Tunnel 29
Tunnel 29 war ein Fluchttunnel in Berlin, der von einem Fabrikgelände in der Bernauer Straße 78 unter der Berliner Mauer hindurch zu einem Keller in der Schönholzer Straße 7 führte.[1] Der nach unterschiedlichen Angaben zwischen 120 und 140 Meter lange Tunnel[2] wurde vom Frühsommer 1962 an von einer studentischen Fluchthilfegruppe um die Italiener Domenico Sesta und Luigi Spina sowie Wolfhardt Schroedter und dem 1961 aus der DDR geflüchteten Studenten Hasso Herschel gebaut. Nach der Fertigstellung des Tunnels konnten am 14. und 15. September 1962 insgesamt 29 Personen – die Anzahl der Flüchtlinge war namensgebend – durch den Tunnel fliehen.
Die beiden Italiener hatten einer Ost-Berliner Familie die Flucht versprochen. Hasso Herschel wollte seine Schwester und deren Familie in den Westen holen. Während der Bauarbeiten, an denen etwa 30 Helfer teilnahmen, kam es mehrfach zu Baustopps wegen Wassereinbruch. Im Gegensatz zu vielen anderen Fluchttunneln kam es beim Tunnel 29 nicht zu tödlichen Unfällen, Verletzungen oder Verhaftungen.
Zur Finanzierung des Tunnels hatten die Italiener und Wolfhardt Schroedter die Filmrechte an den amerikanischen Fernsehsender NBC verkauft,[3] der die Bauarbeiten mit zwei Kameramännern verfolgte. Spina und Sesta bekamen je 15.000 DM und die Fernsehrechte für Deutschland und Italien. Herschel wurde erst beteiligt, nachdem er mit Ausstieg gedroht hatte. Dieses Finanzierungsmodell war neu in der Fluchthilfe in Berlin und führte nach der erfolgten Flucht zu einem Bruch der Gruppe. 17 ehemalige Helfer distanzierten sich öffentlich von Herschel, Sesta und Spina.
Rezeption
Der Tunnel ist Teil der Geschichtsmeile Berliner Mauer. Seine Geschichte war Grundlage für den fiktionalen Fernsehfilm Der Tunnel, den Sat.1 2001 ausstrahlte. Astrid Nora Moeller, eine Nichte Herschels, die als Kleinkind mit ihrer Mutter durch den Tunnel nach West-Berlin kam, fertigte die 2011 veröffentlichte Dokumentation Der Fluchthelfer – Wege in die Freiheit an. 2020 entstand der Dokumentarfilm Tunnel der Freiheit, der Aussagen der wichtigsten Zeitzeugen, die 1999 und 2020 aufgenommen wurden, mit Original-NBC-Filmmaterial von 1961/62 kombiniert.[4]
Literatur
- Dietmar Arnold, Sven Felix Kellerhoff: Die Fluchttunnel von Berlin. 2. Auflage. List, Berlin 2011, ISBN 978-3-548-60934-8, S. 117 ff. (Erstausgabe: 2009).
- Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961–1989. Siedler, München 2005, ISBN 3-88680-834-3, S. 130 ff.
- Ellen Sesta: Der Tunnel in die Freiheit. Berlin, Bernauer Straße. München 2001, ISBN 3898340333.
Weblinks
Einzelnachweise
- vergleiche dazu auch histomapberlin.de: Karte 4236 und 423B (Stichwort: Wolgaster Straße), insbesondere aus den Jahren 1956, 1962. Seit 1980 steht auf den beräumten Flächen westlich der Wolgaster Straße eine Kindereinrichtung. // Auch Gebäudeschäden 1945: Bernauer/ Wolgaster Straße
- 120 Meter: Fluchthelfer Rainer Haack, Tunnel 29 (Memento des Originals vom 12. Februar 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 14. August 2012; 126 Meter: Tunnel 29 freigelegt, Der Spiegel, abgerufen am 14. August 2012; 135 Meter: Gedenktafel; 140 Meter: Gedenkstätten Berliner Mauer (Memento des Originals vom 12. Juli 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 14. August 2012
- Tunnel 29 - Bernauer Str. 78. Abgerufen am 14. November 2020.
- Tunnel der Freiheit bei prisma.de, eingefügt 22. Juli 2021