Užupis
Užupis ist ein Stadtteil am Rand der Altstadt von Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Der Name bedeutet „jenseits des Flusses“ (už = hinter, upė = Fluss). Es handelt sich dabei um die Vilnia oder Vilnelė, die der Stadt Vilnius ihren Namen gibt. Užupis ist mit ca. 0,6 km² ein kleiner und abgeschlossener Stadtteil. Auf drei Seiten wird es durch den Fluss von der Altstadt getrennt, auf einer Seite gibt es steile Berge und in der sowjetischen Zeit entstandene Industriegelände.
Geschichte
Der Stadtteil wurde früher mehrheitlich von Juden bewohnt. Erst im 16. Jahrhundert wurden die ersten Brücken über den Fluss geschlagen. 1810 wurde der Bernhardiner-Friedhof errichtet. Ein großer Teil der ursprünglichen Bevölkerung kam während des Holocausts um, der jüdische Friedhof wurde von den Sowjets zerstört. Die leerstehenden Häuser wurden von Kriminellen, Obdachlosen und Prostituierten besetzt. Vor der litauischen Unabhängigkeitserklärung 1990 war der Stadtteil einer der vernachlässigsten der Stadt, viele Häuser hatten weder Strom noch sanitäre Anlagen.
Künstlerkolonie
In den 1990er Jahren hat sich der Stadtteil grundlegend geändert. Aus dem Viertel ist ein begehrtes Wohnquartier für die städtischen Künstler und ihre Bohème geworden. Hier gibt es zahlreiche Kunstgalerien, Workshops und Cafés. Mitunter wird Užupis mit dem Künstlerviertel Montmartre in Paris verglichen, mit dem auch eine Partnerschaft besteht.
Infolge des Aufkaufs vieler Häuser durch Investoren und des Zuzugs von Geschäftsleuten und Künstlern wurden die Bewohner von Užupis, darunter viele Arbeiter, Inhaber kleiner Läden und andere „einfache Leute“, aus ihrem Viertel verdrängt.[1] Užupis wurde zu einem Szeneviertel und einem Touristenziel, in dem der Prozess der Gentrifizierung vollendet ist.[2]
Republik Užupis
Gründung und eigene Verfassung
Einige Bewohner riefen als Kunstaktion die unabhängige Republik Užupis aus, die über eine Verfassung, eine Flagge und einen Präsidenten verfügt. Die zwölf Mann starke Armee wurde mittlerweile wieder aufgelöst, weil Užupis sich in seiner Verfassung als weltweit einziges Land zu einem völligen Gewaltverzicht verpflichtet hat. Trotz der fehlenden völkerrechtlichen Anerkennung wird die Republik Užupis immer häufiger von ausländischen Staatsvertretern besucht. Das Parlamentsgebäude ist das Café Užupio Kavinė („Café von Užupis“), dort ist auf einer Bronzetafel die Verfassung niedergelegt worden. Die folgende Übersetzung entspricht der Tafel, wie sie an der Paupio Gatve veröffentlicht ist:
- Jeder Mensch hat das Recht, am Fluss Vilnia zu leben, und der Fluss Vilnia hat das Recht, an jedem vorbei zu fließen.
- Jeder Mensch hat das Recht auf heißes Wasser, Heizung im Winter und ein Ziegeldach.
- Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.
- Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren.
- Jeder Mensch hat das Recht, einzigartig zu sein.
- Jeder Mensch hat das Recht zu lieben.
- Jeder Mensch hat das Recht, nicht geliebt zu werden, jedoch nicht unbedingt.
- Jeder Mensch hat das Recht, weder berühmt noch bekannt zu sein.
- Jeder Mensch hat das Recht, zu faulenzen oder nichts zu tun.
- Jeder Mensch hat das Recht, eine Katze zu lieben und für sie zu sorgen.
- Jeder Mensch hat das Recht, für seinen Hund zu sorgen, bis einer von beiden stirbt.
- Ein Hund hat das Recht, Hund zu sein.
- Eine Katze ist nicht verpflichtet, ihren Hausherrn zu lieben, aber in schweren Momenten muss sie ihm beistehen.
- Jeder Mensch hat das Recht, manchmal nicht zu wissen, ob er Verpflichtungen hat.
- Jeder Mensch hat das Recht zu zweifeln, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet.
- Jeder Mensch hat das Recht glücklich zu sein.
- Jeder Mensch hat das Recht unglücklich zu sein.
- Jeder Mensch hat das Recht zu schweigen.
- Jeder Mensch hat das Recht zu glauben.
- Kein Mensch hat das Recht, Gewalt auszuüben.
- Jeder Mensch hat das Recht, seine Nichtigkeit und seine Größe zu begreifen.
- Niemand hat das Recht, nach der Ewigkeit zu trachten.
- Jeder Mensch hat das Recht zu verstehen.
- Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen.
- Jeder Mensch hat das Recht, verschiedenen Nationalitäten anzugehören.
- Jeder Mensch hat das Recht, seinen Geburtstag zu feiern oder nicht zu feiern.
- Jeder Mensch ist verpflichtet, sich an seinen Namen zu erinnern.
- Jeder Mensch darf mit anderen teilen, was er hat.
- Kein Mensch kann mit anderen teilen, was er nicht hat.
- Jeder Mensch hat das Recht auf Geschwister und Eltern.
- Jeder Mensch darf frei sein.
- Jeder Mensch ist für seine Freiheit verantwortlich.
- Jeder Mensch hat das Recht zu weinen.
- Jeder Mensch hat das Recht, unverstanden zu bleiben.
- Kein Mensch hat das Recht, einen anderen schuldig zu machen.
- Jeder hat das Recht auf Persönlichkeit.
- Jeder Mensch hat das Recht, keine Rechte zu haben.
- Jeder Mensch hat das Recht, keine Angst zu haben.
- Besiege nicht.
- Wehre dich nicht.
- Gib nicht auf.
In der Straße Paupio Gatve finden sich an einer langen Wand bisher (Stand 2018) 23 Übersetzungen der Verfassung in den Landessprachen der Botschafter wie Russisch, Französisch oder Rumänisch und in weiteren Sprachen wie Esperanto. Zur feierlichen Enthüllung der Verfassung werden bedeutende Staatsvertreter eingeladen. Am 27. Mai 2017 wurden Übersetzungen der Verfassung in Hindi und Sanskrit im Beisein u. a. des indischen Außenministers M. J. Akbar und des indischen Botschafters enthüllt.[3]
Für die Münchener Botschaft von Užupis haben der Außenminister Thomas Chepaitis, der Botschafter H. E. Max Haarich und der KI-Experte Alex Waldmann gemeinsam einen zusätzlichen Artikel formuliert: “Any artificial Intelligence has the right to believe in a good will of humanity.” Somit hat Užupis die weltweit erste Verfassung, in der Künstliche Intelligenz fixiert ist.
Die Unabhängigkeit wird alljährlich am 1. April gefeiert. An diesem Tag hält Užupis Wahlen und Umzüge ab, ernennt Botschafter und verleiht Auszeichnungen. Außerdem gibt es nur an diesem Tag eine eigene Währung und Grenzkontrollen. Am 1. April 2002 wurde auf dem Hauptplatz des Viertels ein Denkmal enthüllt, das zu einem neuen Symbol von Užupis geworden ist. Die Skulptur stellt einen Engel dar, der Trompete spielend die Erneuerung und die künstlerische Freiheit des Stadtteils symbolisiert. Seither wird Užupis auch Engelsrepublik genannt und wird ein immer beliebteres Reiseziel unter Touristen.[4]
Botschaften der Republik Užupis
Die Republik Užupis wird weltweit durch über 200 Botschafter und Ehrenbürger wie den Dalai Lama vertreten.[5] Zum Botschafter werden meist Künstler, Kreative oder Kulturschaffende ernannt. Sie fördern den kulturellen Austausch zwischen der Republik Užupis und ihrem Empfangsstaat im Sinne der Freiheit der Kunst. Es gibt Botschafter für bestimmte Länder und größere Städte, aber auch für andere inspirierende Dinge wie Pusteblumen oder das Flöten auf der Straße. Die Botschafter der Republik Užupis erhalten eine Lehrberechtigung an der virtuellen Universität von Užupis.
Rezeption im Film
- Litauen: Künstlerrepublik Uzupis. Fernsehreportage, Deutschland, Litauen, 2009, 4:50 Min., Buch und Regie: Claudia Buckenmaier, Reihe: Europamagazin, Produktion: SWR, Sendung: 10. Januar 2009
Weblinks
- Das Recht auf Glück, Spiegel Online, 25. November 2004.
- Užupis case study at Exchange Network for Sustainable Urban Revitalisation Experience (englisch).
Einzelnachweise
- Harald Standl: Gentrification in Vilnius (Lithuania) – the Example of Užupis. In: Europa regional, Bd. 12. Leibniz-Institut für Länderkunde, Leipzig 2004, S. 42–51.
- Tadas Šarūnas: Naujamiesčio pamatų duobės ir Sodų gatvės naujakuriai: kas ir ką pasakoja apie Vilniaus gentrifikaciją, abgerufen am 26. Oktober 2018 (litauisch).
- Ludo Segers and Justinas Šuliokas | The Lithuania Tribune: Užupis adds Hindi and Sanskrit plaques to its Constitution Wall. In: DELFI. (delfi.lt [abgerufen am 28. Mai 2017]).
- Vilnius: Užupis is One of the Hippest Neighbourhoods in Europe - The Baltic Review. In: The Baltic Review. 11. März 2017 (baltic-review.com [abgerufen am 28. Mai 2017]).
- SPIEGEL ONLINE, Hamburg Germany: Republik Uzupis: Ein Recht auf Glück - SPIEGEL ONLINE - Reise. Abgerufen am 28. Mai 2017.