflagenzahl erfüllt und zunehmend erfreute sich die „Tagesliteratur“ in täglich oder wöchentlich erscheinenden Zeitungen oder Zeitschriften seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts einer wachsenden Leserschaft. Häufig wurde dieser Bedarf an Lektüre durch fliegende Händler abgedeckt, die in Wochen- oder Monatslieferungen ihre „Literatur“ in der Provinz verkauften.
Außer Kalenderblättern und Unterhaltungs- und Familienzeitungen („Unterhaltungen am häuslichen Herd“, „Die Gartenlaube“) und den Almanachen des 18. und 19. Jahrhunderts fanden seit Anfang des 20. Jahrhunderts die so genannten „Groschenhefte“ größere Leserkreise. Nach 1945 kam eine zweite Welle der „Heftchen-Literatur“ auf. Neue Produktionsmethoden erweiterten den Markt um das Taschenbuch.
Neben der romanhaft erzählenden Literatur steht die populärwissenschaftliche Unterhaltungsliteratur, die längs- oder querschnittartig einen Blick auf oder in bestimmte Wissens- und Forschungsgebiete ermöglichen soll. Sie unterscheidet sich weniger in der Form (der Schwerpunkt liegt auf dem erzählenden und weniger diskursiven Stil), als mehr im Inhalt (dem Sach- und Fachthema). Bei aller Problematik generalisierender Darstellungen ist ihr seit ihrem Erscheinen ein großer Erfolg beschieden, da sie in besonderem Maße die Neu- und Wissbegier des Lesepublikums zu stillen verspricht.
Michael Faraday begründete mit seiner „Chemiegeschichte der Kerze“ diese Art sich stetig verbreitender naturwissenschaftlicher Publikumsliteratur, deren Verbreitung im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte. Zeitschriften wie „Die Natur“ verzeichneten seit ca. 1850 ein halbes Jahrhundert lang hohe Resonanz, ebenso etwa die „Urania“, in der Zeit der Weimarer Republik.
Formen und Gattungen
Unterhaltungsliteratur kann in den verschiedensten Formen auftreten, die im Folgenden aufgelistet und mit Beispielen versehen werden, wobei auch auf ihre Untergattungen verwiesen werden soll. Die Formen und Gattungen stehen denen der Trivialliteratur sehr nahe.
Roman
Der Roman war besonders geeignet, um dem oben erwähnten Bedürfnis der Leser nach Innerlichkeit und Emotionalität Rechnung zu tragen und ihn an Gefühlserlebnissen anderer teilhaben zu lassen. Aus diesem Grund wurden häufig Briefe oder Tagebucheinträge in Romane integriert, um dem Leser eine direkte Anteilnahme am Leben des/der Protagonisten zu ermöglichen. Als Untergattungen des Romans sind zu nennen:
- Briefroman (Samuel Richardson, Pamela)
- Detektivroman (Georges Simenon)
- Erotische Literatur, pornographischer Roman (Josefine Mutzenbacher)
- Liebes- und Familienroman (Wilhelmine Heimburg, Lumpenmüllers Lieschen; Hedwig Courths-Mahler); in den Vereinigten Staaten auch: Amischer Liebesroman
- Feuilletonroman (Conan Doyle, The Hound of the Baskervilles)
- Fortsetzungsroman (Eugenie Marlitt, Das Geheimnis der alten Mamsell (abgedruckt in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“))
- Heftroman
- Heimatroman (Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten)
- Historischer Roman (Johann Victor Scheffel, Ekkehard)
- Kolportageroman
- Rätselroman (Agatha Christie, Gaston Leroux)
- Reise- und Abenteuerroman (Daniel Defoe, The Life and Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe of York, Mariner)
- Schauer-, Geheimbund- und Räuberroman (Horace Walpole, The Castle of Otranto, Friedrich Schiller, Der Geisterseher)
- Spionageroman
- Sensationsroman (John Retcliffe)
- Science-Fiction (H.G. Wells, The Time Machine)
- Thriller (Johannes Mario Simmel)
- Verbrechens-, Mysterien- und Kriminalroman (Eugène Sue, Les mystères de Paris)
Drama
Neben dem Roman zählt auch das Drama seit dem 18. Jahrhundert zur Unterhaltungsliteratur, welches zwischen 1750 und 1800 aufgrund der Wirkungsmöglichkeiten des Theaters großen Anklang fand. Zu nennen sind hierbei:
- Bühnenschwank (Eugène Labiche; Paul von Schönthan, Der Raub der Sabinerinnen)
- Lachtheater/Lokalposse (Adolf Bäuerle, Die Bürger in Wien)
- Ritterdrama
- Rührstück (Friedrich Ludwig Schröder, Der Vetter in Lissabon)
Lyrik
Ebenso können Teile der Lyrik, wie die so genannte Gebrauchslyrik, der Unterhaltungsliteratur zugeordnet werden. Dies sind Texte, verfasst von Routiniers oder Dilettanten, die versuchten bedeutende Vorbilder nachzuahmen und dann Journale oder Almanache mit ihren Werken bedienten. Solche Gedichte wurden nicht selten nicht nur gelesen, sondern im Kreise der Familie auch vorgetragen oder vorgesungen. Thematisch befassten sie sich mit Inhalten, die „das Herz bewegten“ – Liebe, Ehe, Einsamkeit etc. – sowie die Zusammengehörigkeit der Deutschen und ihrer Nation.
Literatur
- Albert Klein: Die Krise des Unterhaltungsromans im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte der ästhetisch geringwertigen Literatur (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Bd. 84, ISSN 0567-4999). Bouvier, Bonn 1969 (Zugleich: Bochum, Univ., Diss.).
- Laurenz Volkmann: Trivialliteratur. In: Ansgar Nünning (Hrsg.): Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart / Weimar 2001, ISBN 3-476-01692-7, S. 644–645.