Traufgasse
Traufgasse, Traufgässchen, Schmutzgässchen, enge Reihe, regional auch Reule, Ahlen, Häusing, Winkel, Wuostgraben, plattdeutsch Soe, ostmittelfränkisch die Reihern[1], auch das Rill'nluch (Rillenloch), bezeichnet ein schmales Gässchen bzw. einen Gang zwischen zwei giebelständigen Häusern ohne Regenrinnen.
Während „Traufgassen“ in öffentlichem Eigentum standen und für jedermann begehbar waren, befanden sich die „Traufgässchen“ in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten in der Regel auf privatem Grund und Boden.
Funktion
Durchgang
Die meist über 1 m breiten Traufgassen dienten in der Regel als öffentlicher Durchgang zu rückwärtig gelegenen Feldern, Wegen, Häusern etc.; sie waren häufig gepflastert und wurden später asphaltiert.
Abwasser-, Abfall- und Fäkalbeseitigung
Mittelalterliche und frühneuzeitliche Häuser verfügten weder über Dachrinnen noch über Abwasserrohre; ebenso wenig gab es eine städtische Kanalisation. In die meist zur Straße hin leicht abfallenden ca. 50 bis 80 cm breiten Traufgässchen wurde das Regenwasser von den oft unterschiedlich hohen Dächern benachbarter Häuser abgeleitet. Seit dem Aufkommen von Abtritten im Innern der Häuser dienten sie auch als oberirdische Fäkalrinnen für menschliche Exkremente, die auf diese Weise ebenfalls auf die ohnehin schon von tierischem Kot und Urin verschmutzten Straßen gespült wurden. Die städtischen Abfälle wurden von Straßenreinigern in regelmäßigen Zeitabständen (ca. zwei oder drei Mal pro Woche) zusammengefegt und auf Karren abtransportiert; meist endeten sie als Dünger auf den ortsnahen Feldern.
Viehfütterung
Auf dem Lande kamen Traufgässchen erst sehr viel später auf und dienten auch als Zugang zur Fütterung und Versorgung des Viehs in den kleinen Stallungen, die zumeist an den rückwärtigen Teil des Wohngebäudes angebaut waren. Zum Sammeln und Verwerten der menschlichen und tierischen Fäkalien und Abfälle bedienten sich größere und kleinere Bauernhöfe meist anderer Methoden (Misthaufen, Güllegruben etc.) Viele dieser Traufgässchen wurden straßenseitig Ende des 19. oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Brettertüren oder Mauern geschlossen.
Brandbekämpfung
Durch den geringen Abstand zwischen den Häusern bestand ein hohes Brandrisiko; das Überspringen eines Brandes auf die Nachbargebäude konnte nur kurzzeitig verzögert werden. Bei einem Vollbrand erreichten die Flammen schnell den Dachstuhl der oft noch mit Strohdocken unterlegten Ziegel der benachbarten Häuser. Bei einer rechtzeitigen Meldung des Brandes konnte jedoch die Feuerwehr den schmalen Freiraum zwischen den Gebäuden, die sogenannten „Feuergassen“, zur Brandbekämpfung und zum Schutz des Nachbargebäudes nutzen.
Architektur
Die in der Regel dunklen und häufig fensterlosen Traufgässchen zogen sich entlang der gesamten Hauslänge. Anfänglich bestand ihr Boden lediglich aus gestampfter Erde, später wurden sie zuweilen gepflastert oder als Rinne ausbetoniert. Aufgrund städtischer Erlasse wurden sie in späteren Zeiten zur Straße hin durch Brettertüren geschlossen. Mit dem Aufkommen von Dachrinnen und der städtischen Kanalisation wurden sie funktionslos und in der zweiten Hälfte des 19. sowie im beginnenden 20. Jahrhundert straßenseitig oft vermauert. Das Ende des Fachwerkbaus und die Genehmigung von Grenzbebauungen beschleunigte ebenfalls ihr allmähliches Verschwinden aus dem Ortsbild; dieser Prozess ist nur durch eine konsequente Denkmalpflege aufzuhalten.
In der bayrischen Bauordnung von 1901, in der die Traufgasse als "Reihe" bezeichnet wird, findet sich folgende Regelung[2]
„I. Winkel und sogenannte Reihen (Ehegräben etc.) zwischen den einzelnen Bauten müssen, wo nur immer möglich, vermieden, unter allen Umständen aber so gepflastert werden, daß ein entsprechender Wasserablauf ermöglicht ist.
II. Vorrichtungen zur Einleitung des Inhaltes von Abtritten in solche Reihen sind unzulässig und zur Einleitung von Schmutzwasser nur dann erlaubt, wenn eine hinreichende Spülung mit reinem Wasser bewirkt werden kann.“
Quellen und Einzelnachweise
- vergl. "enge Reihe" BayBo 1901
- III. Vorschriften für die Bauführung, 15. - Winkel, Hofräume und Rückgebäude, § 49. - Winkel und Reihen
Siehe auch
- Ehgraben, ein Graben in dem Zwischenraum zwischen zwei Häusern, die sich mit ihrer Rückseite gegenüberliegen
Literatur
- Roland Rösch: Hier stinkts! Heilbronner Latrinengeschichte von 1800 bis 1950. (= Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn, Band 59), Mit einer Einleitung von Katja Leschhorn, Stadtarchiv Heilbronn, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher / Heidelberg / Neustadt a.d.W. / Basel 2011, ISBN 978-3-940646-07-1, ISBN 978-3-89735-670-2.
Weblinks
- Traufgässchen, Winkel und Reihen – Auszug aus der bayr. Bauordnung von 1901 mit Ergänzungen und Exkursen
- Führung durch die Feuergassen der Konstanzer Altstadt